Essen In NRW pflegen Angehörige rund 650.000 Menschen. Dafür gibt es zusätzliche Rentenpunkte – doch manche Angehörige gehen leer aus.
Der größte Pflegedienst in NRW ist die Familie: Zwei Drittel der pflegebedürftigen Menschen in NRW, die zu Hause leben, werden in ihren eigenen vier Wänden von Angehörigen betreut und versorgt. Landesweit sind das nach aktuellsten Zahlen rund 650.000 Menschen, denen auf diesem Weg das Leben im gewohnten Umfeld ermöglicht wird. Für die pflegenden Angehörigen ist das oft mit beruflichen Einbußen verbunden, manche geben ihren Job ganz auf. Deshalb zahlt die Pflegeversicherung pflegenden Angehörigen unter bestimmten Voraussetzungen Beiträge zur Rentenversicherung.
Welche pflegenden Angehörigen erhalten zusätzliche Rentenpunkte?
Das elfte Sozialgesetzbuch enthält Vorgaben zur sozialen Pflegeversicherung und regelt auch, wer im Pflegefall Anspruch auf zusätzliche Rentenpunkte hat. Voraussetzungen sind:
- Familienmitglieder müssen sich mindestens zehn Stunden in der Woche verteilt auf mindestens zwei Tage pro Woche um einen pflegebedürftigen Angehörigen kümmern.
- Der Pflegebedürftige muss mindestens Pflegegrad 2 haben, festgestellt durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK). Er muss also Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung haben. Er muss zudem in Deutschland, im europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz leben.
- Der Angehörige muss der Pflegeversicherung als Pflegeperson gemeldet sein.
Gemeldete Pflegepersonen sind übrigens auch unfallversichert, soweit der Unfall mit einer Pflegetätigkeit zu tun hat. Freizeitaktivitäten an der Seite des pflegebedürftigen Angehörigen zählen nicht dazu.
Erhalten auch Vollzeitkräfte zusätzliche Rentenpunkte?
Nein. Der Anspruch besteht nur für Berufstätige, die nicht mehr als 30 Stunden in der Woche in ihrem Job arbeiten. Auch wenn sie zusätzlich zur Vollzeitstelle noch 15 oder 20 Stunden in der Woche pflegen, erhalten diese Beschäftigten keinen zusätzlichen Rentenpunkt für die Pflege. Die Höhe des Einkommens ist dabei nicht entscheidend. Hintergrund dieser Regelung ist auch, dass der Gesetzgeber Pflege von zehn Wochenstunden und mehr zusätzlich zu einer Vollzeitbeschäftigung für nicht zumutbar hält.
Warum gibt es keine Rentenpunkte, wenn der pflegebedürftige Angehörige den Pflegegrad 1 hat?
Mit der Pflegereform 2017 sind die alten Pflegestufen abgeschafft und durch neue Pflegegrade ersetzt worden. Seitdem wird sehr viel mehr darauf geachtet, wie selbstständig eine pflegebedürftige Person noch ist. Bei Menschen mit Pflegegrad 1 geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Selbstständigkeit nur geringfügig eingeschränkt ist. Auch Leistungen des ambulanten Pflegedienstes werden bei Pflegegrad 1 nicht von den Kassen übernommen. Betroffene haben aber Anspruch auf Entlastungsbeträge oder Gelder für Pflegehilfsmittel.
Was muss man tun, damit die Pflegekasse Rentenbeiträge zahlt?
Angehörige müssen bei der Pflegekasse der pflegebedürftigen Person einen Antrag auf Zahlung der Beiträge zur sozialen Sicherung stellen. Ob jemand die Voraussetzungen einer Pflegeperson erfüllt, wird durch ein Gutachten geprüft. Entscheidend ist laut „Pflegewegweiser NRW“ vor allem die Einschätzung, wie viel Zeit die Pflege in Anspruch nimmt.
Worauf ist bei der Meldung als Pflegeperson an die Pflegeversicherung zu achten?
Der Sozialverband VdK NRW rät grundsätzlich dazu, eine Pflegebedürftigkeit bei der Pflegeversicherung anzumelden, sobald sie sichtbar wird. Selbst wenn damit noch kein Leistungsanspruch verbunden ist – dafür muss der MDK die pflegebedürftige Person zunächst begutachtet haben – vereinfache schon eine Meldung bei ersten Anzeichen spätere Abläufe mit der Versicherung. Voraussetzung, damit ein Angehöriger als Pflegeperson gemeldet werden kann, sind:
- Die Pflege darf nicht erwerbsmäßig ausgeübt werden – das Pflegegeld darf aber weitergereicht werden.
- Die Begutachtung durch den MDK hat stattgefunden und ein Pflegegrad ist bewilligt.
- Pflege muss in häuslichem Umfeld stattfinden und mindestens zehn Stunden in der Woche umfassen.
Wonach richtet sich, wie viele Rentenpunkte ein pflegender Angehöriger erhält?
