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Monday, February 7, 2022

Viele Punkte auf der Agenda - Behoerden Spiegel

Sebastian Hartmann ist Bundestagsabgeordneter für den Rhein-Sieg-Kreis und Innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. (Foto: BS/Klawon)

Sebastian Hartmann ist der neue Innenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag. In diesem Politikfeld gibt es einiges anzupacken. Was ihm besonders wichtig ist, erläutert er im Interview mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellten Uwe Proll und Bennet Klawon.


Behörden Spiegel: Die Ampel-Koalition hat im Koalitionsvertrag angekündigt, dass sie das Land modernisieren und liberalisieren will. Was bedeutet das?

Sebastian Hartmann: Der Koalitionsvertrag von FDP, Grünen und SPD sieht eine Modernisierung der Sicherheitsarchitektur im Bereich der Innenpolitik vor. Aber auch Liberalisierungen, zum Beispiel mit Blick auf die Gesellschaftspolitik, das Staatsangehörigkeitsrecht, Fragen von Migration und Einwanderung oder der Fachkräfte- und Arbeitskräftezuwanderung. Für den Bereich der Innenpolitik ist das Leitbild einer modernen Staatsverwaltung zu ergänzen. Dies reicht von Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger in einem demokratischen Rechtsstaat, Personalgewinnung bis hin zur Führungskultur in Behörden. All das sind Herausforderungen der Innenpolitik. Ein spannendes wie weites Feld.

Behörden Spiegel: Es soll eine Sicherheitsbilanz gezogen werden. Wie stellen Sie sich das politisch vor?

Hartmann: Wir müssen schauen, ob der Staat ausreichend Befugnisse und Möglichkeiten hat, tatsächlich Sicherheit in allen Bereichen zu gewährleisten. Wir haben zum Beispiel neue He­rausforderungen im Cyber-Raum. Das kann die Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) betreffen, wo Cyber-Angriffe beispielsweise die Handlungsfähigkeit des Staates bedrohen können. Auch wenn Bürgerinnen und Bürger Opfer einer Cyber-Straftat werden, muss der Staat in der Lage sein, eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten.
Ebenso ist zu prüfen, ob bestehende Befugnisse in der Form erforderlich sind, die wir aktuell haben. Deshalb müssen wir uns den Sicherheitsbereich immer mit der Maßgabe anschauen, dass wir mehr Sicherheit ermöglichen und effiziente Rechtsdurchsetzung sicherstellen wollen. Unsere Sicherheitsbehörden müssen effektiv und optimal aufgestellt sein. Unter Umständen wird das neue gesetzgeberische Maßnahmen erfordern sowie mehr Investitionen oder ein anderes Aufstellen von Personal.

Behörden Spiegel: Sie haben erwähnt, man müsse auch prüfen, ob die Befugnisse, die den Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren an die Hand gegeben wurden, notwendig seien. Kann man das so verstehen, dass es da eventuell auch Rücknahmen geben könnte?

Hartmann: Es geht darum, ob die vorhandenen Grundlagen tatsächlich nutzbar sind, immer mit der Maßgabe, dass wir Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sowohl im analogen als auch im digitalen Raum schützen wollen. Hier wird es auf das Zusammenspiel ankommen. Das ist etwas, worin wir geübt sind. Aber wir kennen zum Beispiel bei neuen Phänomen-Bereichen – Stichwort Radikalisierungstendenzen im Netz – die Frage: Wie wollen wir denn Recht durchsetzen, wenn plötzlich ein Mordaufruf gegen einen Kommunalpolitiker gepostet wird und bestimmte Plattformbetreiber nicht der Löschverpflichtung oder der Kooperation mit Behörden nachkommen? Das kann in beide Richtungen gehen. Sind wir in der Lage, eine effektive Strafverfolgung zu ermöglichen? Umgekehrt: Sind Befugnisse, die angefordert worden sind, gar nicht genutzt worden und wie gehen wir mit Datenbeständen um, die angelegt werden, aber nicht nutzbar sind? Das ist ein 360-Grad-Blick, den wir wagen werden.

Behörden Spiegel: Der Koalitionsvertrag beschreibt relativ konkret, was die Vorhaben für die Bundespolizei sind. Sie soll unter anderem keine Kompetenz bei der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) bekommen. Wie soll ein neues Bundespolizeigesetz aussehen?

Hartmann: Das Bundespolizeigesetz müssen wir anpacken. Wir haben es uns das letzte Mal in den 1990er-Jahren angeschaut und sollten es nicht auf die Fragen von Quellen-TKÜ reduzieren. Hier muss man sehen, dass die Kombination der Sicherheitsbehörden auf Bundesebene eine andere ist. Und wir sollten dann nicht in Streit mit den Ländern geraten, was die Strafverfolgungskompetenzen angeht. Wir müssen uns die Frage stellen: Benötigt die Bundespolizei als Sonderpolizei das? Bestimmte Aufgaben, die die Bundespolizei nicht erledigt, erledigen zum Beispiel Landespolizeien. Wir müssen ebenso das Bundeskriminalamt (BKA) und den Verfassungsschutz entsprechend aufstellen. Und dann schauen wir uns an, was bei der Bundespolizei von Bedeutung ist. Die Quellen-TKÜ gehört aus unserer Sicht nicht dazu. Das kann man an anderer Stelle, wo wir es auch schon normiert haben, regeln.

Behörden Spiegel: Wie wird es mit dem Bundespolizeibeauftragten weitergehen?

