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Saturday, July 2, 2022

Jan Fleischhauer: Der Weg aus der Gaskrise ist einfacher, als viele glauben - FOCUS Online

Die FOCUS-Kolumne von Jan Fleischhauer: Frackt Niedersachsen: Der Weg aus der Gaskrise ist einfacher, als viele glauben

Wirtschaftsminister Robert Habeck stimmt die Deutschen auf den Gasnotstand ein. Dabei gäbe es genug Gas im eigenen Land – wenn man denn bereit wäre, ein paar Entscheidungen der Regierung von Angela Merkel zu korrigieren.

Inhaltsverzeichnis

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Ich habe beschlossen, ich vertraue in der Gaskrise auf Claudia Kemfert und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Immer nur schlechte Nachrichten, das hält ja auf Dauer das sonnigste Gemüt nicht aus. Jede Woche setzt es neue Horrormeldungen. Erst hieß es, im Winter würde das russische Gas knapp. Jetzt kommen wir damit möglicherweise nicht mal über den Juli, wenn man dem Wirtschaftsminister glauben darf.

Megarezession? Rekordarbeitslosigkeit? Branchensterben? Alles halb so schlimm

Wie gut, dass es Frau Kemfert gibt. Megarezession? Rekordarbeitslosigkeit? Ganze Branchen für immer ausgeknockt? Alles halb so schlimm.

Schon im März kam die Wirtschaftswissenschaftlerin zu dem Ergebnis, dass die deutsche Wirtschaft einen Gasboykott ohne größere Verwerfungen durchstehen könne. „Wenn wir im Sommer alles dafür tun, dass wir mehr Energie einsparen, nach Möglichkeit auch umstellen in Richtung Wärmepumpe und energetische Gebäudesanierung, dann sind wir gut vorbereitet und können tatsächlich auf die russischen Gaslieferungen verzichten“, sagte sie im Bürgergespräch auf WDR 5.

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Das DIW, für das sie arbeitet, sieht die Sache ebenfalls nicht so düster. Vor einigen Wochen veröffentlichte das Institut eine Studie, wonach die Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe gesichert sei. Voraussetzung sei ein Appell an die Verbraucher, Einsparpotenziale maximal zu nutzen, sowie eine kollektive Anstrengung der Regierung, die Lieferung aus anderen Erdgaslieferländern auszuweiten.

Spannend, aber gerade keine Zeit?

 

An mir soll es nicht liegen. Eine Wärmepumpe passt leider nicht in meinen Keller. Ich habe mir Bilder angesehen, eine normale Wärmepumpe ist so groß wie ein Kleinwagen. Damit komme ich durch keine Tür. Außerdem geht bei älteren Häusern anschließend der Stromverbrauch durch die Decke, wie ich mir habe sagen lassen. Aber ich habe zum Jahreswechsel einen neuen Brenner von Buderus einbauen lassen, das spart schon mal 30 Prozent beim Verbrauch. Ich dusche auch nur noch halb so lang. Ich habe meinen Teil an Vorsorge für den Gaskrieg geleistet.

Deutschlands Gashahn wird für zehn Tage zugedreht - und keiner weiß, ob er wieder aufgedreht wird

Ich kann nicht verhehlen, dass mich trotzdem Zweifel beschleichen. Frau Kemfert kann neben einem Sitz im Umweltrat der Bundesregierung und einem festen Platz bei „Markus Lanz“ auch noch eine Professorenstelle an der Uni Lüneburg vorweisen. Dennoch liege ich manchmal wach und frage mich, wo das alles enden soll. Wenn der Wirtschaftsminister sagt, dass Putin einen ökonomischen Angriff auf uns vorbereite, beginne ich mir Sorgen zu machen, die sonnigen Prognosen des DIW hin oder her.

Gut möglich, dass wir schon sehr bald wissen, wer recht hat – Claudia Kemfert oder Robert Habeck. Am 11. Juli wird der Gashahn für zehn Tage ganz abgedreht, wegen Wartungsarbeiten. Niemand kann sagen, ob anschließend die Leitung wieder aufgeht oder für immer zubleibt. Deshalb hat Habeck den Gasnotplan in Kraft gesetzt.

Die Kolumne von Jan Fleischhauer finden Sie jeden Samstag im FOCUS Magazin

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Wir brauchen das Gas aus Russland ja nicht nur zum Heizen oder zur Stromproduktion. Auch als Rohstoff ist es schwer zu ersetzen. Dünger zum Beispiel besteht aus Stickstoff, der wird wiederum aus Erdgas gewonnen. Der Preis für Mineraldünger hat sich verfünffacht. Das wird nicht nur Auswirkungen für die Landwirte haben.

Deutschland könnte eigene Gasreserven erschließen und autark sein - wenn es wollte

Wie geht es weiter? Ich habe zu meiner Überraschung gelesen, dass Deutschland autark wäre, wenn es wollte. Ich wusste das nicht. Wir sitzen auf riesigen Gasvorkommen. 2,3 Billionen Kubikmeter Gas lagern direkt unter unseren Füßen im Boden. Das ist das Dreißigfache des deutschen Jahresverbrauchs. 22,5 Milliarden Kubikmeter könnte man sofort erschließen, wenn man wollte. An einen beträchtlichen Teil des übrigen Schiefergases käme man über Fracking heran, also den Abbau mittels Chemie, Sand und Wasser, das man ins Gestein drückt.

