Die Ampel-Koalition verkennt unbelehrbar die Energiepreisnöte, das Gasumlage-Chaos und die Gefahr eines „Wut-Winters“. Ein Gastbeitrag.
- Mario Czaja ist seit 2022 Generalsekretär der CDU und seit 2021 Bundestagsmitglied
Ob ich in meinen E-Mail-Eingang schaue, ob ich mit Menschen in meinem Berliner Bürgerbüro rede oder ob ich auf der Straße angesprochen werde – in diesen Tagen höre und lese ich immer wieder berechtigte Klagen über steigende Preise. Da gibt es die junge Mutter, die plötzlich 400 Euro mehr Abschlag für die Gasrechnung zahlen muss. Da ist der Rentner, der sich fürchtet vor der nächsten Nebenkostenabrechnung. Da gibt es die Familie, deren Wocheneinkauf nicht mehr 80 sondern 120 Euro kostet. Ich spüre jeden Tag: Da braut sich etwas zusammen.
Das betrifft im Übrigen nicht nur Geringverdiener, Menschen mit kleinen Renten oder Alleinerziehende. Auch bei Wohnungs- und Hauseigentümern geht die Sorge um: Kann ich die Kreditraten noch stemmen, mir mein Zuhause noch leisten?
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Mich sorgt, dass viele gar nicht den Sprengstoff sehen, der von der aktuellen Situation angerührt wird. Das Wort vom „Wut-Winter“ macht bereits die Runde. Oft wird dabei der Eindruck erweckt, es sei unvermeidlich, dass das Land von einer riesigen Protestwelle überrollt wird. Das ist allerdings zu kurz gedacht. Denn Proteste sind zunächst einmal ein demokratisches Werkzeug, um Sorgen und Unzufriedenheit mit den Regierenden auszudrücken. Folglich liegt es vor allem in deren Verantwortung, alles dafür zu tun, dass ein „Wut-Winter“ ausbleibt. Proteste fallen nicht vom Himmel. Die Regierung kann sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen.
Es folgen Zweifel an der Handlungsfähigkeit „der da oben“
Führen heißt auch Zusammenführen – das ist das Gebot der Stunde. Das Versprechen von Olaf Scholz „wer Führung bestellt, kriegt sie auch“ hätte Hoffnung wecken können. Allerdings hat er sich wohl eher versprochen. Denn von Führung ist nichts zu sehen. Im Gegenteil: Die Scholz-Regierung verunsichert, sie lässt gewaltige Probleme ungelöst liegen, und sie nährt damit auch Zweifel an der Handlungsfähigkeit „der da oben“.
Wir könnten die Krise besser bewältigen – und zwar mit einem vernünftigen Plan, mit den richtigen Entscheidungen und mit einer klaren Kommunikation. Beginnen wir mit klarer Kommunikation und benennen schonungslos die Ursachen und Folgen der Energiekrise. Der Hauptverantwortliche ist Wladimir Putin, der einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und russische Gaslieferungen stark reduziert hat.
Forderungen nach billigem Gas auf dem Rücken der Ukraine müssen wir strikt zurückweisen. Zu Führung gehört, sich auch einmal in den Wind zu stellen und klare Worte zu finden. Der deutsche Regierungschef ist dazu nicht in der Lage. Die Regierungschefin von Estland, Kaja Kallas, tut genau das. Bei ihrem Deutschlandbesuch sagte sie: „Energie mag teurer werden. Aber Freiheit ist unbezahlbar.“ Klarheit schafft Orientierung und Vertrauen.
Dann gehört es dazu, offen Fehler einzugestehen und daraus schnell zu lernen: Es war falsch, sich in diese Energieabgängigkeit vom Kreml zu begeben. Es wird nicht einfach und nicht billig, russisches Gas durch andere Energiequellen ersetzen. Aber es führt daran kein Weg vorbei – in unserem ureigenen Interesse.
Wir alle dürfen pragmatisches Handeln erwarten
Führen und zusammenführen – das heißt auch: alles dafür tun, dass Belastungen nicht zu Überlastungen werden. Dabei dürfen wir alle pragmatisches Handeln erwarten. Keine Option, die Entlastung bringt, darf aus ideologischen Gründen ausgeschlossen werden. Ich meine damit vor allem die Zukunft der Kernkraft. Die Bundesregierung nimmt hier offenkundig mehr Rücksicht auf die Befindlichkeiten eines Koalitionspartners, als auf die Sorgen und Nöte in der Bevölkerung.
