Helene Fischer ist nicht mehr mit Florian Silbereisen zusammen und von einem anderen schwanger. Und singt jetzt „Von Null auf 100“, atemlos mit Babybauch durch die Fernsehnacht.
Das war, leider ganz ohne Nachwuchs-Talk, der gefühlte Nutz- und Neuigkeitswert der aktuellen „Wetten, dass..?“-Sendung, der Wiederauferstehung der einstigen Samstagabend-Megashow als mehrheitsfähige TV-Kuschelstunde für die ganze Familie. Heute glimmt da das virtuelle Kaminfeuer.
Bei allen Beteiligten hätte man sonst die vergangene Dekade nicht bemerkt, wir sind ja gemeinsam mit ihnen alt geworden. Aber halt! Auch Thomas G. hat inzwischen eine andere Frau als die ewige Thea. Die mit der Permanentlippenkontur, die beim großen Miami-Buschfeuer, das auch seine gruselige Mühle verkohlte, ein Original-Rilke-Gedicht hat verbrennen lassen, um stattdessen das Katzenklo zu retten. Nur Michelle Hunziker, die war auch 2011 schon Signora Ex-Ramazotti. Aber noch in den Fängen einer Hexe, richtig?
Die beiden Abba-Männer (war da zuerst deren Abbatar-Revival-Idee oder die „Wetten, dass..?“-Epiphanie?), Udo Lindenberg, Heino Ferch, Joko und Claas, sie hätten schon vor zehn Jahren dabei sein können, neue CDs, TV-Formate, Touren, Disney-Musicals oder Bücher zur besten Werbezeit kostenfrei anpreisend. Und die ewig junge Michelle Hunziker als stylisher Italo-Couch-Sidekick sowieso.
Wer es also noch nicht wusste, Heino Ferch, der für seine verlorene Wette zu Chuck Berrys „You never can tell“ den hüftsteifen Tarantino-Travolta geben musste, spielt im Januar in einem ZDF-Eventdreiteiler, in dem die Handlung von Erich Kästners „Das doppelte Lottchen“ in den Ost-Berliner-Friedrichstadtpalast der Achtzigerjahre verlegt wurde.
Und als dann Helene Fischer in Ermangelung der nicht erschienenen Abba-Frauen mit deren Ex-Männern furchtlos live „SOS“, Baujahr 1975, in ein goldenes Mikro schmetterte, man hätte es fast als Ironie verstehen können; wenn diese Sendung so eine Geisteshaltung überhaupt vorsehen würde.
Augenkrebs der mittleren Stufe
Der 71-jährige Thomas Gottschalk hat mehr Kosmetik im Gesicht und auch mehr Blond im aufgetufften Haar. Sein goldschwarzes Brokatsakko mit den roten Glanzplakettenpunkten verursachte nur Augenkrebs der mittleren Stufe. Und die netten Witze über Gendern, Influencer und Internet-Shitsorm, die er als Intro abließ, nachdem dem Kulmbacher bei seinem fränkischen Heimspiel die 2500 Nürnberger in der Messehalle Drei einen ganz großen Showmasterapplausparteitag mit Klatschmarsch und Sprechchor („Oh, wie ist das schön!“) inklusive bereitet hatte, die kannte man wenig variiert irgendwie auch schon.
Ein Entertainment-Dino war Gottschalk ja bereits, lange bevor er aufhörte, weil Samuel Koch anno 2011 in der Sendung einen Unfall hatte, nach dem er querschnittsgelähmt blieb. Der war in Nürnberg nicht da, dafür aber der immer noch krekele Frank Elster (79), der einst das Format gestartet hatte und jetzt die hoffentlich letzte Bagger-Wette ansagen durfte. Immerhin nölte er mit Joko und Claas herum, die sehr viel Kreide gefressen hatten, und auf ihrem politischen Sendungsbewusstsein (das Flüchtlingslager Moira bei Pro7 erwähnt!) beharrten, wer nun wirklich die Großformate beherrscht. Eher klein das.
Dreieinhalb Stunden zog sich dieses neue und doch so alte „Wetten, dass..?“ in fröhlicher „Mir-doch-egal“-Sendezeitüberziehungsmentalität hin, so lange dauert nicht mal das Dschungelcamp-Finale. Und das für ziemlich vorhersehbare Gespräche und sechs eher alberne Wetten. Dafür waren alle im Studio geimpft, genesen oder getestet. Und Gottschalk war sogar geduscht, so die Selbstauskunft.