Fracking gilt manchen als Teufelszeug - Merkel stellte Gasförderung quasi ein

Dummerweise hat die Bundesregierung unter Angela Merkel nicht nur den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, sondern auch die Erdgasförderung in Deutschland mehr oder weniger eingestellt. Fracking gilt in bestimmten Kreisen als Teufelszeug – so wie die Atomkraft, nur unterirdisch. Theoretisch besteht die Gefahr von Erdbeben. Geologen halten das zwar für extrem unwahrscheinlich, aber wer kann schon zu hundert Prozent ausschließen, dass sich die Erde bewegt, wenn man Wasser und Sand in die Tiefe presst? Also lassen wir das Gas lieber im Boden.

Eine andere Möglichkeit wäre, die Kernenergie länger zu nutzen als vorgesehen. Zu allem Überfluss verfeuern wir derzeit so viel Gas für die Stromerzeugung wie noch nie zuvor im Frühsommer, weil wir uns ja auch von der Kohle verabschieden wollten. Am 31. Dezember sollen die letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke vom Netz gehen. Die Grünen werden nicht müde zu betonen, dass eine Verlängerung der Laufzeiten nichts bringen würde. Niemandem in der Partei scheint aufzufallen, dass dies in einem klitzekleinen Widerspruch zu den Erklärungen ihres Wirtschaftsministers steht, der im Fernsehen zum Sparduschen aufruft, weil jeder Beitrag, und sei er scheinbar noch so unbedeutend, im Kampf gegen den Gasnotstand helfe.

Brennstäbe lassen sich nicht über Nacht bestellen. Es gibt Wartungsintervalle, die eingehalten werden müssen. Da die drei letzten Meiler Ende des Jahres außer Betrieb gehen sollen, hat man die Fristen gestreckt. Wir müssten uns also über gewisse Standards hinwegsetzen. Der TÜV Süd sagt, das sei möglich. Man könne die Wartung im Normalbetrieb durchführen. Auch die Brennelemente ließen sich länger als vorgesehen nutzen, es gäbe entsprechende Reserven. Sagt der TÜV. Zu Isar 2. Aber das lässt sich auf die beiden anderen Atomkraftwerke übertragen. Natürlich gibt es immer Menschen, denen das Urteil des TÜV nicht ausreicht. Man findet sie in gehäufter Zahl bei den Grünen.

Grüne wollen nicht so wie die CDU enden, die alles aufgab, was sie einst ausmachte

Wenn sie wollen, sind die Grünen zu erstaunlichem Pragmatismus in der Lage. Sie waren auch entschieden gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete. Frieden schaffen ohne Waffen, das war das Motto, mit der sie als Friedenspartei antraten. Heute ist der Anteil von Leuten, die finden, dass man Panzer in die Ukraine liefern sollte, nirgendwo so hoch wie bei ihnen.

Nur beim Thema Energieversorgung tut sich nichts. Vielleicht denken sie bei den Grünen, wenn sie da auch noch einlenken, bleibt nichts mehr übrig, woran man sich festhalten könnte. Sie wollen nicht so enden wie die CDU, die unter Angela Merkel alles aufgegeben hat, was mal die CDU ausmachte. Dafür habe ich sogar ein gewisses Verständnis. Anderseits ist es gerade ein denkbar schlechter Zeitpunkt,auf Glaubenssätze um des Glaubens Willen zu bestehen.

90 Prozent der Gasvorräte liegen übrigens in Niedersachsen, also dem Bundesland, aus dem nahezu alle Politiker stammen, die in den vergangenen Jahren an der großen Gasfreundschaft mit Russland gearbeitet haben. Wenn es eine Landeshauptstadt gibt, die sich als Interessenvertretung von Gazprom in Deutschland verstand, dann ist es Hannover.

Da wäre es nur folgerichtig, wenn Niedersachsen seiner Tradition treu bliebe und weiter für billiges Gas sorgte, jetzt eben aus eigener Kraft. Man könnte es auch als Wiedergutmachungsprogramm sehen. Der niedersächsische Ministerpräsident wäre jedenfalls der Letzte, der sich sträuben dürfte, wenn’s ans Fracking geht.

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Über den Autor

Die Leser lieben oder hassen ihn, gleichgültig ist Jan Fleischhauer den wenigsten. Man muss sich nur die Kommentare zu seinen Kolumnen ansehen, um einen Eindruck zu bekommen, wie sehr das, was er schreibt, Menschen bewegt. 30 Jahre war er beim SPIEGEL, Anfang August 2019 wechselte er als Kolumnist zum FOCUS.

Fleischhauer selbst sieht seine Aufgabe darin, einer Weltsicht Stimme zu verleihen, von der er meint, dass sie in den deutschen Medien unterrepräsentiert ist. Also im Zweifel gegen Herdentrieb, Gemeinplätze und Denkschablonen. Vergnüglich sind seine Texte allemal – vielleicht ist es dieser Umstand, der seine Gegner am meisten provoziert.

Sie können unserem Autor schreiben: Per Mail an j.fleischhauer@focus-magazin.de oder auf Twitter @janfleischhauer.

 
 

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