Stand: 13.07.2022 05:00 Uhr
Die Energiekrise und die Inflation treffen auch Studierende hart. Viele sind deshalb auf Unterstützung angewiesen, müssen ihr Studium verlängern oder ganz abbrechen.
Anja Chlebusch würde gern irgendetwas tun, um die aktuelle Situation zu verbessern. "Ich fühle mich so machtlos", sagt die 29-Jährige. Sie studiert Medizinische Informatik an der Universität Lübeck und schreibt gerade ihre Masterarbeit. Die gestiegenen Preise seien ihr vor allem im Supermarkt aufgefallen, außerdem habe ihr Vermieter vor kurzem die Miete erhöhen müssen. "In meinem Freundeskreis achten alle auf die Preise, fast alle mussten einen Nebenjob annehmen. Essen gehen oder bestellen ist gar nicht mehr drin", erzählt sie. Und obwohl gerade vielerorts die Semesterferien beginnen, sei Urlaub für Studierende selbst in der Low-Budget-Version kaum noch möglich.
Weitere Informationen
Sie selbst sei in einer vergleichsweise luxuriösen Situation, sagt sie, denn sie schreibt ihre Abschlussarbeit bei einem Unternehmen und erhält dafür eine Vergütung. "Wenn das nicht so wäre, müsste ich jeden Cent umdrehen und dann würden viele Sachen wegfallen."
AStA-Sozialberatung: "Situation hat sich verschärft"
Wie das aussehen kann, erlebt Sylvia Hohmann in der Sozialberatung des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) in letzter Zeit regelmäßig. "Das Thema zeigt sich in den Beratungen ganz stark", sagt sie. "Die Situation der Studierenden hat sich verschärft und wird sich auch noch weiter verschärfen." Bereits im Mai kam eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu dem Ergebnis, dass 30 Prozent aller Studierenden in Deutschland von Armut betroffen sind. Von den alleinlebenden Studentinnen und Studenten sind es sogar vier von fünf.
Besonders betroffen seien Studierende, die nicht neben dem Studium arbeiten könnten - sei es aufgrund einer Beeinträchtigung oder weil es die Studienstruktur nicht zulasse, so Hohmann. Die Folgen sind drastisch: "Ich muss jetzt ganz viele Studierende zur Tafel schicken." Außerdem bietet das Studentenwerk Schleswig-Holstein sogenannte Freiessen für bedürftige Studierende an. "Dafür wird Geld auf die Campus Card aufgeladen, sodass die Studierenden sich zumindest erstmal in der Mensa etwas zu Essen holen können", erklärt Hohmann. Laut Website des Studentenwerks kann dieses Angebot im Studienverlauf zweimal pro Person genutzt werden. Ein Freiessen gelte maximal für drei Monate pro Semester, ein Monat beinhalte die Summe von 50 Euro.
Heizkostenzuschuss für BAföG-Empfänger
Helfen soll Studierenden auch ein Heizkostenzuschuss. Anspruch haben alle Studierenden, die zwischen Oktober 2021 und März 2022 mindestens einen Monat BAföG erhalten haben oder Wohngeld bekommen. Der Zuschuss für BAföG-Empfänger beträgt 230 Euro, beim Wohngeld wird nach Haushaltsgröße gestaffelt: Wer allein wohnt, bekommt 270 Euro, ein Zwei-Personen-Haushalt erhält 350 Euro, für jede weitere Person kommen 70 Euro dazu. Studierende, die BAföG und Wohngeld beziehen, bekommen den Zuschuss für Wohngeld-Empfänger. Ausgezahlt werden soll der Zuschuss automatisch - in Schleswig-Holstein ab August 2022, sagte eine Sprecherin des Bundesbauministeriums Ende Juni der Nachrichtenagentur AFP. Sylvia Hohmann ist noch skeptisch, ob die Auszahlung reibungslos funktioniert, vor allem bei denjenigen, die aktuell kein BAföG mehr beziehen. Im Studentenwerk ist man dagegen zuversichtlich, dass der Zuschuss hilfreich sein wird, teilt Sprecherin Kerstin Klostermann mit.