Hartmann: Der Bundespolizeibeauftragte soll sowohl eine Anlaufstelle für diejenigen, die bei der Polizei beschäftigt sind, als auch für Bürgerinnen und Bürger sein. Um es klar und deutlich zu sagen, wie es unsere Bundesinnenministerin Nancy Faeser, schon klarstellte: Es gibt für Extremismus in Polizeibehörden keinen Platz. Aber es sind viele Beschäftigte, die sich auch darauf verlassen, dass der Dienstherr das deutlich macht. Es sind Menschen, die sich wirklich fest auf dem Boden unseres Grundgesetzes befinden. Sie sind diejenigen, die die Rechtsdurchsetzung sicherstellen. Sie sind diejenigen, die sich bewusst für unseren Staat entschieden haben. Da darf auch kein Zweifel sein. Ein solcher Bundespolizeibeauftragter wird dafür sorgen, dass wir ein objektives Bild bekommen und dass jeglichen Extremismusbestrebungen ausgehend von einem modernen Leitbild ein Riegel vorgeschoben wird. Dies wurde schon in den letzten Jahren angestoßen. Die wenigen, die gegen das Grundgesetz vorgehen, müssen wir identifizieren.

Behörden Spiegel: Ein In­strument dafür ist die serielle Sicherheitsüberprüfung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Einige Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen machen das schon. Wie wird das konkret aussehen?

Hartmann: Vorgelagert ist die ganz klare Ansage, dass es keinen Platz für Extremistinnen und Extremisten in deutschen Behörden gibt und insbesondere nicht in deutschen Sicherheitsbehörden. Wer für diesen Staat Verantwortung übernimmt und trägt, kann nicht gleichzeitig die Verfassung verneinen und feindlich gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung sein. Das ist nicht akzeptabel. Es gibt dafür im Bereich der Sicherheitsbehörden keine Toleranz und keinen Verhandlungsraum.

Behörden Spiegel: Was ist konkret zu tun?

Hartmann: Es müssen alle In­strumentarien genutzt werden. Unsere Bundesinnenministerin hat sehr deutlich gesagt, dass es die Handhabe dagegen geben muss. Wir haben im Koalitionsvertrag ein neues, positives Leitbild für die Polizei formuliert. Dies umfasst ein Abbild der Gesellschaft, eine andere Führungskultur sowie die Ermöglichung von Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Behörden. Das ist ein weiteres Ausschlusskriterium. Wer das nicht akzeptiert, hat natürlich insgesamt ein Problem damit, wie unsere liberale demokratische Gesellschaft aufgestellt ist. Wir werden deshalb die Möglichkeiten der Sicherheitsüberprüfungen nutzen. Wir brauchen einen entsprechenden Aufklärungswillen aller Teile aller Einheiten. Da darf es keinen falsch verstandenen Korpsgedanken geben, es intern zu klären. Denn wir haben in der Vergangenheit leider gesehen, dass das Gegenteil eingetreten ist.

Behörden Spiegel: Besteht nicht die Gefahr eines Generalverdachts?

Hartmann: Abschließend möchte ich noch mal klarstellen: Wir reden über eine erdrückende und überwältigende Mehrheit, die klar mit beiden Füßen auf dem Boden unserer Gesetze steht. All diejenigen, die sich an die Regeln halten, verdienen es, dass wir eine Null-Toleranz-Strategie fahren. Denn diejenigen sind nachher Opfer gesellschaftlicher Diskussionen, die zu Unrecht gegen sie geführt werden.

Behörden Spiegel: Wird das Schwergewicht der Bekämpfung des Extremismus jetzt auf der rechten Seite liegen?

Hartmann: Keine extremistische Bestrebung wird gering geschätzt, ob das der politische, islamistische Terror, der Linksextremismus oder der Rechtsextremismus ist. Wir haben genaue Aufklärung darüber, wo welche Gewaltpotenziale vorhanden sind. Deswegen ist es klar einzuordnen, dass die größte Gefahr von Rechtsextremismus ausgeht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass man bei anderen extremistischen Bestrebungen nicht genau hinschaut oder neue Phänomenbereiche, die die staatlichen Institutionen und ihre Repräsentanten delegitimieren und verächtlich machen, nicht im Blick hat. Es gibt also kein blindes Auge.

Behörden Spiegel: Sie sprechen von den sogenannten Querdenkern, die gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren. Diese Demonstrationen werden teilweise von Rechtsradikalen gekapert und instrumentalisiert. Dennoch nehmen auch ganz normale Bürgerinnen und Bürger daran teil. Wie kann man denn diese adressieren?

Hartmann: Das Demonstrationsrecht ist in einem demokratischen Rechtsstaat ein hohes Gut. Es gilt, es zu schützen und auch in Corona-Zeiten sicherzustellen. Es gehört zum demokratischen Miteinander dazu, dass man abweichende Meinungen deutlich machen kann, auch durch eine Demonstration. In Pandemiezeiten ist das mit Schutzauflagen möglich, auch angesichts von Inzidenzen von über 1.000. Doch klar ist auch: Wo Gewalt beginnt, endet das Versammlungsrecht. Es ist die eigene Entscheidung jedes Menschen, neben wen er sich auf einer Demonstration stellt. Wenn man neben jemandem steht, der eine offene rechte Gesinnung hat, den Holocaust leugnet oder gezielt Polizistinnen und Polizisten angreift, muss derjenige sich fragen, ob dies Teil der eigenen politischen Gesinnung ist.

Behörden Spiegel: Es sind also nicht nur die Sicherheitsbehörden gefragt?

Hartmann: Kurzum, das ist etwas, was wir zivilgesellschaftlich miteinander verhandeln müssen. Das darf man nicht bei den Sicherheitsbehörden abladen. Wenn wir einen neuen Phänomenbereich feststellen, der nicht zum Phänomenbereich links oder rechts zuzuordnen ist, dann muss man sich damit auseinandersetzen. Das Demonstrationsrecht muss geschützt werden, doch Gewalt ist außerhalb dessen, was verhandelbar ist.

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