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Thursday, March 2, 2023

"Schießt über das Ziel hinaus": Zu viele LNG-Terminals lösen auch keine Probleme - n-tv NACHRICHTEN

Russland dreht den Gashahn zu und Deutschland baut im Rekordtempo drei schwimmende Flüssigerdgas-Terminals. Weitere acht Terminals sollen in den nächsten drei Jahren hinzukommen. Zu viel, zu teuer und zu spät - und für die Energiesicherheit gar nicht nötig, sagen nun Experten.

Praktisch von einem Tag auf den anderen fällt die Hälfte der deutschen Gasimporte weg, als Russland den Hahn zudreht. Die außergewöhnliche Situation führt dazu, dass alle an einem Strang ziehen und im Rekordtempo drei schwimmende Flüssigerdgas-Terminals im Norden gebaut werden. Seit einigen Wochen fließen die ersten Kubikmeter LNG in deutsche Häfen. Und das soll erst der Anfang sein - die Bundesregierung plant, fünf weitere schwimmende und drei feste Terminals zu bauen. Doch eine neue Rechnung zeigt: "Die Regierung schießt über das Ziel hinaus", sagt Gunnar Luderer, Professor für Energiesysteme am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Gespräch mit ntv.de

Denn laut der vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Studie würden auch sieben schwimmende und ein festes Terminal ausreichen, um den Gasbedarf zu decken. Umgerechnet wären das 47 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas pro Jahr, wie Medien unter Berufung auf die Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI) berichten. Die Pläne der Bundesregierung würden Kapazitäten von rund 77 Milliarden Kubikmetern schaffen - knapp 40 Prozent mehr als die von der Studie errechneten notwendigen Kapazitäten - und weit mehr als die 55 Milliarden Kubikmeter, die sonst aus Russland importiert wurden.

"Wir kommen mit der aktuellen Gasversorgung gut voran"

Das Ausmaß, in dem die Regierung über das Ziel hinausschießt, könnte sogar noch größer sein. Denn das verlorene russische Gas muss in Deutschland nicht zwangsläufig vollständig durch LNG ersetzt werden.

Schon vor dem Nord-Stream-Aus hat Deutschland nicht nur Gas aus Russland bezogen. Der europäische Gasmarkt sorgte in der Hinsicht durchaus für Sicherheit. Wie gut das funktioniert, hat sich im Sommer gezeigt, als immer mehr russisches Gas wegfiel - die deutschen Speicher aber trotzdem gut gefüllt waren. Vor allem Belgien und die Niederlande ersetzten das verlorene Gas aus Russland durch höhere Lieferungen. "Wir kommen mit der aktuellen Gasversorgung gut voran - auch weil gute Fortschritte beim Gassparen erzielt wurden", so Luderer. "Und das, obwohl erst ein kleiner Teil der für Deutschland geplanten LNG-Kapazitäten am Netz ist."

Die LNG-Importe nach Deutschland haben wenig dazu beigetragen, Engpässe im Winter 2022 zu vermeiden. Denn die ersten Kubikmeter fließen erst seit dem 20. Dezember an deutschen Terminals ein. Ein zweites Terminal ist Anfang Februar 2023 hinzugekommen. Insgesamt haben die drei in Betrieb genommenen schwimmenden Terminals eine Kapazität von 14 Milliarden Kubikmetern. Sie werden also im kommenden Jahr einen guten Beitrag zur Gasversorgung leisten - eine deutliche Entlastung in der aktuellen Notlage.

Die verbleibenden fünf schwimmenden und drei festen Terminals, die das BMWK plant, haben jedoch einen viel längeren Zeitrahmen. Die letzten - und größten - Terminals werden nicht vor 2026 in Betrieb gehen. "Das ist ein Zeitpunkt, an dem die Gaskrise weitestgehend vorbei sein wird und der Gasmarkt schon durch einen weiteren Nachfragerückgang durch Klimaschutzmaßnahmen gekennzeichnet sein wird", sagt Luderer.

Dazu sind Laufzeiten von bis zu 20 Jahren geplant. Das würde LNG-Lieferungen für die Zeit nach 2045 bedeuten - dem Jahr, in dem sich die Bundesregierung gesetzlich verpflichtet hat, klimaneutral zu werden. "Nach 2025 werden keine zusätzlichen Kapazitäten mehr gebraucht", sagt Luderer. Die letzten drei - und größten - von der Bundesregierung geplanten Terminals wären dann höchstens als Ersatz für die schwimmenden Terminals relevant. Da müsste dann auch sichergestellt werden, dass sie für die spätere Umstellung auf Wasserstoff geeignet sind.

Zu teuer, zu spät

Selbst die Schätzung des EWI, die viel konservativer ist als die des BMWK, könnte zu großzügig sein. Die Kölner Studie geht davon aus, dass der Gasverbrauch konstant bleibt. Doch der wird in den nächsten Jahren deutlich sinken. Zwar wird durch den Ausstieg aus der Kohle- und Atomkraft mehr Gas zur Stromerzeugung eingesetzt werden müssen. Doch auf die gesamte Gasmenge wird das wenig Auswirkungen haben. Denn nur ein Bruchteil der gesamten Gasmenge wird in Deutschland verstromt.

Dagegen entfällt rund die Hälfte des Gasverbrauchs auf den Wärmesektor. Setzt die Ampelregierung den im Koalitionsvertrag vereinbarten Ausstieg aus der fossilen Heizung um, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf die Gasnachfrage. Auch ohne ein solches Gesetz schießt die Nachfrage nach erneuerbarer Wärme bereits jetzt durch die Decke - und hat mit zu dem niedrigen Gasverbrauch im vergangenen Jahr beigetragen. "Statt noch größere Gaskapazitäten zu schaffen, müssen wir auf der Nachfrageseite sparen, um unsere Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig unsere Energiesouveränität wiederherzustellen", so Luderer.

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Zumal die LNG-Projekte nicht billig sind. Wie das Handelsblatt berichtet, rechnet das Marktforschungsunternehmen Icis damit, dass das Terminal in Wilhelmshaven über die geplante Laufzeit von zehn Jahren insgesamt rund 1,9 Milliarden Euro kosten wird. Je nachdem, wie hoch die Marge für die Flüssiggas-Importe ist, könnten die Terminals sogar zu einem Verlustgeschäft werden - im schlimmsten Fall bis zu 200 Millionen Euro Verlust.

Die hohen Gaspreise im Sommer und die drohende Mangellage zeigen die Unsicherheiten und Unwägbarkeiten bei der Energieversorgung - ein möglicher Grund für die übereifrige Planung. "Es spricht nichts dagegen, großzügig zu planen und ein bisschen Überschuss zu haben", entgegnet Luderer. "Aber man darf nicht über das Ziel hinausschießen - zumal diese Kapazitäten entstehen, wenn der Gasbedarf bereits sinkt."

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