Menschen, die über Jahre häufig Antibiotika nehmen mussten, erkranken zu 17 Prozent häufiger an Darmkrebs. Das klingt nach viel, ist aber kein Grund für Panik.
Jedes Jahr erkranken etwa 27.000 Frauen und 32.000 Männer an Darmkrebs, es ist die dritthäufigste Krebserkrankung. Entsprechend groß ist das Interesse herauszufinden, welche Faktoren das Risiko erhöhen, daran zu erkranken - zumal jedes Jahr etwa 25.000 der Patienten an ihrem Darmkrebs sterben.
Jetzt hat eine Studie die häufige Einnahme von Antibiotika als einen dieser Risikofaktoren identifiziert. Um 17 Prozent sei es erhöht bei Menschen, die über Jahre häufig Antibiotika genommen haben, gegenüber jenen, die die wichtigen Medikamente gegen Infektionen nur selten benötigten.
Das ist wichtig zu wissen, ein Grund zur Panik ist es indes nicht.
Ein Blick in die Vergangenheit der Darmkrebsrisikokommunikation hilft: 2015 beunruhigte eine Meldung der Weltgesundheitsorganisation, "Wurst und Schinken" (50 Gramm verarbeitetes Fleisch täglich) erhöhe das Darmkrebsrisiko um 18 Prozent, viele Menschen, zumal die noch immer überwiegend carnivoren Deutschen Fleisch erschien damit fast so "gefährlich" wie der nachweislich krebserregende Stoff Asbest oder der regelmäßige Konsum von Zigaretten.
Wer sich die Zahlen der zugrundeliegenden Studien allerdings genauer anschaute, erkannte schnell: Bei den genannten 18 Prozent handelte es sich um das "relative", nicht das "absolute" Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Während in Europa jeder Mensch ein etwa fünfprozentiges Risiko hat, irgendwann in seinem Leben überhaupt an Darmkrebs zu erkranken, haben diejenigen, die viel Wurst und Schinken essen, der WHO zufolge, ein relativ dazu um 18 Prozent erhöhtes Darmkrebsrisiko. Das absolute Risiko, je an Darmkrebs zu erkranken, erhöht sich dadurch aber lediglich auf etwa sechs Prozent. Keine Bagatelle, aber eine eher wenig spektakuläre, und auch weniger beunruhigende Erkenntnis.
Antibiotika verändern die Darmflora
So ist auch die aktuelle Meldung eines Forschungsteams um Sophia Harlid von der schwedischen Universität Umeå einzuordnen, Antibiotika würden das Darmkrebsrisiko "um 17 Prozent" erhöhen. Auch in diesem Fall steigt das absolute Darmkrebsrisiko von fünf auf um die sechs Prozent.
Dennoch ist die Studie, veröffentlicht im "Journal of the National Cancer Institute" und an einer sehr großen Untersuchungsgruppe durchgeführt, interessant und durchaus Anlass, über den angemessenen Einsatz von Antibiotika nachzudenken.
Harlids Team verglich 40.000 Darmkrebs-Patienten mit gut 200.000 gesunden Menschen. Offenbar hatten die Erkrankten im Untersuchungszeitraum 2005 bis 2016 statistisch häufiger Antibiotika eingenommen als die gesunden Menschen in der Vergleichsgruppe. Der Rückschluss: Die Wahrscheinlichkeit, an Dickdarmkrebs zu erkranken, steigt bei häufigem Antibiotikakonsum um 17 Prozent.
Die schwedischen Forschenden erklären ihr Resultat damit, dass Antibiotika im Darm das Mikrobioms verändern. Diese Gemeinschaft der Mikroorganismen, ist ein wesentlicher Teil der gesunden Darmschleimhaut. Viele verschiedene Bakterienstämmen besiedeln den Darm, beteiligen sich an der Verdauung und spielen auch für die Funktion des Immunsystems eine wichtige Rolle.
Antibiotika können diese Darmflora schädigen, was zu Durchfallerkrankungen oder Entzündungen führen kann – und womöglich auch das Darmkrebs-Risiko erhöhen, wie die Studie zeigt.
"Es gibt Menschen, bei denen nach einer Antibiotika-Einnahme eine Art Narbe im Mikrobiom bleibt", sagt Andreas Stallmach von der Uniklinik Jena, der nicht an der Studie beteiligt war. Warum das bei manchen Menschen passiert und bei anderen nicht, sei Gegenstand aktueller Forschung, sagt der Direktor der Klinik für Gastroenterologie an der Uniklinik Jena.
Vor allem eine antibiotische Therapie für mehr als sechs Monate steigerte der Studie zufolge das Risiko, einen Tumor in den oberen Abschnitten des Dickdarms zu bekommen. Dort leben die meisten Bakterien, die von Antibiotika abgetötet werden.
Doch nicht jedes Antibiotikum scheint den gleichen Effekt zu haben: Antibiotika, die auf der Wirkstoffklasse der Chinolone basieren, erhöhten der Analyse zufolge das Risiko besonders stark.
Bei Frauen reduzieren Antibiotika das Risiko für einen Enddarmkrebs
Im Rektum (Enddarm), dem letzten Teil des Dickdarms, zeigte sich ein umgekehrter Effekt: Dort waren Frauen, die Antibiotika genommen hatten, seltener von Tumoren betroffen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Infektionen mit bestimmten Bakterien, etwa Chlamydien, bei Frauen oft Entzündungen der Darmschleimhaut verursachen, die zur Krebsentstehung beitragen können. Eine erfolgreiche Antibiotika-Therapie eliminiere den Erreger, so dass sich die Schleimhaut erholen könne, vermuten die Forscher:innen.
"Unsere Ergebnisse unterstreichen die Tatsache, dass es viele Gründe gibt, Antibiotika nicht großzügig zu verschreiben", erklärt Harlid in einer Mitteilung ihrer Universität. Viele Erkrankungen würden auch ohne antibakterielle Therapie ausheilen.
Auch Stallmach plädiert für einen rationalen Umgang mit Antibiotika. Trotzdem seien die Medikamente nach wie vor unersetzlich, um bakterielle Infektionen zu behandeln.
Muss nun jeder, der Antibiotika eingenommen hat, Sorge vor Darmkrebs haben? "Es gibt absolut keinen Grund zur Beunruhigung, nur weil Sie Antibiotika genommen haben", betont Harlid.
"Patienten, die über einen längeren Zeitraum Antibiotika einnehmen, sollten auf jeden Fall an der Darmkrebs-Vorsorge teilnehmen", rät Stallmach. Bei einer regelmäßigen Darmspiegelung können Tumore schon im frühen Stadium entdeckt und entfernt werden. Die Darmkrebs-Vorsorge wird in Deutschland für Männer ab dem 50. und für Frauen, aufgrund eines generell geringeren Risikos, ab dem 55. Lebensjahr von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. (mit dpa)
„Narben“ in der Darmflora: Wer viele Antibiotika nimmt, steigert sein Darmkrebsrisiko – ein wenig - Tagesspiegel
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