Die Pflegezeit wird laut Deutscher Rentenversicherung grundsätzlich wie Beitragszeit gezählt. Zusätzlich zahlt die Pflegekasse Rentenbeiträge. Generell kann man sagen: Je geringer der Pflegegrad des pflegebedürftigen Angehörigen ist, umso weniger Rentenpunkte sammelt man bzw. desto geringer fällt der Rentenbeitrag aus. Ein Beispiel: Bei Pflegegrad 2 gibt es 8,77 Euro im Monat, bei Pflegegrad 5 können das bis zu 33,49 Euro sein (Ost: 8,59 bzw. 31,80 Euro). Genaue Tabellen gibt es hier.
Welchen Unterschied macht es, wenn auch ein ambulanter Pflegedienst eingeschaltet ist?
Die Rentenbeiträge verringern sich. Nimmt der Pflegebedürftige neben Pflegegeld auch Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes in Anspruch, hier spricht man von sogenannten Kombileistungen, sinken die Rentenbeiträge auf 7,46 Euro im Monat bei Pflegegrad 2 bzw. 27,62 Euro/Monat bei Pflegegrad 5 (Ost: 7,30 bzw. 27,03 Euro). Genaue Tabellen gibt es hier.
Gilt das auch, wenn man sich die Pflege mit einem anderen Angehörigen teilt?
Man kann sich die Pflege auch mit einer anderen Person teilen und erhält trotzdem zusätzliche Rentenpunkte. Der Rentenbeitrag wird aber unter den Pflegenden aufgeteilt. Entscheidend ist, darauf weist die Deutsche Rentenversicherung ausdrücklich hin, dass der Pflegeaufwand je Person bei mindestens zehn Stunden in der Woche liegt.
Gibt es Rentenpunkte, wenn der pflegende Angehörige arbeitslos ist?
Ja. Wer pflegt und deshalb seinem eigentlichen Beruf nicht nachgehen kann, für den gelten die gleichen Regeln wie für pflegende Angehörige in der Berufstätigkeit. Dabei ist es laut Sozialverband VdK NRW nicht entscheidend, ob jemand schon vor der Pflegezeit arbeitslos gemeldet war.
Anders ist das bei der Arbeitslosenversicherung: Für Pflegepersonen, die wegen der Pflege eines Angehörigen vorübergehend nicht erwerbstätig sind, zahlt die Pflegekasse Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Das gilt aber nur, wenn die Pflegepersonen vor Übernahme der Pflege angestellt waren.
Auch Menschen, die im Vorruhestand sind oder Erwerbsminderungsrente beziehen, können während der Pflege eines Angehörigen Rentenansprüche sammeln. Für sie zahlt die Pflegeversicherung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze ebenfalls in die Rentenkasse ein. Dazu muss ein Angehöriger als Pflegeperson gemeldet sein.
Auch Rentnerinnen und Rentner können ihre Rente verbessern, wenn sie beispielsweise einen Partner oder eine Partnerin pflegen. Dazu müssen sie ihren Rentenbezug ändern. Laut VdK reicht ein formloses Schreiben an die Rentenversicherung, dass der Betroffene künftig eine Teilrente beziehen wolle. Das können zwischen zehn und 99,9 Prozent der bisherigen Rente sein. Die Pflegekasse zahlt dann für die Zeit der Pflege wieder Rentenbeiträge, sodass die Rente insgesamt nach Ende der Pflegezeit verbessert sein soll..
Wir erleben sehr häufig, dass sich Angehörige erst dann mit dem Thema Pflege auseinandersetzen, wenn sie einen akuten Pflegefall in der Familie haben. Das ist zu spät.
Martin Franke - Referent für Sozialpolitik beim VdK NRW
Lohnt sich all das überhaupt?
Der VdK verweist auf den Einzelfall: Die übernommenen Rentenbeiträge fallen häufig niedriger aus als bei einer Vollzeitstelle. Das hänge vom Verdienst ab. Als Orientierung: Um einen Rentenpunkt gutgeschrieben zu bekommen, muss man aktuell 3395 Euro brutto verdient haben. Liegt der Verdienst über dieser Summe, stellt man sich in der Zeit der Pflege finanziell schlechter. Der Sozialverband VdK fordert seit Längerem die Einführung eines Pflegelohns, um die existenziellen Sorgen pflegender Angehöriger aufzufangen.
Was rät der Experte pflegenden Angehören generell?
Martin Franke, Referent für Sozialpolitik beim VdK NRW, rät Betroffenen grundsätzlich, sich frühzeitig mit dem Thema Pflege zu beschäftigen. „Wir erleben sehr häufig, dass sich Angehörige erst dann damit auseinandersetzen, wenn sie einen akuten Pflegefall in der Familie haben. Das ist zu spät“, sagt Franke. „In so einer oft herausfordernden Situation möchte und kann man sich nicht unbedingt noch in Formalitäten einarbeiten.“
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