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Friday, November 17, 2023

Bürgergeld, Ukraine-Hilfe, Stromsteuer: Viele Änderungen am Etatentwurf – Union warnt Ampelkoalition - Tagesspiegel

Prioritäten des Entwurfs von Finanzminister Christian Lindner (FDP) liegen bei Verteidigung und Klimaschutz.

© AFP/Odd Andersen

Da die Union keine Anträge stellte, ging es schneller als erwartet: Der Haushaltsentwurf 2024 steht. Doch wegen des Urteils des Verfassungsgerichts sind noch Fragen offen.

Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat zahlreiche Änderungen am Etatentwurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) beschlossen. Die am Donnerstagmittag begonnene Bereinigungssitzung dauerte bis zum frühen Freitagmorgen um etwa 4.20 Uhr. Ein finaler Beschluss im Ausschuss steht jedoch noch aus.

Weil nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts viele Fragen offen sind, sollen am Dienstag zunächst noch Sachverständige gehört werden. Am kommenden Donnerstag soll die Bereinigungssitzung dann formal beendet werden.

Erst dann werden auch Informationen darüber vorliegen, wie stark sich der Bund im kommenden Jahr neu verschuldet und wie viel Geld insgesamt ausgegeben wird. Der Bundestag soll den Haushaltsentwurf in der Sitzungswoche vom 27. November bis 1. Dezember dann endgültig verabschieden.

Noch ist völlig unklar, wie viel am Etatentwurf bis dahin noch angepasst werden muss. Denn das Urteil des Verfassungsgerichts könnte noch viel weitreichendere Folgen haben als auf den ersten Blick ersichtlich. Das höchste deutsche Gericht hatte am Mittwoch eine Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt von 2021 für nichtig erklärt.

Diese Kredite waren zur Bewältigung der Corona-Krise genehmigt worden, wurden dann aber in ein Sondervermögen für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft verschoben. Nun stehen die Milliarden nicht zur Verfügung.

Die Bundesregierung prüft derzeit, ob das Urteil noch weitreichendere Folgen auch für andere schuldenfinanzierte Sondervermögen hat. Die Haushälter wollen daher vorsichtshalber auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds sperren, aus dem unter anderem die Energiepreisbremsen gezahlt werden.

Verfassungsgerichtsurteil bringt Unsicherheit

Die oppositionelle Union hält es nicht für seriös, unter diesen Umständen überhaupt schon einen Haushalt zu beschließen – und stellte deshalb im Ausschuss keinen einzigen inhaltlichen Änderungsantrag.

Die Chef-Haushälter der Ampelkoalition kritisierten das scharf. „Die Union hat sich heute Nacht der Mitarbeit leider verweigert“, erklärten sie nach Ende der Sitzung. „Erst hat sie versucht, die Sitzung abzusagen und dann hat sie keinen einzigen Änderungsantrag zum Bundeshaushalt gestellt“, monierten Dennis Rohde (SPD), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP). Sie forderten die Union auf, „verantwortungsvoll mit dem Urteil und dessen Folgen umzugehen, statt die Arbeit im Parlament einzustellen“.

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, wartet in der Nacht zu Freitag beim Haushaltsausschuss des Bundestags mit der Beratung des Etats für 2024.
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, wartet in der Nacht zu Freitag beim Haushaltsausschuss des Bundestags mit der Beratung des Etats für 2024.

© dpa/Kay Nietfeld

Die CDU warnte die Ampel-Koalition vor einem erneuten Schiffbruch mit dem Bundeshaushalt für 2024. SPD, Grüne und FDP hätten trotz der haushaltsrechtlichen Unsicherheiten „einen ordentlichen Schluck aus der Pulle genommen“, sagte der CDU-Politiker Christian Haase. Die Koalition habe nach seinen Berechnungen gegenüber dem Regierungsentwurf Mehrausgaben von 32,5 Milliarden Euro beschlossen.

Der nächste Haushalt ist, wenn sich nichts ändert, unserer Meinung nach verfassungswidrig.

Christian Haase, CDU-Chefhaushälter

„Die haben wie auf der Titanic zum Schluss noch mal ordentlich was mitgenommen“, sagte Haase. „Jetzt spielt die Kapelle und wir warten darauf, dass am nächsten Donnerstag das letzte Stück gespielt wird.“ Der CDU-Chefhaushälter spielte damit darauf an, dass der Haushaltsausschuss die Bereinigungssitzung am Donnerstag nächster Woche abschließen will.

Die Union hatte eine Verschiebung gefordert, um zunächst auszuwerten, welche Folgen sich für den Haushalt 2024 aus dem Verfassungsgerichtsurteil ergäben. „Der nächste Haushalt ist, wenn sich nichts ändert, unserer Meinung nach verfassungswidrig“, warnte Haase.

AfD-Haushälter sieht Lücke von 19 Milliarden Euro

Die AfD sieht noch ein Milliarden-Loch im Bundeshaushalt für 2024. Mindestens 19 Milliarden Euro müssten in den kommenden Tagen noch zusätzlich eingespart werden, sagte AfD-Haushälter Peter Boehringer am Freitag nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. Dieses Geld fehle bereits für das nächste Jahr.

