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Sunday, September 19, 2021

Scholz will höhere Steuern - bei seinen Plänen bleiben viele Fragen offen - FOCUS Online

Wolfgang Schäuble hat am Wochenende eine neue Erklärung für die gesunkenen Umfrageverluste von CDU und CSU präsentiert. Der Bundestagspräsident machte indirekt Angela Merkel verantwortlich, weil sie Ende 2018 zwar den CDU-Vorsitz niedergelegt hat, aber Kanzlerin geblieben ist. Dem Berliner „Tagesspiegel“ sagte er, CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet fehle der Amtsbonus. Zudem könne Laschet weder sagen, „wir machen alles neu“, noch: „Wir machen einfach weiter so.“ Schäubles Befund dürfte richtig sein. Allerdings geht das Problem viel weiter.

Wenn Laschet jetzt „ein umfangreiches Entfesselungspaket“ ankündigt, „das Unternehmen von Steuern und Bürokratie entlastet“, wird er von politischen Gegnern daran erinnert, dass die Union nicht erst seit 2018 regiert, sondern seit 16 Jahren, und Versprechen einer tiefgreifenden Steuerreform nie erfüllt habe. Als sich Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, „schockiert“ über den Plan von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zeigte, in Europa eine Steuer auf Finanztransaktionen einzuführen, hatte der Sozialdemokrat leichtes Spiel. Er konnte damit kontern, dass er nur Schäubles Konzept vollende. Tatsächlich hatte der CDU-Politiker, der vor Scholz Finanzminister war, selbst die Idee in der EU vorangetrieben. Schäuble wollte sie möglichst zum 1. Januar 2018 einführen.

Attacke von CDU-General Ziemiak

Aber immerhin ist die Diskussion um Steuernachlässe und -anhebungen eines der wenigen inhaltlichen Themen des Wahlkampfes 2021. „Die SPD erhöht die Einkommensteuer, Unternehmensteuer, Vermögensteuer – eine Steuer nach der anderen, und strebt eine Schuldenunion in Europa an“, sagt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak FOCUS Online.

Das klingt so, als hätte die SPD die Wahl schon gewonnen. Noch handelt es sich um Absichtserklärungen, die in einer Koalition erst umgesetzt werden müssten. Außerdem ist die Darstellung von Ziemiak verkürzt, wie es im Wahlkampf üblich ist. Denn die Sozialdemokraten wollen Gering- und Mittelverdiener zugleich entlasten. Davon würden auch Rentner profitieren. 

Scholz und die magische 45

Die Brisanz aber liegt ganz woanders. Unklar ist, wie sich Steuererhöhungen auf Konjunktur, Staatshaushalt und Kapitalflucht ins Ausland auswirken würden. SPD und Grüne wollen Spitzenverdiener und sehr Vermögende stärker belangen – die Linke sowieso. FDP und Union lehnen jede Anhebung ab und wollen die Beträge an den Fiskus lieber drücken, um die Kaufkraft zu erhöhen und die Konjunktur zu beleben.  

In der „Bild am Sonntag“ bezifferte Scholz nochmals konkret, wie hoch der Spitzensteuersatz für die Einkommenssteuer liegen soll, falls er Kanzler wird. Er beträgt aktuell 42 Prozent und greift ab privaten Einkünften von knapp 58.000 Euro im Jahr. Scholz will ihn auf 45 Prozent steigern, die aber offenbar erst ab 100.000 Euro fällig werden sollen. Bei Ehepaaren verdoppeln sich die Mindestbeträge, also 200.000 Euro. Der SPD-Kanzlerkandidat erklärt, er „könnte“ bei 45 Prozent liegen. Vermutlich lässt er sich damit Spielraum für Koalitionsverhandlungen offen.  

Viele Versprechen, wenige Details

Scholz gab an, er wolle „im Gegenzug 95 Prozent der Steuerzahler“ entlasten. Singles, die weniger als 100.000 Euro im Jahr verdienten, und Verheiratete mit unter 200.000 Euro Gesamteinkünften würden weniger an den Staat abführen. Wie das genau geschehen soll, ist offen. „Wir werden eine Einkommensteuerreform vornehmen, die kleine und mittlere Einkommen besserstellt“, heißt es dazu im Wahlprogramm der SPD, ohne Details zu nennen.

Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, wie diese Entlastung geschehen soll: Entweder werden die Einkommenssteuersätze gesenkt. Oder es wird an der Progression geschraubt, also dem Tarif, ab wann ein jeweiliger Satz greift. So oder so kann das teuer werden. Scholz erklärte dazu: „Das können wir nur finanzieren, indem die Steuern für die, die erheblich mehr verdienen, moderat angehoben werden.“ Zu diesen Leuten zähle auch er persönlich. 