Weitere Informationen
Außerdem werden ab Oktober die BAföG-Sätze angehoben - das hatte die Bundesregierung im Juni beschlossen. Das Problem: Die versprochenen Fördersätze bleiben schon jetzt hinter dem Inflationsniveau zurück. "Das wird die gestiegenen Lebenskosten nicht auffangen", meint Sylvia Hohmann. Der AStA-Vorsitzende an der Universität Lübeck, Florian Marwitz, findet, jede Erhöhung sei prinzipiell erstmal gut. Reichen werde es aber nicht.
Erst Corona, jetzt Energiekrise
Die Energiekrise trifft Studierende auch deshalb so hart, weil viele schon während der Corona-Pandemie mit Herausforderungen zu kämpfen hatten. Viele verloren zum Beispiel ihren Nebenjob. Das mache es jetzt umso schwieriger, mehr Geld für die gestiegenen Kosten aufzubringen, sagt Florian Marwitz. Zudem entstehe ein Teufelskreis: "Wenn man jetzt feststellt: Ich kann mir das Studium nicht mehr leisten, ich muss arbeiten - dann ist das gleichzeitig eine Entscheidung dafür, das Studium zu verlängern", erklärt der 23-Jährige. Die BAföG-Förderung wird in den meisten Fällen aber nur für die Dauer der Regelstudienzeit gezahlt.
Dass die Corona-Pandemie die finanzielle Situation vieler Studierender verschlechtert hat, ergab auch eine Befragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Das könne dazu führen, dass mehr Studierende ihr Studium abbrechen. "Die Daten weisen jetzt schon darauf hin, dass insbesondere Studierende, deren Erwerbssituation sich verschlechtert hat und deren Eltern zudem von einer verschlechterten Einkommenssituation betroffen sind, häufiger über einen Studienabbruch nachdenken", sagte Projektleiter Markus Lörz. Demnach dachten im Sommersemester 2020 rund 15 Prozent der betroffenen Studierenden über diese Möglichkeit nach. Sylvia Hohmann vom AStA der CAU rechnet damit, dass sich diese Entwicklung nun fortsetzen könnte.
AStA-Vorsitzender: Zuschüsse langfristig keine Lösung
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hatte bei der Veröffentlichung seiner Studie bereits eine grundlegende BAföG-Reform gefordert. Die Sätze zu erhöhen und den Kreis der Berechtigten zu erweitern, sei wichtig, sagt Marwitz. Es helfe den Studierenden, die jetzt in er Notlage sind, aber nicht. Zudem brauche es mehr Unterstützung für Studierende, die kein BAföG bekommen. Diese fallen oft durchs Raster findet auch Sylvia Hohmann von der CAU. Sie appelliert an alle Studierenden in Not: "Kommt in die Beratung, sucht euch Hilfe. Es gibt viele Stellen, die Unterstützung anbieten." So habe die CAU während der Pandemie einen Fonds für Studierende mit Kind eingerichtet. Sie hofft, dass Ähnliches auch jetzt kurzfristig umgesetzt werden kann. Dennoch würden Zuschüsse und Einmalzahlungen das Problem langfristig nicht lösen, finden Chlebusch und der Lübecker AStA-Vorsitzende Marwitz.
Spartipps: Bezahlte Praktika finden, später Einkaufen, Aktionen nutzen
Anja Chlebusch hat selbst während der Corona-Zeit ihren Nebenjob verloren und hatte nach zwei Jahren genug vom Online-Studium. Deshalb entschied sie sich für die Masterarbeit in einem Unternehmen - das hilft ihr jetzt auch finanziell. "Ich kenne einige, die ihre Pflichtpraktika jetzt bewusst in Unternehmen machen und nicht zum Beispiel an der Universität - wegen der Vergütung", sagt die 29-Jährige.
Sie selbst habe mittlerweile gelernt, sich ihr Geld einzuteilen. Ihre Tricks: "Ich gehe zum Beispiel immer etwas später einkaufen, denn abends senken viele Supermärkte und Discounter die Preise für Obst und Gemüse - vor allem freitags und samstags." Außerdem kaufe sie oft im Angebot und nehme dafür Extrawege auf sich. Beim Essen könne man zum Beispiel Rabatte für Selbstabholer oder Aktionstage nutzen. Dennoch sei die Situation frustrierend: "Während Corona konnte man nichts unternehmen. Jetzt sind wieder Sachen möglich - und jetzt wird es uns durch die hohen Preise schwer gemacht."
Weitere Informationen
Studierende in der Krise: "Müssen viele zur Tafel schicken" - NDR.de
Read More
No comments:
Post a Comment