Das Scrollen auf dem Handy oder flimmernde Fernseher halten viele länger wach als sie es eigentlich wollen, Wecker reißen Millionen aus dem Tiefschlaf, Straßenbeleuchtung macht viele Zimmer zu hell: Der gute Schlaf – er hat es heutzutage schwer.
Der Traum von erholsamer Nachtruhe beschäftigt täglich viele Menschen. Eine aktuelle repräsentative YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigt, wann die Deutschen ins Bett gehen oder auch wie gut oder schlecht sie aus eigener Sicht schlafen. Doch der Reihe nach.
„Wer schläft, sündigt nicht – wer vorher sündigt, schläft besser“, soll Casanova gesagt haben. Unsere Sprache ist voll von Redewendungen und Schlafweisheiten wie etwa „Schlaf ist die beste Medizin“.
Der Nachtschlaf am Stück – gar mit der funktionalen Tagesdreiteilung in acht Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit und acht Stunden Freizeit – ist eine Idee der Industrialisierung in Europa, womöglich ein Hirngespinst des Kapitalismus. Die moderne Zeit macht den Schlafbedarf zu einer Art Makel, zum Zeichen angeblicher Faulheit.
Dass es auch anders sein könnte, zeigt zum Beispiel der Blick nach Spanien, wo den Leuten die Siesta im modernen Alltag der letzten Jahrzehnte jedoch weitgehend ausgetrieben worden ist. Die Japanologin Brigitte Steger („Inemuri: Wie die Japaner schlafen und was wir von ihnen lernen können“) erklärte auch hierzulande Japans Phänomen des Nickerchens und oberflächlichen Kurzschlafs tagsüber, etwa in Zügen oder auf Parkbänken. Der japanische Begriff „Inemuri“ setzt sich aus Wörtern für „anwesend sein“ und „Schlaf“ zusammen.
Historikerinnen betonen, dass Schlaf eine Körperfunktion mit Geschichte sei. Der Schlaf-Wach-Wechsel hängt eben nicht nur von körpereigenen Faktoren ab, sondern auch von äußeren – und der natürliche Hell-Dunkel-Rhythmus spielt dabei nur eine geringe Rolle.
Kaum etwas beeinflusst unseren Schlaf so direkt wie unsere Arbeit.
Historikerin Hannah Ahlheim
„Schlaf ist tief geprägt von der Gesellschaft, in der wir leben“, sagt die Historikerin Hannah Ahlheim („Der Traum vom Schlaf im 20. Jahrhundert“). „Kaum etwas beeinflusst unseren Schlaf so direkt wie unsere Arbeit: Arbeitszeiten bestimmen, wann wir aufstehen und ins Bett gehen.“ Wer Schichtdienst habe, im Krankenhaus, bei der Polizei, als Reinigungskraft oder Taxifahrerin, müsse oft nachts arbeiten und tagsüber schlafen. Das Erste, was ein Baby lerne, sei, so zu schlafen, dass es den Arbeitsalltag nicht störe.
„Seit der Industrialisierung müssen wir dabei Schritt halten mit Maschinen, die nie müde werden“, sagt die Geschichtswissenschaftlerin Ahlheim von der Uni Gießen. „Eisenbahnen, Fließbänder, auch Tablets und Handys. Die kleinen Geräte bringen uns heute die Arbeit ans Bett oder sogar ins Bett, gerade in Zeiten des Homeoffice.“
Vor gut 20 Jahren rüttelte der amerikanische Historiker und Schlafforscher Robert Ekirch („In der Stunde der Nacht: Eine Geschichte der Dunkelheit“) an der Vorstellung, dass im Mittelalter die dunkle Nacht allein zum Schlafen da gewesen sei.
Bei Forschungen zu Schlafgewohnheiten in vorindustrieller Zeit war Ekirch in alten Aufzeichnungen wiederholt darauf gestoßen, dass vom „ersten“ und „zweiten Schlaf“ die Rede war. Es habe jahrhundertelang einen Zwei-Phasen-Schlaf gegeben, schloss er daraus.
Der Nachtschlaf von insgesamt sechs bis acht Stunden wurde demnach meist gegen 1 Uhr morgens unterbrochen, um ein paar Stunden Zeit für sich zu haben – zum Nachdenken, Reden, Beten, Spielen oder für Sex. Danach sei dann nochmal weitergeschlafen worden.
Die Frankfurter Historikerin Birgit Emich untersuchte die Schlafgewohnheiten der Menschen in der Frühen Neuzeit. Emich ermittelte zum Beispiel aus Zunftordnungen des 16. bis 18. Jahrhunderts, dass Handwerker zwischen circa fünf Uhr morgens und acht Uhr abends arbeiteten, also vermutlich zwischen neun am Abend und halb fünf in der Früh schliefen. Dies deckt sich auch in etwa mit den Sperrzeiten der Städte in dieser Zeit, die europaweit erstaunlich gleich waren: Abends um neun wurden die Tore geschlossen.
Von den Höfen der Herrscher ging dann ab dem 17. Jahrhundert ein Wandel aus. Die Schlafenszeit wurde zum Distinktionsmittel, zu einem wichtigen Unterscheidungsmerkmal und einer Art Statussymbol.
„Der höfische Adel distanzierte sich durch abendliche Aktivitäten ebenso von anderen Schichten wie die Kaufleute in den Städten“, sagt Emich. „Die Eroberung der Nacht durch die höfische Festkultur sorgte dafür, dass sich dieser Prozess beschleunigte und sozial ausweitete.“
Bis heute kann sich jeder und jede rasch von der sogenannten hart arbeitenden Bevölkerung abgrenzen, indem er oder sie die Nacht zum Tage macht. Man denke an die Rolle des Nachtlebens für die Jugend.
Jahrhundertelang war übrigens ein komfortables Bett nur etwas für Reiche. Ärmere Menschen schliefen meist auf dem Boden, etwa auf Strohsäcken, und vor allem taten sie es selten allein. Oft wurde in Gemeinschaftsräumen, im Liegen oder Sitzen, geschlafen.
40 Prozent der Deutschen schlafen schlecht
Laut einer neuen repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur geht eine Mehrheit der Erwachsenen in Deutschland stets vor Mitternacht ins Bett. So gaben 73 Prozent in der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov an, sie gingen an Arbeitstagen vor 24 Uhr ins Bett (inklusive 21 Prozent, die schon zwischen 18 und 22 Uhr schlafen gehen, wie sie sagen). Auch vor und an arbeitsfreien Tagen geht mehr als jeder Zweite vor Mitternacht ins Bett, nämlich 45 Prozent zwischen 22 und 24 Uhr und 10 Prozent zwischen 18 und 22 Uhr.
Die Qualität ihres Schlafs bezeichneten 40 Prozent der Erwachsenen in Deutschland als schlecht. 10 Prozent sagten, sie schliefen „gar nicht gut“, und 30 Prozent sagten „eher nicht gut“. Männer schlafen demnach besser als Frauen: 62 Prozent der männlichen Befragten nannten ihren Schlaf „eher gut/sehr gut“, bei den Frauen waren es 55 Prozent.
Insgesamt gaben sieben Prozent an, „nie“ Probleme beim Einschlafen zu haben oder nachts länger wach zu liegen. 24 Prozent sagten, das passiere ihnen „selten“, 33 Prozent „manchmal“. Immerhin ein Drittel kämpft mit Schlafproblemen (20 Prozent „häufig“, 14 Prozent „sehr häufig“). Frauen haben deutlich öfter Schlafprobleme: 40 Prozent der weiblichen Befragten gaben dies zu, bei den Männern nur 28 Prozent.
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