Stand: 27.08.2021 16:00 Uhr
Das Innenministerium stellt einen Rechtsbruch fest, sieht dennoch kein Dienstvergehen. Das LAGuS wusste offenbar schon monatelang Bescheid. Ein Antrag auf Akteneinsicht wird über Wochen nicht behandelt. E-Mails wurden gelöscht. Rund um den Meldeverzug in Vorpommern-Greifswald tauchen immer mehr Fragen auf. Die Kreis-Grünen sprechen jetzt von „parteipolitischen Klüngeleien“ bei der CDU.
Zwischen Februar und April stimmte der 7-Tage-Inzidenzwert in Vorpommern-Greifswald nicht. Die neuen Corona-Fälle wurden über Wochen zu spät an das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGuS) gemeldet. Das Ergebnis: Teilweise wich der vom Kreis ausgewiesene Inzidenzwert um bis zu 80 Fällen vom tatsächlichen Wert ab. Nach wochenlanger Debatte und medialer Berichterstattung kamen Landratsamt und LAGuS zu dem Schluss: Es gab ein „Missverständnis“. Der Kreis habe unwissentlich zu viele Daten sehr zeitaufwändig von den positiven Getesteten erhoben, daher der Zeitverzug.
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Innenministerium: keine Anhaltspunkte für Dienstvergehen
Die Grünen im Kreis wollten sich mit dieser Begründung nicht abfinden und reichten einen Prüfantrag auf Dienstpflichtverletzung beim Innenministerium ein. Dessen Ergebnis liegt dem NDR jetzt vor. Demnach habe das LAGuS dem Ministerium gegenüber den Meldeverzug bestätigt. Seit Mitte Februar „war die Infektionsschutz-Konformität nicht mehr gegeben“ – heißt konkret: Gesetzesbruch in Vorpommern-Greifswald. Das Innenministerium kommt dennoch zu dem Schluss: Es gebe keine Hinweise dafür, dass die Meldungen absichtlich verspätet erfolgten. Dementsprechend gebe es keine Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen.
Wer wusste wann Bescheid?
Seit März diesen Jahres berichteten Medien über einen Meldeverzug in Vorpommern-Greifswald, Kreistagsmitglieder stellten diverse Anfragen und beantragten Sondersitzungen des Gesundheitsausschusses. Landrat Sack bestritt immer wieder, dass es ein Problem mit den Zahlen gebe. Anfang April, nachdem Gesundheitsminister Glawe (CDU) eine Aufarbeitung durch das LAGuS veranlasste, bestätigte der Landkreis dann doch, dass es verspätete Meldungen gab. Dem NDR liegen jetzt Informationen vor, die diesen zeitlichen Ablauf in Frage stellen. Bereits im November vergangenen Jahres bemängelte das Landesamt für Gesundheit und Soziales, dass die Meldungen aus Vorpommern-Greifswald in weit mehr als 80 Prozent der Fälle nicht vollständig waren. Außerdem habe die jüngste Akteneinsicht der Kreis-Grünen gezeigt, dass der Meldeverzug bereits im Februar Thema zwischen Landkreis und LAGuS war. Zu diesem Zeitpunkt soll intern darüber beraten worden und sogar Lösungsvorschläge debattiert worden sein, so Ulrike Berger Vorsitzende der Kreistagsfraktion GRÜNE und Tierschutzpartei. Das Problem war offensichtlich bekannt und dennoch wurden weitere zwei Monate lang neue Corona-Fälle verspätet gemeldet, die Inzidenz in Vorpommern-Greifswald dadurch falsch.
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Hätten Schul- und Kitaschließungen Menschen geschützt?
Mit Bekanntwerden des Meldeverzugs stand auch fest, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen nicht ergriffen worden sind. So hätte gemäß Corona-Landesverordnung der Landkreis die Schulen und Kitas in Frühjahr schließen müssen. Der tatsächliche Inzidenzwert der Region lag im entsprechenden Zeitraum deutlich über der dafür vorgeschriebenen Schwelle. Durch den Meldeverzug passierte das nicht. Deswegen sah Sack sich bereits mit einer Anzeige wegen Körperverletzung konfrontiert. Der Vorwurf: Der Kreis habe durch den Meldeverzug die Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und Mitarbeitern gefährdet. Die Staatsanwaltschaft fand keine hinreichenden Anhaltspunkte, ließ die Anzeige fallen. Dem NDR liegen mittlerweile Zahlen vor, die belegen, dass sich im Zeitraum des Meldeverzugs mindestens 27 Menschen in Schulen in Vorpommern-Greifswald angesteckt haben. Das Innenministerium schreibt jetzt dennoch, dass eine „Schließung der Kitas und Schulen keine Auswirkungen auf das Pandemiegeschehen gehabt (hätte)“.
Fehlende Akten, gelöschte E-Mails, verspätete Akteneinsichten
Kreistagsmitglieder diverser Fraktionen kritisieren seit Monaten die mangelnde Transparenz in der Angelegenheit. Beantragte Akteneinsichten wurden teilweise über Wochen verzögert, angefragte Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt. Interessant ist auch, dass eine Vielzahl der internen E-Mails im Gesundheitsamt, die für Aufklärung sorgen könnten, angeblich „mangels Relevanz“ gelöscht sein sollen. Eine Bürgeranfrage gemäß Informationsfreiheitsgesetz liegt seit Mai unbeantwortet im Landratsamt, obwohl die dafür gesetzlich vorgesehene Frist bei drei Monaten liegt. Auch eine NDR-Anfrage beim Landkreis blieb unbeantwortet. Das Innenministerium gab zwar eine Rückmeldung, ließ konkrete Fragen aber offen. Die Sprecherin des Ministeriums bleibt dabei: Es lägen keine Anhaltspunkte für den Verdacht eines Dienstvergehens vor.
Grüne: „parteipolitische Klüngeleien“ bei der CDU
Auch damit wollen sich die Grünen nicht zufriedengeben. „Minister Renz hält seine Hand schützend über CDU-Parteifreund und Spitzenkandidat Sack.“, meint Hannes Damm, Kreisvorstand der Bündnisgrünen in Vorpommern Greifswald. Er hat kein Verständnis für die Entscheidung des Innenministeriums. Einerseits attestiere Renz dem Landrat einen monatelangen Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz, andererseits finde er keine Anhaltspunkte für den Verdacht eines Dienstvergehens. Damm sieht darin einen Skandal. Weiter sagt er: „Die CDU muss endlich damit aufhören, parteipolitische Klüngeleien vor berechtige Aufklärung zu stellen“. Ulrike Berger ergänzt „Wir fordern Innenministerium, LAGuS und Landratsamt auf, endlich reinen Tisch zu machen.“ Sie wolle wissen, wer jetzt die Verantwortung für das überhöhte Infektionsgeschehen im Kreis trage.
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