Interview | Polizeipsychologe zu Messer-Angriffen - "Viele gehen gar nicht mehr ohne ein Messer aus dem Haus"
Der Nachrichtenticker scheint voll mit Messer-Attacken zu sein. Aber ist das wirklich so? Der Polizeipsychologe Hans-Joachim Clausen zur Lage der Statistik, zu den Beweggründen der Täter und der Tatsache, dass wer ein Messer dabei hat, es oft auch nutzt.
rbb|24: Herr Clausen, sind Messerattacken die deutsche Variante der amerikanischen Schusswaffenwut?
Hans-Joachim Clausen: Ja, das kann man sagen. Das liegt natürlich daran, dass Messer leicht zugänglich und schnell verfügbar sind. Feuerwaffen unterliegen ja in Deutschland der Erlaubnispflicht und sind quasi verboten. An ein Messer kommt man immer heran. Einerseits gibt es Küchenmesser und man kann auch andere Messer im Geschäft ohne spezielle Erlaubnis kaufen.
Aber es gibt doch schon verbotene Messer?
Es gibt Messer, die man nicht einmal mehr besitzen darf, geschweige denn mit sich führen. Dazu gehören Springmesser, bei denen die Klinke nach vorn herausspringt, Fallmesser, Faustmesser und Butterfly-Messer.
Gefühlt haben Messer-Attacken in Berlin zugenommen, ist das wirklich so?
Das kann man nicht generell sagen. Die Kriminalitätsstatistik unterliegt Schwankungen. Was aber tatsächlich der Fall ist – gerade in der polizeilichen Arbeit: Wenn es zu Tötungsdelikten oder Körperverletzungen, also schweren Straftaten kommt, ist das Messer das Tatmittel Nummer eins. Gefolgt vom Würgen.
Sind Messer-Angriffe ein Großstadt-Phänomen?
Ja, und das liegt ein bisschen in der Natur der Sache. In Städten wie Berlin gibt es Verkehrsknotenpunkte wie den Alexanderplatz, das Kottbusser Tor oder den Görlitzer Park, wo viele Menschen unterschiedlichster Kulturen und Nationalitäten zusammenkommen. Wenn sich dort auf engem Raum Gruppen aufhalten, kann es passieren, dass einer aus der Gruppe heraus glaubt, sich dort behaupten zu müssen, wenn es beispielsweise zu Beleidigungen oder zu Angriffen kommt – und manchmal reicht auch schon ein Blick aus – ist so ein Messer schnell gezogen.
Grundsätzlich problematisch ist, dass nicht wenige Jugendliche oder Männer ein Messer mitführen und sich typischerweise damit verteidigen wollen. Das haben sie ja schließlich von anderen als negatives Vorbild gelernt. Doch das Problem ist, wenn man ein Messer dabeihat, dann ist man auch schnell geneigt, es einzusetzen. Frei nach dem Motto: 'Ich renne doch nicht weg und zeige Schwäche'.
Es gibt in Berlin also Orte, wo sich Messerangriffe häufen?
Ja, und das sind die typischen Brennpunkte in Berlin. Es ist beispielsweise der Alexanderplatz – da kommen und gehen ja unheimlich viele Menschen, die sich dabei über den Weg laufen. Und es ist so, dass da, wo sowieso viel Kriminalität stattfindet, wie beispielsweise am Kottbuser Tor, die Gefahr auch größer ist, Opfer eines Übergriffs zu werden.
Wie gefährlich sind Messer-Attacken?
Messerattacken sind immer gefährlich. Messer können schnell große Schlagadern oder Blutgefäße verletzen. Täter sagen manchmal hinterher, sie hätten das Opfer nicht töten, sondern ihm nur in den Oberschenkel stechen wollen. Aber auch da gibt es große Blutgefäße. Und wenn man die verletzt, ist das Opfer schnell in Lebensgefahr. Täter geben auch oft an, sie hätten das Messer zu ihrem eigenen Schutz dabeigehabt. Sie denken, dass sie sich Situationen dann stellen können und nicht weglaufen müssen. Sie wollen nicht zum Opfer werden. Bevor ihnen das passiert, stechen sie lieber selbst zu.
Warum werden ausgerechnet Messer benutzt und nicht andere Waffen?
Es ist leicht zu erlangen, leicht mitzuführen und gut zu verstecken – und man kann es auch als Überraschungsmoment einsetzen. Es birgt eine gewisse Faszination. Es gilt bisweilen als cool, ein Messer zu haben.
