Fragen & Antworten
Bild: Radio Bremen
Lehrermangel ist ein bundesweites Problem. In Bremerhaven führt die Situation nun jedoch zu besonders drastischem Protest: Die Hälfte eines Kollegiums bittet um Freistellung.
Lehrkräfte fehlen überall. In Bremerhaven ist die Lage sogar noch angespannter als in Bremen, der Druck auf das Personal enorm. An der gymnasialen Oberstufe am Schulzentrum Carl von Ossietzky (CvO) im Stadtteil Geestemünde ist daraus eine ungewöhnliche Protestaktion entstanden: Rund die Hälfte der 70 Lehrerinnen und Lehrer haben einen Freistellungsantrag gestellt – und das, obwohl viele die Schule gar nicht unbedingt verlassen wollen. Das steckt dahinter.
- Warum haben die Lehrkräfte zu diesem Schritt gegriffen?
- Aus Protest und als Symbol. Einigen Lehrenden wurde angekündigt, dass sie an andere Schulen abgeordnet werden könnten. Eine aus ihrer Sicht unzumutbare Situation, weswegen sie nun den Druck auf das Schulamt erhöhen wollen. Das entscheidet letztlich über die Anträge und hat dafür mehrere Jahre Zeit. Die Lehrer sind mit dem Amt in Kontakt und hoffen, dass ihr Signal nun gehört wird.
- Was hat zu der problematischen Situation geführt?
- Der Lehrermangel. Der ist in Bremerhaven seit Jahren ein großes Problem. Personallücken klaffen in Grundschulen, weiterführenden Klassen und auch gymnasialen Oberstufen. Insgesamt 55 Stellen blieben laut Gewerkschaft GEW in Bremerhaven in diesem Schuljahr unbesetzt. Allerdings sind die Schulen der Stadt davon unterschiedlich stark betroffen. Deshalb sollen die Lehrerinnen und Lehrer vom CvO dort an anderen Schulen mit einspringen.
- Was sagen die Betroffenen dazu?
- Die sind sehr unzufrieden. Eigentlich wollen sie gar nicht unbedingt weg vom ihrer Schule, fühlen sich dort durchaus wohl. Aber sie wollen ein klares Zeichen setzten: "So geht es nicht weiter – es müssen einfach mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden", sagt Gerrit Bliefernicht. Er unterrichtet Deutsch und Politik am CvO in Bremerhaven und ist Vorstandsmitglied des GEW-Stadtverbands.
Bliefernicht sagt: Wenn er jetzt auch noch an einer anderen Schule mit unterrichten müsste, wäre das für ihn bald nicht mehr zu stemmen. Das Pendeln zwischen zwei Arbeitsstellen oder die Einarbeitung in einen komplett neuen Arbeitsbereich wäre eine zusätzliche Belastung. "Wenn man jahrelang in der Sekundarstufe 2 unterwegs gewesen ist und plötzlich vom einem Tag auf den anderen in der Sekundarstufe 1 unterrichten muss, dann muss man sich das Material erstmal neu erarbeiten", so Bliefernicht.
Auch Nele Schirrmacher hat den Freistellungsantrag gestellt. Sie ist Sprecherin des Personalausschusses am CvO, unterrichtet Deutsch und Politik und bereitet ihre Klasse aufs Abitur vor. Noch seien die Kapazitäten dafür da. Doch auf die Schule kommen Streichungen zu, in einer ohnehin angespannten Personalsituation, wie sie sagt. Daher hält das Kollegium zusammen – und so reichen 35 von 70 Lehrkräfte den Antrag ein.
- Wie kommt die Aktion bei den Schülerinnen und Schülern an?
- Erstmal waren viele Fragezeichen da, sagt Schülersprecher Tristan Reim. Allerdings sei die Aktion in einer Schülervollversammlung gut und transparent vermittelt worden. Wenn am CvO tatsächlich Stunden gekürzt werden, würde das wahrscheinlich zu Problemen führen, sagt Reim. "Es werden dann leider wie immer die Schüler tragen müssen."
Aus der Schülerschaft kommt außerdem Unterstützung für die Lehrenden: "Wir haben uns mit den Abiturienten des Lloyd Gymnasiums zusammengeschlossen und demonstriert, indem wir nicht zur Schule gegangen sind und Online-Unterricht gemacht haben", so Reim. Insgesamt seien das rund 400 Schülerinnen und Schüler gewesen. "So haben wir versucht zu zeigen, dass uns das auch nicht gefällt."
- Wie reagiert der zuständige Schuldezernent?
- Michael Frost (parteilos) kann den Frust nachvollziehen. Auch er sagt: Es gibt einfach zu wenig Lehrkräfte in Bremerhaven. Er persönlich habe es in den letzten Jahren allerdings nicht versäumt mehr Lehrende einzustellen und werbe schon lange bundesweit um Personal. "Wir finanzieren ein Lehramts-Stipendium für Studierende und wir qualifizieren Quereinsteiger, damit sie am Ende einen Abschluss als Lehrerinnen und Lehrer haben", sagt Frost. "Wir machen wirklich eine ganze Menge."
Es sei auch ein Problem, dass bis vor einigen Jahren an der Uni in Bremen immer weniger Menschen auf Lehramt studiert hätten. Das habe sich jetzt zum Glück wieder geändert. Deshalb ist Frost optimistisch, dass in den nächsten Jahren wieder mehr Stellen in Bremerhaven besetzt werden können. Bremerhaven behilft sich derweil mit Übergangslösungen: Schon jetzt ist jede elfte Lehrkraft eigentlich noch Studierender, ein Viertel Quereinsteiger.
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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 30. Januar 2022, 19:30 Uhr
Darum beantragen viele Lehrer in Bremerhaven jetzt ihre Freistellung - buten un binnen
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