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Saturday, July 16, 2022

Documenta ohne Chefin: Ein Auflösungsvertrag, hinter dem viele sich wegducken wollen - DER SPIEGEL

Nicht mehr Generaldirektorin der Documenta: Sabine Schormann stimmte der Auflösung ihres Vertrages zu

Nicht mehr Generaldirektorin der Documenta: Sabine Schormann stimmte der Auflösung ihres Vertrages zu

Foto: Swen Pförtner / dpa

Über keine andere Kunstschau der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte ist so unerbittlich und unerquicklich gestritten worden wie über die 15. Documenta in Kassel. Für immer wird die Ausstellungsreihe nun mit einem echten Skandal verbunden sein, und der geht sogar noch weit über die gezeigten antisemitischen Motive hinaus. Es wurde viel Vertrauen zerstört, in Personen, in Instanzen, aber auch in die Idee, dass in der Kunst doch immer alle auf derselben und irgendwie auf der richtigen Seite stehen.

Dass die erst 2018 berufene Generaldirektorin Sabine Schormann einer Auflösung ihres Vertrages zustimmte, wie am Freitag geschehen, erschien immer unausweichlicher, wird aber das verlorene Vertrauen nicht wieder zurückbringen. Sie war ja nur eine unter vielen, die ziemlich viel falsch gemacht hat. Alle anderen haben sich nur schneller weggeduckt.

Niemand machte in der Sache eine gute Figur, nicht Schormann, nicht der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle, auch nicht die diversen involvierten Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker. Die Öffentlichkeit wurde verwirrt mit einem ganzen Aufgebot an Äußerungen, Erklärungen und immer aggressiveren Vorwürfen. Am Ende verfestigte sich der Eindruck, jeder habe seine eigene Wahrheit. Allein die Aussagen der Generalsekretärin Sabine Schormann und die der Kulturstaatsministerin Claudia Roth bargen erstaunliche Widersprüche. Dabei widersprachen sie sich gegenseitig und nicht selten auch sich selbst.

Am Freitagabend tagte der Aufsichtsratssitzung der Documenta GmbH, und es war naheliegend, wie die Zusammenkunft ausgehen würde. Eben mit dem Aus für Schormann. Aber dabei bleibt es garantiert nicht. Mit Sicherheit werden weitere Konsequenzen gezogen, nur nicht unbedingt die richtigen.

Ein kulturpolitischer Abgrund, der größer ist als Kassel

Angela Dorn, die grüne hessische Kunstministerin und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, weist im Sinne ihrer Parteikollegin Roths ja schon seit geraumer Zeit darauf hin, dass die Documenta neue Strukturen brauche. Claudia Roth selbst hatte Ende Juni mehr »Mitwirkungsmöglichkeit« des Bundes gefordert, obwohl sie kurz vor Beginn der Documenta noch bekannt hatte, keine Kulturpolizistin sein zu wollen.

Roth drohte auch damit, die Documenta nicht mehr bezuschussen zu wollen. Solche Details führen wiederum zu der Frage, wie es um den deutschen Kulturbetrieb steht, wer hat da wirklich das Sagen, wer zieht die Fäden, gibt es die viel gerühmte Kunstfreiheit überhaupt? An der aktuellen Documenta zeigt sich mehr als nur ihre eigenen Inkompetenzen. Es offenbart sich ein ganz anderer Abgrund, und der ist größer als Kassel.

Für den Zentralrat der Juden scheint die Documenta jedenfalls ein Beispiel unter vielen zu sein, eine antiisraelische bis antisemitische Tendenz erkennt er auch in vielen anderen deutschen Kultureinrichtungen. Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrates, hat das vor Kurzem öffentlich und unmissverständlich gesagt, er hat auch Namen solcher Institutionen genannt, die mehr oder weniger direkt vom Bund am Laufen gehalten werden.

Aber offenbar waren viele taub auf dem Antisemitismus-Ohr, sie nahmen lieber die israelfeindliche Boykottbewegung BDS in Schutz. Denn mit dem Verdacht fing die Debatte im Januar 2022 ja an: Dass der BDS – dem auch der Deutsche Bundestag 2019 antisemitische Muster und Methoden bescheinigte – diese 15. Documenta im Griff haben könnte. Der Zentralrat der Juden scheint davon auszugehen, dass er in Deutschland noch weit mehr im Griff hat.

Wüsste man, wie sich der Documenta-Skandal wirklich entwickelt hat, würde man viel darüber lernen, wie Kultur hierzulande betrieben wird – und endlich offen darüber diskutieren.

Gern hätte man etwa Kenntnis darüber, wer wann welche Strippen gezogen hat. Man weiß, Anfang 2019 wurde die indonesische Künstlergruppe Ruangrupa mit der künstlerischen Leitung der 15. Documenta beauftragt. Doch wer hatte die Idee, Ruangrupa zu berufen?

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    Man kennt die Namen, aber nicht die Absichten jener Leute, die in der sogenannten Findungskommission saßen, obwohl zwei als ausgemachte Freunde der Israelkritik gelten. Wer aber hat nun – mit welcher Intention – die Mitglieder der Findungskommission bestimmt?

    Auf Anfrage des SPIEGEL hat die Documenta-Pressestelle am Donnerstag mitgeteilt, die Mitglieder der Findungskommission seien bereits im August 2018 berufen worden. Da war Schormann noch nicht im Amt. Im Amt waren andere: Den Aufsichtsrat der Documenta führte wie auch heute noch der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle an. Sein Stellvertreter war der damalige hessische Kunstminister und CDU-Politiker Boris Rhein, der heute Ministerpräsident Hessens ist. Jener Aufsichtsrat hat also jene Leute berufen, die Ruangrupa geholt haben. Stimmt die Information der Documenta, war das eben in der Prä-Schormann-Ära.

    Heute sagt Rhein, die Strukturen der Documenta müssten auf den Prüfstand. Doch solche Aussagen lenken nur davon ab, dass diese 15. Documenta auf den Prüfstand muss und alle Vorgänge und Akten mit auf den Tisch zu bringen sind. Ein Untersuchungsausschuss hätte einiges zu tun, um Licht ins Documenta-Dunkel zu bringen. Aber eigentlich könnte man sich erst dann, wenn alle Informationen vorliegen, vernünftig über Gegenwart und Zukunft der Kasseler Schau und der deutschen Kulturpolitik unterhalten.

    Viele könnten sich natürlich auch von sich aus und jetzt schon zu ihrer Verantwortung bekennen. Insbesondere gilt das für Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die einerseits spät ins Spiel kam, sie macht ihren Job schließlich erst seit Dezember 2021. Anderseits hat sie dann – und das über Monate – die Gelassene gegeben. Womöglich ist es dabei von Bedeutung, dass sie auch einst die Verurteilung des BDS durch den Bundestag für übertrieben hielt.

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      Erst neuerdings betont sie zwar, sie habe früh gewarnt, habe ihr Bestes gegeben, um die Documenta in die richtige Spur zu bringen. Dem SPIEGEL gegenüber sagte sie noch im Juni: »Also, ich finde, die anstehende Eröffnung der Documenta sollte auch ein Anlass zur Freude sein.« Klingt so jemand, der besorgt ist?

      Schormann ist gegangen, und dieses Ende ist nun hoffentlich ein Anfang echter Aufklärung. Alles andere gäbe wirklich Grund zur Besorgnis.

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