Wer sticht zu – und finden sich auf der Täterseite auch Frauen?
Bei den Tätertypen muss man differenzieren. Einmal gibt es da psychisch kranke Straftäter. Und dann gibt es den erwachsenen Täter, der ein Messer mitführt. Es gibt aber auch jugendliche Täter. Viele Jugendliche in Berlin sind bewaffnet, das gehört für viele dazu. Immer unter der Maßgabe, sich verteidigen zu wollen. Weil sie das Gefühl haben, bewaffnet könnten sie auch in brenzligen Situationen handlungsfähig bleiben. Das genau ist aber das Problem - denn so eskalieren Situationen erst richtig.
Männer sind bei den Tätern, was Messerangriffe angeht, überrepräsentiert. Das liegt aber auch daran, dass das männliche Geschlecht an sich schon ein Risikofaktor für Gewalt und Kriminalität ist.
Wenn Frauen Täterinnen werden, sind sie nicht selten psychisch krank. Oder die Tat hat sich im häuslichem Konfliktumfeld aufgeschaukelt.
Unter welchen Umständen kommt es besonders oft zu Messerattacken?
Wenn große Gruppen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, kommt es zu gruppendynamischen Faktoren, die solche Taten begünstigen. Da will der Einzelne das Gesicht wahren, in der Gruppe ist man auch aufgefordert zu handeln, wenn man keine Schwäche zeigen will. Da wollen sich Täter vor der Gruppe behaupten. Nicht selten haben sie auch selbst Gewalterfahrungen erlebt. Mit einem Messer in der Tasche denken sie, fehlende Handlungsmacht zurückzuerlangen. Sie fühlen sich damit überlegen.
Gewalt ist ja auch ein Katalysator. Und sie ist auch attraktiv. Unter anderem ist sie auch ein Mittel zur Triebabfuhr. Das Messer soll dann die Wunden heilen, die einem selbst zugefügt wurden. Es gibt aber auch den einzelnen, der bedroht fühlt und auf eine Gruppe trifft.
Gewalt wirkt kurzfristig wie ein probates Mittel, um ein Problem zu lösen. Gerade für diejenigen, die Zuhause mitbekommen haben, dass Probleme mit Gewalt gelöst werden. Wenn dann noch Frust, Alkohol oder Drogen im Spiel sind und jemand ein Messer hat, kommt alles zusammen.
Während der Corona-Zeit war es für viele Jugendliche auch so, dass sie sich vielfach nicht mehr zuhause treffen durften, sondern nur noch zentrale Treffen möglich waren. Da fehlten Rückzugsräume.
Geht es bei Messerstecherein vor allem um ganz junge Täter?
Nein. Wir haben jugendliche Täter, es gibt auch eine kleine Anzahl von Kindern und es gibt erwachsene Täter. Und die erwachsenen Täter dominieren.
Was macht einen Menschen zum Messer-Stecher?
Da spielen Sozialisation und Prägung eine ganz große Rolle. Aber Waffen strahlen eben auch eine generelle Faszination aus. Sie stehen für die Macht des Stärkeren, damit kann man sich durchsetzen, andere einschüchtern und beeindrucken. Da geht es auch um Imponiergehabe.
Viele sind aber auch verunsichert und gehen deshalb gar nicht mehr ohne Messer aus dem Haus. Wenn sie täglich Schlägereien und Auseinandersetzungen erleben, fühlen sie sich so sicherer.
Genau auf dieses Denken zielt die Polizeikampagne "Messer machen Mörder" vermutlich ab. An wen richtet sie sich und wie funktioniert sie?
Ja, diese Kampagne wird von Präventionsbeamten in Schulen durchgeführt. Das läuft über das Rechtskunde-Fach. "Messer machen Mörder" will genau das aufzeigen: wenn man schon ein Messer mitführt, ist man auch bereit, es einzusetzen - und es kann ganz leicht zu fatalen Situationen kommen.
Die Schüler sollen dafür sensibilisiert werden, dass man auch Stärke zeigen kann, wenn man kein Messer hat. Sie sollen lernen, zu deeskalieren. Also zu schauen, wie sie aus einer brenzligen Situation rauskommen und wo sie vielleicht Hilfe finden könnten.
Um es mit den Worten meines alten Judo-Trainer zu sagen: Wenn jemand ein Messer hat, lauf weg!
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Interview | Polizeipsychologe: "Viele gehen gar nicht mehr ohne ein Messer aus dem Haus" - rbb24
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