Die erste Crispr-Gentherapie ermöglicht Änderungen im Erbgut. Ist das Verfahren eine Blaupause für universelle Therapien gegen alle möglichen genetisch bedingten Krankheiten? Drei Experten antworten.
Die europäische Arzneimittelbehörde Ema hat erstmals die bedingte Zulassung einer auf der Genscheren-Technologie Crispr basierenden Therapie empfohlen. „Casgevy“ sei für die Behandlung der Sichelzellkrankheit und der Beta-Thalassämie bei Patienten ab zwölf Jahren geeignet, teilte die Ema mit. Einer EU-weiten Marktzulassung muss noch die EU-Kommission zustimmen. Die Genschere Crispr/Cas kann gezielt auf einzelne Gene ausgerichtet werden. Die Entwicklerinnen der Methode, Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna, hatten dafür 2020 den Nobelpreis erhalten.
In unserer Serie „3 auf 1“ bewerten drei Fachleute den medizinischen Fortschritt und beurteilen die Erfolgsaussichten. Alle Folgen von „3 auf 1“ finden Sie hier.
Ein extrem wichtiges Signal
Zwei neue Gentherapien für schlecht behandelbare Blutkrankrankheiten wurden in den USA zugelassen – das ist ein extrem wichtiges Signal. Damit können beispielsweise Patientinnen und Patienten mit der erblich bedingten Sichelzellkrankheit behandelt werden. Zur Herstellung eines der beiden Medikamente, Casgevy, wurde die Genschere Crispr/Cas9 eingesetzt. Diese Tür ist nun geöffnet.
Bei Casgevy dient die Genschere dazu, Zellen außerhalb des Körpers zu modifizieren. Anschließend werden die gesunden Zellen transplantiert, die Risiken dabei sind kontrollierbar.
Weitere Gentherapien für unbehandelbare Krankheiten, z.B. Muskelschwundkrankheiten, werden auch in Europa und Deutschland folgen. Intensiv wird auch daran geforscht, die Genschere im Körper der Patienten einzusetzen, ohne dafür Zellen zu entnehmen. Da die Risiken hier größer sind, erwarte ich erste Zulassungen aber erst in einigen Jahren.
Jahrzehntelange Pionierarbeit
Die Sichelzellanämie war eine der ersten „molekularen“ Erkrankungen, die man auf Ebene des Erbguts verstanden hat. Trotzdem gab es für diese Patienten und Patientinnen über Jahrzehnte leider keine gezielte Therapie. Das wird jetzt durch Geneditierung möglich, also die präzise Veränderung der DNA-Sequenz.
Als erste Crispr-Therapie ist das ein bahnbrechender medizinischer Fortschritt. Man kann sicher von einer neuen Ära der Medizin sprechen. Das war nur möglich durch jahrzehntelange Pionierarbeit und Entdeckungen in den Grundlagenwissenschaften, aber auch durch Biotech-Unternehmen, die diese Therapien aufwändig weiterentwickelt und getestet haben.
Die Therapie der Sichelzellanämie ist nur ein Anfang: Es werden bereits mehrere andere Crispr-Therapien in klinischen Studien getestet. Dabei geht es zum Beispiel um die Behandlung von genetisch bedingten Fettstoffwechselstörungen, die zu stark erhöhten Cholesterinwerten führen.
Andere Beispiele sind genetisch bedingte Proteinablagerungen (Amyloidose) oder Erkrankungen des Immunsystems, wie das Hereditäre Angioödem. Dabei werden auch schon sogenannte Crispr-2.0-Werkzeuge eingesetzt, die noch präzisere Veränderungen des Erbguts erlauben.
Nur ein erster Schritt
Die Technik der Crispr-Genschere wurde erst vor zwölf Jahren erfunden und 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Doch schon in dieser kurzen Zeit sind viele medizinische Anwendungen entstanden, die jetzt in die Kliniken kommen.
Mit der Behandlung der Sichelzellanämie wurde in England und den USA eine erste therapeutische Anwendung zugelassen, die mittels Crispr/Cas9 ins Erbgut der Patienten eingreift – und sie ist nur ein erster Schritt. In kürzester Zeit hat es eindrucksvolle Folgeinnovationen gegeben, die die Technik effizienter und sicherer machen.
Die Genschere wird in allen Bereichen der Medizin Verwendung finden. Naheliegend ist natürlich, die DNA bei Krankheiten mit einer einzelnen genetischen Ursache zu korrigieren. Aber man wird Crispr auch bei weit verbreiteten Krankheiten, die durch verschiedene Faktoren entstehen, einsetzen können. Ein Beispiel ist die Atherosklerose, die durch genetische Faktoren, Verhalten und Umwelteinflüsse entsteht. Es laufen bereits Studien, die die Behandlung vieler Erkrankungen revolutionieren können.
Therapie mit Genschere: Werden viele Krankheiten heilbar? - Tagesspiegel
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