Stand: 07.09.2021 06:22 Uhr
Im Kampf ums Kanzleramt will Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock wieder Boden gut machen. Einige Zuschauer in der ARD-Wahlarena finden, dass sie sich gut geschlagen hat. Andere sind weniger überzeugt.
Sie kommen aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt oder sogar vom Bodensee. 65 Menschen haben den teils langen Weg auf sich genommen, um an diesem Abend in Lübeck zu sein. Sie warten vor einer großen Industriehalle. Manche in der Schlange reden über Politik, andere übers Wetter oder die Anreise. Eine Schülerin macht im Stehen sogar ihre Hausaufgaben. Sie alle sind gespannt darauf, was sie in der Lübecker Kulturwerft erwartet, in der die ARD-Wahlarena aufgebaut ist. Denn für diese Live-Sendung haben sie sich als Zuschauer beworben. Und zwar mit Fragen, die sie nachher einer ganz bestimmten Frau stellen wollen. Einer Grünen, die Kanzlerin werden will. "Ich möchte gerne wissen, wie Annalena Baerbock Deutschland regieren möchte, was sie besser machen will als die aktuelle Bundesregierung und wie teuer das für uns wird", sagt eine Frau aus Niedersachsen. Die Wartenden um sie herum nicken. Dann beginnt der Einlass.
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Die Spannung steigt
Die Zuschauer - alle geimpft, genesen oder getestet - gehen durch den Eingang. Sicherheitscheck. Ähnlich wie im Flughafen werden hier Taschen durchleuchtet. Danach gönnen sich einige noch eine Suppe oder eine Limonade. Und dann geht es für die Gäste auch schon auf die blauen Sitztribünen der Wahlarena. 200 Scheinwerfer und Lampen sorgen hier nicht nur für viel Licht, sondern auch dafür, dass einem doch recht warm wird. Die Spannung steigt. Nicht nur fürs Publikum, auch für diejenige, die sich gleich den Fragen stellen muss. Annalena Baerbock steht hinter den Kulissen. Einer ihrer Mitarbeiter gibt ihr einen Pfefferminzbonbon. Gleich in den Mund damit. Baerbock wirkt etwas angespannt, guckt ernst. Dann wird sie in die Arena gerufen. Applaus. Sie lächelt, gibt sich locker. Der Auftritt muss sitzen, ist eine Chance: Viele Zuschauer im Publikum und zu Hause vor den Fernsehbildschirmen wissen noch nicht, wen sie in knapp drei Wochen wählen wollen.
Baerbock steht zum Tempolimit
Doch gleich die erste Frage könnte für die Befragte unangenehm werden. Sie zielt auf das Image der Grünen als Verbotspartei ab: Will Baerbock wirklich ein Tempolimit von 130 auf den Autobahnen? Doch die Kanzlerkandidatin steht dazu, weicht nicht aus. Auch wenn die Antwort sicher nicht jedem Zuschauer gefallen dürfte. Die Politikerin formuliert es positiv: Eine Geschwindigkeitsbegrenzung sei eine Art "Spielregel", die gut für das Klima und für die Verkehrssicherheit sei. Schnell merkt man: Der mitunter als zu forsch kritisierten Baerbock liegt das Format. Sie gerät nicht ins Stocken, gibt sich zugewandt, versucht ab und an, Gespräche aufzubauen, scherzt, geht demonstrativ auf die Fragenden zu und hockt sich vor eine Rollstuhlfahrerin, um mit ihr wortwörtlich auf Augenhöhe zu sprechen.
Ostholsteinerin: Was tun für schnelleren Internet-Ausbau?
Danach ist eine Strandkorbflechterin an der Reihe. Sie kommt aus einem Dorf nahe Scharbeutz an der Ostsee. Das Problem dort und anderswo: Der schleppende Ausbau des schnellen Internets. Die Frage: Wie würden die Grünen den Ausbau beschleunigen? Baerbocks Antwort: Bei den Ausschreibungen festlegen, dass Gesellschaften das Internet in städtischen und ländlichen Regionen gleichermaßen ausbauen. Hier zeigt sich Annalena Baerbocks Vorteil. Für viele Probleme, die die Zuschauer bedrücken, ist sie nicht direkt verantwortlich, weil sie bisher nicht Teil der Bundesregierung war. Und so nimmt die Kandidatin so manche Frage als Steilvorlage und unterstreicht, was sie als Kanzlerin alles besser machen würde: Mehr Geld für Kinderbetreuung, Pflege, Polizei, stärkere Unterstützung für die krisengebeutelte Kulturbranche.
Zuschauer geteilter Meinung
Wie sie das gegenfinanzieren will? Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Einführung der Vermögenssteuer und mit einem härteren Kampf gegen Steuerhinterziehung. Doch das überzeugt hier längst nicht jeden in der ARD-Wahlarena. Manche schütteln den Kopf und halten es, wie ein Mann aus der Nähe von Münster nach der Sendung formuliert, für "absolut unrealistisch, dass Baerbocks Wahlversprechen überhaupt bezahlbar sind". Andere Besucher hätten sich "weniger Phrasen und mehr Konkretes" gewünscht. Gleichzeitig gibt es mehrere Zuschauer, die Annalena Baerbock als "überzeugend", "souverän", "sympathisch" und "selbstbewusst" empfunden haben.
Kandidaten von SPD und Union auch noch dran
Doch reicht das, um am Ende Deutschlands erste grüne Kanzlerin zu werden? Das bezweifeln viele in der Kulturwerft. Vielfach ist hier zu hören, dass es jetzt darauf ankomme, wie sich die anderen Kandidaten in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl anstellten. Wer leistet sich vielleicht noch Ausrutscher? "Bevor ich mich entscheide, wen ich wähle", meint eine ältere Dame beim Verlassen der ARD-Wahlarena, "werde ich mir erst noch die anderen Sendungen mit Olaf Scholz (7.9.) und Armin Laschet (15.9.) angucken". Denn auch die Kandidaten von SPD und Union werden sich in Lübeck noch den Fragen der Zuschauer stellen. Diejenigen, die am Montagabend hier waren, fahren nun wieder nach Hause. Einige bestärkt in ihrer Meinung, aber andere nach wie vor noch ein wenig ratlos, wo sie am 26. September dann tatsächlich ihr Kreuz machen werden.
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Baerbock in Lübecker Wahlarena: Viele Fragen - NDR.de
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