Noch habe die Koalition die Chance, einen verfassungsfesten Haushalt aufzustellen, mahnte Boehringer. „Das impliziert aber nach meiner Rechnung, wie gesagt viele, viele Milliarden an Einsparungen, echten Einsparungen.“ Die trotz Schuldenbremse mögliche Kreditaufnahme soll laut Boehringer schon jetzt vollständig genutzt werden. Wegen der schlechten konjunkturellen Lage seien für 2024 neue Kredite von knapp 22 Milliarden Euro zugelassen.

„Und diese dann 22 Milliarden hat die Koalition gestern in der Bereinigungssitzung komplett abgeräumt. Sie wird also wiederum komplett ausgeschöpft.“ Das reiche aber nicht aus, es gebe noch immer ein Milliarden-Loch.

Zeitplan für Haushaltsbeschluss soll weiter gelten

Die Ampel-Koalition sieht den Kernhaushalt für das kommende Jahr, also die Etats der einzelnen Ministerien, nicht von dem Urteil betroffen. Der Bundeshaushalt soll daher weiterhin am 1. Dezember beschlossen werden.

Dafür nahmen die Haushälter in der Nacht zum Freitag noch eine Reihe Änderungen vor. Unter anderem wurden die Mittel für humanitäre Hilfe im Ausland aufgestockt. Verglichen mit den Plänen der Regierung soll es 700 Millionen Euro mehr geben. Nach Angaben des Linken-Abgeordneten Victor Perli steht aber immer noch deutlich weniger Geld zur Verfügung als in diesem Jahr.

Aufgestockt wurden auch die Mittel für Integrationskurse und Beratungsleistungen für Zuwanderer. Statt der ursprünglich vorgesehenen 880 Millionen Euro wurden 1,06 Milliarden Euro eingeplant. Auch für die Freiwilligendienste machten die Haushälter 80 Millionen Euro mehr locker.

Elterngeld-Reform kommt schrittweise

Lindner hatte dem Parlament einen Spar-Etat vorgelegt, weil er die Schuldenbremse einhalten will – und sich dazu auch vom Grundgesetz verpflichtet sieht. Nach langem Ringen mit seinen Ministerkollegen, in das sich auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) einschaltete, brachte er den Entwurf verspätet ins Kabinett. Prioritäten liegen bei Verteidigung und Klimaschutz. In vielen anderen Ressorts wird im Vergleich zum Vorjahr sogar gekürzt.

Das Familienministerium kündigte etwa eine heftig umstrittene Elterngeld-Kappung für Bezieher hoher Einkommen an. Diese fällt nun weniger radikal aus. Die Einkommensgrenze, bis zu der Elterngeld gezahlt wird, soll nicht plötzlich, sondern schrittweise sinken. Bis Ende März soll sich gar nichts ändern. Danach fällt die Grenze auf 200.000 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen. Ab April 2025 soll eine Einkommensgrenze von 175.000 Euro gelten.

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte zunächst vorgeschlagen, das Elterngeld solle nur noch an Eltern ausgezahlt werden, die alleine oder zusammen nicht mehr als 150.000 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen haben. Aktuell liegt die Grenze bei 250.000 Euro für Alleinerziehende und 300.000 bei Paaren.

Plus für Ukraine-Hilfe und Senkung der Stromsteuer

Geändert wird nun auch, dass Eltern nur noch einen Monat parallel Elterngeld beziehen können. Mindestens einer der Partnermonate muss allein genommen werden. Das muss zudem innerhalb des ersten Lebensjahres des Kindes passieren.

Andere Änderungen hatte Lindners Ministerium selbst noch eingepflegt: In der Vorlage für die Ausschusssitzung wurde die Militärhilfe für die Ukraine auf acht Milliarden Euro verdoppelt. Außerdem wurden nach der Ampel-Einigung auf ein Entlastungspaket rund 1,3 Milliarden Euro mehr Zuschüsse für stromintensive Unternehmen eingeplant.

Die ebenfalls zur Entlastung beschlossene Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe wird allerdings teurer als gedacht. Für 2024 und 2025 wird in der Ampel-Koalition jeweils mit Kosten von 3,25 Milliarden Euro gerechnet. Das geht aus einem Entwurf für das Haushaltsfinanzierungsgesetz hervor, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Bei Vorstellung des Konzepts war in Regierungskreisen von 2,75 Milliarden Euro die Rede gewesen.

Grüne: Milliarden-Nachschlag für Bürgergeld beschlossen

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat nach Angaben der Grünen deutlich mehr Geld für das Bürgergeld im kommenden Jahr beschlossen, um die angekündigten Erhöhungen zu finanzieren. 

Geplante Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik der Jobcenter seien zudem zurückgenommen worden, sagte Grünen-Haushälter Markus Kurth am Freitagmorgen der Nachrichtenagentur Reuters. Das hätten SPD, Grüne und FDP gemeinsam beschlossen.

Für die Regelsatzzahlungen an Bürgergeldbeziehende sind nach Kurths Worten 2024 rund 3,4 Milliarden Euro mehr vorgesehen. Hinzu kämen zusätzliche 1,4 Milliarden Euro bei der Übernahme der Miet- und Heizkosten.

Zum Jahresanfang 2024 steigt das Bürgergeld für über fünf Millionen Erwachsene und Kinder in der Grundsicherung um bis zu 61 Euro im Monat und damit so stark wie noch nie. Die Erhöhung war im September beschlossen worden. (dpa/Reuters)

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