Athen Mit Griechenland und den Griechen hat Angela Merkel in den vergangenen zehn Jahren oft gerungen, wohl auch gehadert. Die griechische Schuldenkrise stürzte die Euro-Zone in schwere Turbulenzen. Aber das scheint an diesem Freitag weit weg. Athen empfängt die scheidende Kanzlerin zum Abschiedsbesuch mit wolkenlosem Himmel und spätsommerlichen 19 Grad.
So freundlich wie das Wetter waren auch die Begrüßungsworte des griechischen Premiers Kyriakos Mitsotakis: Er würdigte den „politischen Marathon“ der „lieben Angela“, die in 16 Regierungsjahren „viel für Deutschland und Europa geleistet“ habe.
Wie viel Ausdauer Merkel hatte und wie schnell den meisten griechischen Regierungschefs die Puste ausging, zeigt eine Zahl, die Mitsotakis nennt: Er sei bereits der achte Regierungschef, mit dem es Merkel in Athen zu tun habe, stellte der Premier schmunzelnd fest.
Angela Merkel und die Griechen: Ein komplizierteres Verhältnis kann man sich kaum vorstellen. Die Zeitung „Ta Nea“ schrieb anlässlich des Abschiedsbesuchs vom „Ende einer schwierigen Beziehung“. Merkels Bild ist für die meisten Menschen in Griechenland geprägt von ihrer Rolle in der Schuldenkrise.
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Die Kanzlerin wurde damals weithin als hartherzige Sparkommissarin wahrgenommen. „Es muss weh tun“, habe Merkel ihm gesagt, als im Frühjahr 2010 das erste Hilfspaket geschnürt und den Griechen ein striktes Sparprogramm auferlegt wurde, erinnert sich der damalige sozialdemokratische Premierminister Giorgos Papandreou. Der heutige Premier Mitsotakis meint, die damaligen Sparauflagen seien „weit über das hinausgegangen, was die griechische Gesellschaft ertragen konnte“.
Die Vergangenheit ist allgegenwärtig bei dieser Abschiedsvisite. Vor ihrem Termin in der Villa Maximos, dem Amtssitz des Premiers, traf Merkel am Freitagmorgen im Athener Goethe-Institut junge Griechinnen und Griechen. Es sei ihr bewusst, dass sie den Menschen in Griechenland während der Schuldenkrise „viel abverlangt“ habe, sagte Merkel. Ob ihr das rückblickend leid tut, bleibt allerdings offen.
Die Staatsschuldenquote hat sich mittlerweile verdoppelt
Seit 2018 steht Griechenland wieder auf eigenen Beinen. Athen refinanziert sich an den Kapitalmärkten zu Zinsen, die niedriger sind als jemals zuvor seit der Einführung des Euro – ein erstaunliches Comeback für ein Land, das noch Mitte 2015 am Abgrund des Staatsbankrotts stand. Aber die Krise wirkt nach: Die Arbeitslosenquote ist mit 13,2 Prozent die höchste in der EU. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2020 immer noch 30 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2008.
Die Staatsschuldenquote hat sich im gleichen Zeitraum von 109 Prozent auf 206 Prozent des BIP nahezu verdoppelt – auch weil Deutschland 2010 einen von vielen Fachleuten geforderten frühzeitigen Schuldenschnitt scheute.
Während der Schuldenkrise stellten Demonstranten auf dem Athener Syntagmaplatz einen Galgen auf, an dem eine Merkel-Puppe baumelte. Griechische Zeitungen zeigten die Kanzlerin in Fotomontagen als SS-Soldatin. Ein Karikaturist zeichnete Merkel als Zirkusdompteuse, die mit knallender Peitsche griechische Rentnerinnen und Rentner zum Sprung durch einen brennenden Reifen antrieb.
Inzwischen sind diese Hassbilder aus den Medien verschwunden. Aber wie zerrüttet das Verhältnis zwischen beiden Völkern aus griechischer Sicht ist, zeigt eine Umfrage von Anfang Oktober. Über 70 Prozent der befragten Griechinnen und Griechen sehen in Frankreich einen Freund ihres Landes. Von Deutschland sagen das nur vier Prozent.
Viele Griechen fühlen sich von deutscher Türkei-Politik im Stich gelassen
Das hat nicht nur mit den Sparauflagen während der Krise zu tun. Ein weiterer Grund dafür liegt in der deutschen Türkei-Politik. Sie war eines der wichtigsten Themen dieses Abschiedsbesuchs. Viele Menschen in Griechenland fühlen sich in den Konflikten mit der Türkei, die im östlichen Mittelmeer immer aggressiver auftritt, von Deutschland unverstanden und im Stich gelassen. Merkel kreidet man eine zu große Nähe zum türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan an.
Die Kanzlerin sagte zu dem Thema, sie setze auf Konfliktlösung durch Dialog, auch „wenn das manchmal etwas länger dauert“. Mitsotakis versicherte, auch Griechenland suche das Gespräch mit der Türkei: „Unsere Tür steht immer offen.“ Allerdings strapaziere die Türkei die Geduld Griechenlands, „weil sie immer wieder Grenzen überschreitet“.
Ausdrücklich würdigte Mitsotakis aber Merkels Bemühungen, zwischen Athen und Ankara zu vermitteln – eine Rolle, die in Griechenland gern verdrängt wird: Vor allem Merkels Vermittlung war es im Sommer 2020 auf dem Höhepunkt der Krise im östlichen Mittelmeer zu verdanken, dass die Türkei ihre Kriegsflotte zurückzog und an den Verhandlungstisch zurückkehrte. Damit konnte die Kanzlerin verhindern, dass aus dem Konflikt um die Hoheitsrechte eine kriegerische Auseinandersetzung wurde.
Möglich, dass die ungeliebte Krisenmanagerin Merkel den Griechen künftig fehlen wird. Ob ein künftiger Kanzler Olaf Scholz diese Rolle übernehmen will oder kann, muss sich erst noch zeigen. Überhaupt bringt das Ende der Ära Merkel, so sehr es manche in Athen auch herbeigesehnt haben, für die Griechen viel Ungewissheit. Von den deutschen Sozialdemokraten fühlt man sich zwar in Griechenland grundsätzlich besser verstanden. Schließlich plädierten SPD-Politiker schon für Eurobonds, als das Thema in Berlin noch ein absolutes Tabu war. Auch den Grünen begegnen die meisten Menschen in Griechenland mit Sympathie, vor allem wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der Türkei und den deutschen Rüstungsexporten nach Ankara.
Mit der FDP tut man sich schwer
Mit der FDP tut man sich da schon erheblich schwerer. Christian Lindner, der auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise den Griechen den Euro wegnehmen wollte, dürfte sich als möglicher Finanzminister für die Wünsche der EU-Südstaaten nach einer Lockerung des EU-Stabilitätspakts wohl kaum begeistern. Vor allem dieses Thema brennt der griechischen Regierung jetzt auf den Nägeln – kein Wunder angesichts der astronomischen Staatsschulden.
Merkel nutzte ihren Abschiedsbesuch in Athen noch einmal für ein Bekenntnis zum Stabilitätspakt. Man werde Schwierigkeiten nicht dadurch lösen, dass man ihn einfach über Bord werfe, mahnte die scheidende Kanzlerin. Die Flexibilität des Paktes sei im Übrigen „nicht so klein“, sagte Merkel. Das Problem sei eher, dass in den guten Jahren in einigen Euro-Ländern nicht gut gewirtschaftet worden sei, meinte die Kanzlerin.
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