Ganz surreal groß waren nur die beiden Schwestern, die sich wiedererkennbare Musikstücke („Yellow Submarine“) durch das Reiben und Eintauchen der Bürste in die Kloschüssel vorspielten – und gewannen. Klar, dass Gottschalk da den Witz von Lady Kaka anbringen musste, wie er überhaupt in diesem Block in seiner analen Phase angekommen war. Nur als der Toilette sogar Madonnas „Frozen“ entwich, da blieb er stumm.
Dafür waren vorher schon die Pointen bisweilen fast subversiv grenzwertig („Viele wissen ja nicht mehr, ob das Frauchen zu Hause in die Plastik- oder die Biotonne gehört“), so wie einst beim legendären Hans-Joachim Kulenkampff. Dafür machte er sich endlich locker. Vorher war doch sehr viel Alte-Herren- und „zu meiner Zeit“-Gekrampfe.
Gewonnen hat dann doch Leon, der schnippisch-nette Nerd im Reptilienprint-Hemd, der auf einer weißen Fläche die Länder der Weltkarte mit Dartpfeilen markieren wollte. Der hatte zwar seine Wette verloren, wurde aber trotzdem Wettkönig und durfte mit 50.000 Euro heimkehren. Denn das TED-Publikum liebt und belohnt eben schönes Scheitern.
Mal sehen, ob das auch der ganzen Revival-Sendung so geht, denn ziemlich hohen Anti-Gottschalk-Prozentzahlen („er soll endlich aufhören“) wurden vorab besonders bei den älteren Stammsehern beim Geriatrie-Sender ZDF eruiert. Und auch wenn Panik-Opa Udo Lindenberg, der singend nach seinem „Kompass“ suchte, nach mehr Gottschalk, mindestens einmal im Jahr, greint: Will das wirklich wer?
Angela Merkel ist dann doch gegangen. Aber Thomas Gottschalk soll jetzt als großer-Showmaster-Bellheim wiederkommen? Gut, es war Wohlfühlfernsehen wie früher, das die sich verdüsternde, überkomplex gewordene Weltwirklichkeit ausblendete. Stattdessen wurde mit Eurovisionshymne Deutschland, Österreich und die Schweiz live begrüßt.
Aber wollen wir wirklich mit so fader Unterhaltung abgefrühstückt werden? Die weiße Couch gähnte diesmal sehr groß, der Weg zum nächsten Teleprompter mit dem Moderationstext war bisweilen weit und ließ sich nur schwerfällig überbrücken. Oder ist einfach die Leichtigkeit von früher abhandengekommen?
Turbospritzende Feuerwehrleute
Fleißig turbospritzende freiwillige Feuerwehrleute bei der Außenwette auf dem Sportplatz wirken heute irgendwie frivol. Ein offenbar genderfluider Schüler Emil, der sich kopfüber durch die Halteschlaufen einer nachgebauten U-Bahn hangelt, um dann brav seine Fahrkarte zu stempeln und mit seinem Youtube-Idol Vinny Piano beglückt zu werden, oder der mülltrennende Hund Uno, das hätten wir früher bei Kurt Felix vermutet. Am Ende irrte der Tommy mit übrig gebliebenen Schnittblumen durch die Halle, der gewesenen Titan verdrückte ein paar Tränchen.
Wollen wir uns davon erweichen lassen? Oder sollte „Wetten, dass..?“ nicht barmherzig in die ewigen Jagdgründe immerfrischer Mediathek-Nostalgie transferiert werden? Denn wirklich „fantastisch, fantastisch“ fand es eigentlich nur Michelle Hunziker. Und rief nach „Heiße Schokolade für alle“. Die wurde auch schon früher, vor der Gehirnwäsche, für eben solche Geistesblitze bezahlt.
Und Vorsicht, Karlsruhe! Dort werden in Kürze Thomas Gottschalk und Frank Elstner ihren verlorenen Wetteinsatz einlösen und einen Tag lang Schulklassen im Zoo herumführen. Füttern verboten!
„Wetten, dass...?“: „Viele wissen ja nicht mehr, ob das Frauchen in die Plastik- oder die Biotonne gehört“ - WELT
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