Den besonders Reichen drohen 48 Prozent

Die SPD möchte außerdem die „Reichensteuer“ erhöhen. Wer im Jahr als unverheiratete Privatperson mehr als 275.000 Euro Einkommen hat, unterliegt schon heute einem Satz von 45 Prozent. In ihrem Wahlprogramm kündigen die Sozialdemokraten an, am derzeitigen „Aufschlag von drei Prozentpunkten“ festhalten zu wollen – das könnte also bedeuten, dass absolute Spitzenverdiener dann bei 48 Prozent lägen. Den Betrag, ab dem der Aufschlag gelten soll, will die SPD auf 250.000 Euro für Ledige drücken, was ebenfalls zu Mehreinnahmen führen würde. Ob sie ausreichen, die Mindereinkünfte durch Entlastungen auszugleichen, ist unklar.

Auch Union, FDP und Grüne versprechen Geringverdienern mehr netto unter dem Strich, wobei die Liberalen am weitesten gehen. Die Besserstellung geringer und mittlerer Einkommen sei „zu begrüßen, da es bei der Einkommensteuer seit 2010 keine strukturelle Entlastung gegeben hat“, sagt Martin Beznoska vom unternehmernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). CDU, CSU und Liberale wollen auch Topverdiener entlasten – was ebenfalls Milliarden kostet. 

Höhere Abgaben, weniger Einnahmen?

Die Masse der mittelständischen Firmen sind sogenannte Personenunternehmen, die Einkommensteuer zahlen. Der Mittelstand gilt als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. „Viele Unternehmer bleiben dem Standort Deutschland nur noch aus reiner Heimatliebe treu“, glaubt Unternehmerin Sarah Zickler, Mitglied im Bundesvorstand der FDP-Vereinigung Liberaler Mittelstand, laut „FAZ“. Hauptsorge kleiner und mittlerer Firmen sei das komplizierte Steuerrecht, die von linken Parteien gewünschte Wiedereinführung der Vermögensteuer sowie der hohe Bürokratieaufwand.

Dass eine FDP-Politikerin so etwas sagt, ist erwartbar. Aber selbst der linksliberale „Spiegel“ warnt in seiner neuen Ausgabe davor, den Bogen zu überspannen. Christian Reiermann, der zu den eher Konservativen in der Redaktion gehört, schrieb in einem Leitartikel: „Wer sich von neuen oder höheren Steuern mehr Einnahmen erhofft, könnte schnell enttäuscht sein.“ Höhere Abgaben hätten das Zeug, einen Aufschwung abzuwürgen. „Die Folge wären weniger Einnahmen“ für den Staat.

Im selben Magazin erinnerte der Berliner Ökonom Thomas Fricke wiederum an die Entwicklung in Amerika. Nach den vom früheren Präsidenten Ronald Reagan durchgesetzten Steuernachlässen „standen die USA über Jahre mit staatlichen Rekordschulden da“. Ähnlich sei es unter Donald Trump gewesen, dessen Steuerreform vor allem große Unternehmen entlastet hatte. „Auch danach gab es kaum höhere Investitionen, dafür mehr Staatsschulden.“

Debatte über Kredite auf EU-Ebene

Das Ziel der Union und vor allem der FDP, Steuern zu senken und zugleich einen Haushalt vorzulegen, der ohne neue Darlehen auskommt, ist faktisch derzeit nicht machbar. SPD, Grüne und Linke wollen staatliche Kredite bewusst ausweiten, um das Geld in marode Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung zu stecken. Die Sozialdemokraten werben zudem dafür, Initiativen der EU-Staaten nach Vorbild des 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds „zu verstetigen“, wie es SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil formuliert.

Das Projekt wird durch Kredite finanziert, die die EU-Länder erstmals gemeinsam am Kapitalmarkt aufgenommen haben. Die Union sieht darin den Marsch in die europäische Schuldenunion. „Deutsche Sparer und Rentner sollen künftig für die Schulden anderer Staaten blechen. Das lehnen wir grundsätzlich ab“, sagt Ziemiak ungeachtet der Tatsache, dass die Union dem Fonds im Bundestag zugestimmt hat. Und auch hier gilt: Dass die deutschen Sparer schon jetzt Geld verloren haben, liegt mit am Zinskurs der Europäischen Zentralbank – und den haben Merkel, CDU und CSU über viele Jahre gestützt.

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