Das kann einem schon mal passieren: Man wird an einem Ort verwundet, den man die Hölle auf Erden nennt, und muss dann feststellen, dass der Panzerwagen, der einen ins Feldlazarett bringen soll, den Dienst verweigert.
Trotzdem hat man es eilig.
Andriy (28), ein Kämpfer aus Iwano-Frankiwsk (West-Ukraine), wurde in der Tschaikowski-Straße 3a in Bachmut vom Schrapnell einer russischen Granate getroffen.
Auf den ersten Blick scheinen die Verletzungen, die er erlitten hat, nicht allzu schlimm zu sein. Auf jeden Fall hätte es schlimmer kommen können: Zum Beispiel, wenn das Schrapnell, das ein Loch in seinen Kieferknochen gebohrt hat, ein paar Zentimeter höher gelandet wäre. Oder wenn er die Powerbank nicht in die Brusttasche seiner Splitterschutzweste gesteckt hätte.
Aber das bedeutet nicht, dass Andriy außer Gefahr ist. Überall, wo ein Splitter in seinen Körper eingedrungen ist, blutet er, vor allem sein rechtes Bein ist in schlechter Verfassung. Hat er Pech, ist eine Vene getroffen worden und er verblutet.
Andriy soll schnell ins Feldlazarett gebracht werden, doch der gepanzerte Wagen spielt nicht mit. Egal wie sehr der Fahrer Gas gibt, das Fahrzeug bewegt sich einfach nicht. Alexander, dem diensthabenden Sanitäter, bleibt nur eines übrig: fluchen.
Es scheint, als wolle das Auto nur noch hinter einer geschützten Mauer stehen. Als hätte selbst das Fahrzeug keine Lust mehr, seine Sicherheit in der Hölle von Bachmut zu riskieren.
Denn eines ist klar: Bachmut IST die Hölle.
Nirgendwo im laufenden Krieg wird härter gekämpft als in Bachmut, der Stadt im Donbass, die die Russen um jeden Preis erobern und die Ukrainer um jeden Preis halten wollen – mit allen Konsequenzen für das Leben vor Ort. Die Bewohner sind nirgends zu sehen – und die Journalisten auch nicht; schon seit Wochen hat es kaum ein Reporter geschafft, die schwer belagerte Stadt zu besuchen.
Zum Leidwesen der Ukrainer scheinen die Russen nach siebenmonatiger Belagerung langsam aber sicher die Schlacht um Bachmut zu gewinnen. Nur noch zwei Straßen verbinden die fast umzingelte Stadt mit dem Rest des ukrainisch kontrollierten Gebiets. Und auch in der Stadt selbst rücken die Russen Straße für Straße vor. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Bachmut vollständig in ihre Hände fällt.
Wie zäh die Verteidigung der Stadt ist, zeigt sich an der Stimmung im ukrainischen Lager. Die positive Energie, die einen in der Ukraine überall überrascht, selbst wenn es schlecht läuft, ist in Bachmut nicht zu spüren. Nur wenige Soldaten haben Lust auf ein Gespräch; während ständige Einschläge zu hören sind, sitzen sie still da und warten auf das, was kommen wird.
Die Stimmung unter den Militärs: angespannt, konzentriert, besorgt. Viele fragen sich, wofür sie in Bachmut kämpfen. Ob es sich wirklich noch lohnt, diese zerstörte Stadt gegen die immer neuen Angriffe der russischen Streitkräfte zu verteidigen.
Andriy, der verwundete Soldat, kann sich also glücklich schätzen, dass er es lebendig überstanden hat.
Andriy hat es rausgeschafft
Nachdem er mit einem Jeep im Eiltempo aus der Stadt gefahren wurde, auf einer Straße, die an den russischen Linien vorbeiführt, kann er mit einer guten Nachricht zu Hause anrufen: „Mama, mach dir keine Sorgen, alles wird gut.“
*Jan Hunin ist freier Reporter. Er ist gebürtiger Belgier und lebt in Polen. Seine Berichte veröffentlicht er u. a. in niederländischen Zeitungen. Vergangene Woche war in der umkämpften Stadt Bachmut in der Ost-Ukraine.
Bericht aus der Hölle von Bachmut: Viele Soldaten fragen sich, wofür sie kämpfen - BILD
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