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Thursday, September 30, 2021

Berliner Wahl-Chaos: Viele ungültige Stimmen in 99 Wahlbezirken - Pankow wird neu ausgezählt - WELT

In den Tagen nach der Wahl zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus kommen in der deutschen Hauptstadt immer neue Ungereimtheiten und Unregelmäßigkeiten ans Licht.

Der Rundfunk Berliner Brandenburg (RBB) meldet gleich zwei davon: Zum einen sind in mehreren Wahlbezirken ungewöhnlich viele ungültige Stimmen aufgelaufen, zum anderen wurden in mindestens einem Berliner Wahlbezirk (Charlottenburg-Wilmersdorf) Schätzungen statt Wahlergebnisse veröffentlicht.

Ermittelt hat der Sender den ersten Punkt laut einer Datenanalyse. Diese ergab, dass in mindestens 99 Berliner Wahlbezirken ungewöhnlich viele ungültige Stimmen bei den Wahlen am Sonntag gezählt wurden.

Betroffen davon waren dem Bericht zufolge mindestens 13.120 ungültige Stimmen bei allen Wahlgängen. Die Datenauswertung belegt damit wiederholte Berichte über falsche Stimmzettel, die von den jeweiligen Wahlvorständen als ungültig gewertet werden müssen.

Probleme waren demnach ab August bekannt

Der Bezirkswahlleiter von Friedrichshain-Kreuzberg räumte gegenüber „rbb 24“ Fehler ein. Im Wahlkreis 1 in Friedrichshain-Kreuzberg etwa waren rund ein Viertel der Wahlvorstände mit falschen Stimmzetteln konfrontiert. Der Bezirkswahlleiter verweist darauf, dass der Landeswahlleitung seit Mitte August die Probleme bekannt waren. Durch Stichproben habe man bemerkt, dass nicht alle Stimmzettel, wie in den Schachteln beschriftet, richtig eingeordnet waren.

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Die Landeswahlleitung habe deshalb vor der Wahl ein Hinweisblatt für alle Wahlvorstände produziert, die Stimmzettel nochmals zu prüfen. Dass dennoch falsche Stimmzettel ausgegeben wurden, könne daran liegen, dass aufgrund von Corona nicht alle Wahlvorstände geschult waren.

Besonders viele Probleme am Wahltag gab es auch im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Dies führte laut dem rbb dazu, dass man dort für mehrere Urnen- und Briefwahlbezirke fiktive vorläufige Wahlergebnisse gemeldet hat. Betroffen waren die Stimmen zur Wahl der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Auch hier hatte der RBB die Daten analysiert.

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Kritik vom Staatsrechtler

Dem Sender zufolge wurden auf der Website der Landeswahlleitung zur Berlin-Wahl für 22 Wahlbezirke exakt dieselben Stimmanteile für alle Parteien genannt. Für jeden der Wahlbezirke wurde zudem angegeben, dass 360 gültige und 40 ungültige Stimmen abgegeben worden seien.

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Wahlpannen

Auf Anfrage hin erläuterte der Bezirkswahlleiter von Charlottenburg-Wilmersdorf, Felix Lauckner, dass die Zahlen geschätzt seien. Die realen Wahlergebnisse seien noch nicht bekannt. „Die erfassten Ergebnisse sind Bestandteil des vorläufigen Ergebnisses“, sagte Lauckner.

Unter weiter: Falls in der Wahlnacht von einzelnen Wahlvorständen abschließend keine Ergebnisse gemeldet werden, sei „in Einzelfällen“ eine „händische oder maschinelle Schätzung“ auf der Grundlage des bis dahin erfassten Gesamtergebnisses zulässig. Erlaubt seien solche Schätzungen aber nur, „soweit keine Mandatsrelevanz ersichtlich ist“. Das tatsächliche Wahlergebnis werde in den Folgetagen „nacherfasst“.

Wahlkreis von Linke-Spitzenkandidat Lederer wird neu ausgezählt

Pikant sind all diese Unregelmäßigkeiten auch deshalb, weil in manchen Fällen die Ergebnisse für die Kandidaten bei der Abgeordnetenhauswahl ganz eng beieinander lagen. Teils gaben nur wenige hundert Stimmen den Ausschlag über den Gewinner – oder noch weniger. Im Wahlkreis von Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer in Berlin-Pankow wird das Erststimmenergebnis bei der Abgeordnetenhauswahl deshalb neu ausgezählt. Das teilte Bezirkswahlleiterin Christine Ruflett am Mittwoch auf Anfrage mit. Zuvor hatte der „Tagesspiegel“ darüber berichtet. Es geht um 30 Stimmen.

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Bei der Wahlleitung sei wegen des sehr knappen Ergebnisses beim Direktmandat ein entsprechender Antrag der Linken eingegangen, so Ruflett. Die Neuauszählung werde am Donnerstag erfolgen, das Ergebnis dann vom Bezirkswahlausschuss bei seiner Sitzung am 11. Oktober bewertet. Nach dem vorläufigen Ergebnis unterlag Berlins Kultursenator im Wahlkreis Pankow 3 im Rennen ums Direktmandat ganz knapp der Grünen-Kandidatin Oda Hassepaß: Lederer holte 6166 Erststimmen, Hassepaß 6196.

Stimmzettel aus anderen Wahlkreisen benutzt

Auch anderswo nehmen die Bezirkswahlämter besonders knappe Ergebnisse bei der Abgeordnetenhauswahl in den Blick.

„Wir haben Fälle hier in Friedrichshain-Kreuzberg gehabt, dass für die Erststimme in einigen wenigen Wahllokalen aus einem anderen Wahlkreis Stimmzettel verwendet worden sind“, sagte der Bezirkswahlleiter von Friedrichshain-Kreuzberg, Rolfdieter Bohm. „Die sind unrettbar ungültig, da stehen ganz andere Namen drauf.“ Auch hier hatte zuvor der RBB darüber berichtet.

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Dort müsse genau ausgezählt werden, wie groß der Abstand zwischen Erst- und Zweitplatziertem sei. „Wenn der Abstand kleiner ist als die Zahl der falschen Stimmzettel, dann müssen wir nachwählen“, sagte Bohm. Das betreffe aber nur den entsprechenden Wahlkreis. „Wenn der Abstand größer ist, war es zwar ein Wahlfehler, der nicht hätte passieren dürfen, der aber keine Auswirkungen auf das Ergebnis hat.“

Wird es Konsequenzen geben?

Die Unregelmäßigkeiten am Berliner Superwahlsonntag (neben der Wahl des Abgeordnetenhauses wurden auch die Bezirksversammlungen und der Bundestag gewählt, sowie ein Volksentscheid abgehalten) hatten bundesweit Schlagzeilen gemacht. Berlins Landeswahlleiterin Petra Michaelis zog am Mittwoch deshalb personelle Konsequenzen: Sie stellte ihr Amt zur Verfügung.

Ob das reichen wird, wird nun auch von anderer Seite in Zweifel gezogen. Der Verwaltungswissenschaftler Stephan Bröchler etwa schlug vor, dass sich eine unabhängige Expertenkommission die Prozesse und mögliche Versäumnisse anschaut. „Wir hatten ganz offensichtlich große Probleme im Bereich der Planung und der Kommunikation“, sagte Bröchler, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, im RBB-Inforadio.

„Die Abstimmung zwischen Landeswahlleiterin und Bezirkswahlämtern hat nicht funktioniert. Es war absehbar, dass es zu Problemen kommt“, betonte er. Es sei zu wenig kommuniziert worden zwischen den Stellen, und es seien keine Lösungen gesucht worden.

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