Dabei wäre es in dieser Situation fahrlässig und unverantwortlich, auf den Strom aus den drei noch laufenden Kernkraftwerken zu verzichten, gleichzeitig aber klimaschädliche Kohlekraftwerke anzufeuern, den Deutschen die Straßenbeleuchtung abzuschalten und Waschlappen zur Körperhygiene zu empfehlen. Man lacht in Europa über uns.
Die Gasumlage ist eine einzige Chaosumlage
Und schließlich geht es vor allem darum, die Bürgerinnen und Bürger mit den exorbitant steigenden Energiepreisen nicht alleine zu lassen. Olaf Scholz verspricht lauthals: „You’ll never walk alone.“ Klingt gut, aber inzwischen glaubt ihm das niemand mehr. Mit der Gasumlage macht die Scholz-Regierung das Gegenteil und verursacht ein Chaos. Diese Gasumlage ist eine einzige Chaosumlage. Inzwischen hagelt es Kritik auch aus den Reihen der Regierung. Und so haben wir inzwischen nicht nur eine Chaosumlage, sondern inzwischen auch eine Chaosregierung. So verspielt man Vertrauen.
Was hätte eine CDU-geführte Bundesregierung anders gemacht? Wir hätten keine vermurkste Gasumlage auf den Weg gebracht, sondern wir hätten insolvenzgefährdete Unternehmen direkt aus dem Staatshaushalt unterstützt. Nicht nur für mich stellt sich ganz aktuell die Frage: Warum setzt diese Regierung ihren Irrweg ohne Rücksicht fort? Sie könnte einsehen, dass sie sich verrannt hat und endlich den richtigen Weg einschlagen.
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Der erste Schritt wäre: weg mit der Gasumlage. Und dann müssen Entlastungen vor allem gerecht und zielgenau sein. Doch auch hier handelt die Scholz-Regierung ungenügend. So hat sie eine Energiepreispauschale beschlossen, die Rentnerinnen und Rentnern genauso vorenthalten wird wie Studentinnen und Studenten. Auch sie müssen die 300 Euro bekommen. Alles andere spaltet.
Ein anderes Beispiel: Die Scholz-Regierung vergisst gerade diejenigen Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft, die tagtäglich arbeiten gehen und den Laden am Laufen halten. Erhalten Arbeitnehmer zum Inflationsausgleich eine Lohnerhöhung, müssen sie eine höhere Einkommenssteuer zahlen. Statt diese sogenannte kalte Progression auszugleichen – wie es die CDU übrigens seit 2016 gemacht hat –, werden die arbeitenden Menschen alleine gelassen.
Um es deutlich zu sagen: Es geht hier nicht um eine gnadenvollen Geste einer Regierung gegenüber den Regierten. Es geht schlicht um den Schutz vor weiteren Steuerhöhungen. Es darf nicht sein, dass eine Gehaltserhöhung direkt beim Bundesfinanzminister landet und nicht im Geldbeutel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Gezielt Menschen mit niedrigen Einkommen unterstützen
Schließlich muss Schluss sein mit Maßnahmen nach dem Prinzip „Rein-in-die-Kartoffeln-raus-aus-den-Kartoffeln“. Da wird ein Neun-Euro-Ticket auf den Weg gebracht, das genau in dem Moment ausläuft, in dem Preiserhöhungen voll zuschlagen. Gleiches gilt für den Tankrabatt. Stattdessen müssten Menschen mit geringem Einkommen zielgenau unterstützt werden. Neben einer Erhöhung des Wohngelds müssen Strom- und Gassperren sowie Kündigungen von Mietern verhindert werden, die ihre Nebenkosten nicht fristgerecht zahlen können.
Ich kann jeden verstehen, der sich in diesen Tagen Sorgen macht, wie er die hohe Strom- und Gasrechnung bezahlen soll und darüber wütend ist. Ein „Wut-Winter“ muss dennoch kein Automatismus sein. Die Regierung hat es in der Hand und sollte schleunigst liefern.
Steigende Inflation und gesellschaftlicher Frust: "Viele sehen den Sprengstoff nicht" - Tagesspiegel
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