Stand: 01.09.2022 06:51 Uhr
In Niedersachsen können beim Straßenausbau auch Grundstücksbesitzer und -besitzerinnen zur Kasse gebeten werden. In 43 Prozent aller niedersächsischen Kommunen ist dies der Fall. Das zeigt eine NDR Recherche.
Mehr als die Hälfte der Kommunen erheben die Gebühr also nicht mehr, doch einige bestehen darauf. Anliegerinnen und Anlieger müssen dann mitunter hohe Summen bezahlen, wenn die Straße vor ihrer Haustür ausgebaut wird. Im ostfriesischen Bunde im Landkreis Leer etwa lagen im Juni Zahlungsbescheide in den Briefkästen. Dabei ging es um den Ausbau des Achterwegs. Torsten und Conny Yzer mussten 3.600 Euro zahlen, obwohl von ihrem Grundstück aus kein Zugang zum Achterweg führt. Auch ihre Nachbarn Barbara und Fritz Krämer waren überrascht: "Wir wussten das damals, als wir das Haus gekauft haben, nicht. Wir wussten auch nicht, dass es nach dem Grundstück geht. Also wir haben das größte Grundstück hier und haben uns dann auch richtig erschrocken, als wir die Rechnung bekommen haben." Bürgermeister Uwe Sap (SPD) kann den Ärger der Anlieger sogar verstehen. Aber der Haushalt der Gemeinde lasse es nicht zu, auf die Gebühr zu verzichten. Alternativen, wie zum Beispiel eine Erhöhung der Grundsteuer, halte er ebenfalls für ungerecht.
Anwohner bekommen Zahlbescheid zehn Jahre nach den Bauarbeiten
In Heyersum, einem Ortsteil der Gemeinde Nordstemmen (Landkreis Hildesheim), haben Anliegerinnen und Anlieger erst zehn Jahre nach den Baumaßnahmen an der Ortsdurchfahrt die Zahlungsbescheide erhalten. Weil es sich um eine Kreisstraße handelt, wurden den Anliegern die Bordsteine, Wasserkanäle und die Beleuchtung anteilig in Rechnung gestellt. Sie kritisieren das Vorgehen der Gemeinde: "Alle öffentlichen Straßen sind ja für alle öffentlich. Deswegen sagt man ja öffentlich. Darum finde ich es persönlich nicht in Ordnung, wenn einige bezahlen und andere nicht", sagt Peter Kromer, einer der Anlieger. "Die Straße wird von allen benutzt. Eigentlich müsste jeder Bürger in Deutschland einen Bescheid kriegen, wenn so etwas ist, das wäre das Gerechteste."
Bald zehn Bundesländer verzichten auf Gebühr
Die Straßenausbaubeitragssatzung steht im niedersächsischen Kommunalabgabengesetz. Dort ist festgelegt, dass Städte und Gemeinden Grundstücksbesitzer an den Kosten des Straßenausbaus beteiligen können. Für Durchfahrtsstraßen können das 40 Prozent der Gesamtkosten sein, für Anliegerstraßen bis zu 75 Prozent. Die Anliegerinnen und Anlieger erhalten dazu einen Zahlungsbescheid. Im Jahr 2019 hat die niedersächsische Landesregierung den Kommunen eingeräumt, die Beiträge in Form von sogenannten wiederkehrenden Beiträgen einzuziehen. Deutschlandweit gibt es neun - bald zehn - Bundesländer, die keine Straßenausbaubeiträge erheben.
Niedersachsen: 43 Prozent der Kommunen erheben die Gebühr
Von den niedersächsischen Kommunen, die an der landesweiten NDR Umfrage teilgenommen haben, erheben immer noch 43 Prozent Straßenausbaubeiträge. Einige Kommunen haben angegeben, auf die finanziellen Mittel angewiesen zu sein.
Straßenausbaubeiträge in Niedersachsen – Übersichtskarte
Je nach Kommune finden sich allerdings Unterschiede bei der Erhebung. In Wardenburg (Landkreis Oldenburg) wurde die Satzung zum Beispiel so gestaltet, dass der Beitrag nicht einmalig, sondern verteilt auf fünf oder zehn Jahre gezahlt werden kann, wenn die Beitragspflichtigen dieses beantragen. In Hardegsen (Landkreis Northeim) hat die Gemeinde 2019 eine Einwohnerbefragung durchgeführt. Das Ergebnis: Die Mehrheit war für die Beibehaltung der Straßenausbaubeitragssatzung. Dagegen erhebt jede dritte Kommune in Niedersachsen keine Straßenausbaubeiträge mehr oder hat nie welche erhoben. Vor allem in den vergangenen drei Jahren wurden Straßenausbaubeiträge zunehmend abgeschafft - seit 2019 jährlich in mehr als 50 Kommunen.
Abschaffung der Straßenausbaubeiträge in den vergangenen 33 Jahren
Bürgerinnen und Bürger wehren sich
Immer wieder protestieren Bürgerinnen und Bürger gegen die Gebühr. Etwa 100 Bürgerinitiativen gibt es mittlerweile in Niedersachsen. Sie haben sich zum niedersächsischen Bündnis gegen die Straßenausbaubeiträge zusammengeschlossen. "Ungerecht, unsozial und auch nicht mehr zeitgemäß" - so bewerten sie die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen. In der Stadt Einbeck (Landkreis Northeim) hatte sich die "Bürgerinitiative gegen die Strabs" drei Jahre lang gegen die Straßenausbaubeiträge gewehrt - mit Plakaten, Flyern, Aktionen, Informationsveranstaltungen und Pressearbeit. Schließlich hat der Stadtrat im August 2021 der Abschaffung zugestimmt. Seit Dezember 2021 erhebt die Stadt Einbeck keine Straßenausbaubeiträge mehr. Stattdessen hob Einbeck die Grundsteuer B an, um mit diesen Einnahmen den Straßenausbau zu finanzieren.
Forderungen an das Land Niedersachsen
Einige Gemeinden diskutieren intern über die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Viele fordern die Landesregierung auf, eine einheitliche Lösung zu schaffen. Auch Verbände stellen sich hinter Bürgerinnen und Bürger. "Die einzige Lösung aus unserer Sicht ist die landesweite Abschaffung und Kompensation durch das Land", sagt Tibor Herczeg vom Verband Wohneigentum.
Straßenausbau: Viele Städte bitten weiter zur Kasse - NDR.de
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