Stand: 28.03.2022 10:49 Uhr
Die Infektionszahlen sind hoch wie nie, die Auslastung der Intensivstationen hält sich noch in Grenzen. Wie eng hängen Infektionszahlen und Hospitalisierungsrate zusammen? NDR Datenjournalist Marvin Milatz ordnet die aktuellen Corona-Zahlen ein.
Mecklenburg-Vorpommern hat derzeit die mit Abstand höchste Hospitalisierungsrate im Norden - und gleichzeitig den niedrigsten Anteil der dreifach Geimpften. Hängen die hohe Hospitalisierungsrate und die niedrige Impfquote miteinander zusammen?
Marvin Milatz: Ja, und das in zweierlei Hinsicht: Zum einen bedeutet eine niedrige Quote bei den Drittimpfungen, dass das Virus noch zahlreiche Menschen anstecken kann, die gar keinen oder einen nicht ausreichenden Immunschutz gegen Corona haben. Mecklenburg-Vorpommern weist zum Beispiel in einem eigenen Dashboard eine Hospitalisierungsrate nach dem Impfstatus aus: Zurzeit werden dort fast viermal mehr ungeimpfte als geimpfte Patientinnen und Patienten in Krankenhäuser eingewiesen. Und auch Geimpfte sind nicht mehr so gut vor einer Infektion geschützt wie noch im vergangenen Jahr. Denn die Omikron-Variante kann das Immunsystem deutlich besser überlisten als ihre Vorgänger. Die Impfung schützt im Wesentlichen nur noch vor schweren Verläufen.
Welchen weiteren Zusammenhang zwischen Impfquote und Hospitalisierungsrate gilt es noch zu berücksichtigen?
Milatz: Man kann sogar mit den aktuell vorliegenden Zahlen argumentieren, dass die Impfung zurzeit eine der wenigen Corona-Schutzmaßnahmen ist, die überhaupt noch vor einer schweren Erkrankung schützt. Das wird im jüngsten RKI-Wochenbericht deutlich: Seit Beginn des Jahres gab es besonders viele Neuinfektionen bei den 70- bis über 90-Jährigen. Das heißt: Maske-Tragen, Abstand-Halten und Kontakte-Meiden konnten diese Risikopatientinnen und -patienten auch nicht vollständig vor der Omikron-Welle schützen. Und es ist bei ihnen deutlich wahrscheinlicher, dass sie im Krankenhaus landen, als bei jüngeren Menschen.
In Mecklenburg-Vorpommern ist nicht nur die Hospitalisierungsrate, sondern auch die Inzidenz der Neuinfizierten auf Rekordhoch. Setzt man allerdings in anderen Bundesländern Inzidenz und Hospitalisierungsrate ins Verhältnis, ergibt sich oft kein eindeutiges Bild.
Milatz: Die Hospitalisierungsrate hat - seit Einführung - ganz große Probleme und ist deshalb mit viel Vorsicht zu genießen. Allerdings gibt es einen sogenannten adjustierten Wert, eine Schätzung, die zum Beispiel extrem lange Meldeverzüge zu korrigieren versucht. Vergleicht man diese Schätzung zwischen den Bundesländern, dann zeigt sich schon ein recht einheitliches Bild: Dort wo die Inzidenz in die Höhe geht, tut dies in der Regel auch diese korrigierte Hospitalisierungsrate. Viel mehr als das lässt sich aus der Hospitalisierungsrate nicht herauslesen.
Und wie sieht es derzeit auf den Intensivstationen aus?
Milatz: Die Auslastung der Intensivstationen ist die traurige harte Währung unter den Corona-Daten. Die Daten sind präzise, die Schicksale der Menschen, die in diese Statistik fallen, sind schwer und die traurige Wahrheit lautet: Steigt die Intensiv-Auslastung schnell an, bedeutet das, dass es schon vor Wochen viel zu viele Neuinfizierte gab. Die Schutzmaßnahmen also schon damals versagt haben, die Belastung für das Intensiv-Personal jetzt enorm ist und auf absehbare Zeit erstmal so bleiben wird. Schaut man hier zum Beispiel noch einmal auf Mecklenburg-Vorpommern, dann zeigt sich ein Bild, das zu den Rekord-Inzidenzwerten dort passt. Denn auch der Anteil der Corona-Patienten an allen Intensiv-Patienten hat dort jüngst ein Rekordhoch erreicht. In Bundesländern mit niedrigerer Inzidenz sind hingegen auch die Intensiv-Auslastungen niedriger.
Wie steht es um die Situation des Krankenhaus-Personals?
Milatz: Das bilden die uns vorliegenden Daten überhaupt nicht ab. Hospitalisierungsrate und Intensivbetten-Belegung spiegeln nicht wider, wie viel Pflegepersonal überhaupt da ist, um die Covid-Patientinnen und -Patienten zu betreuen. Alle Covid-Erkrankten müssen isoliert werden. Das bedeutet Mehraufwand, egal wie schwer erkrankt. Zudem ist die Personaldecke dünner als sonst: Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte uns neulich, dass der Krankenstand beim Klinikpersonal derzeit um 10 bis 20 Prozent höher liegt als normalerweise zu dieser Jahreszeit. Und dass er die Kliniken da derzeit schon vor einer erheblichen Doppelbelastung durch viele infektiöse Patienten und hohe Personalausfälle sieht.
Was heißt das jetzt alles für die aktuelle Situation im Norden?
Milatz: Im vergangenen Jahr lagen schon mal mehr Corona-Erkrankte auf den Intensivstationen, aber das heißt nicht, dass die Lage jetzt nicht auch eine Belastungsprobe ist – und auch die Todeszahlen steigen wieder.
Viele Bundesländer haben ein eigenes Ampel-System mit Warnstufen für die Corona-Parameter entwickelt: grün, gelb, rot. In eigentlich allen Systemen stehen die Ampeln seit Wochen auf Rot und der Weg zu einer grünen Ampel ist lang. Damit sich das ändert, müssen die Corona-Infektionen wieder deutlich zurückgehen: durch mehr Booster-Impfungen - und hoffentlich auch durch den Frühling. Erst dann kann sich die Situation für das Klinikpersonal wieder entspannen.
Weitere Informationen
Viele Corona-Infizierte: Was das für die Krankenhäuser heißt - NDR.de
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