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Monday, June 28, 2021

Matt Hancock: Viele offene Fragen nach Rücktritt von britischem Gesundheitsminister - RND

  • Nach dem Rücktritt des Gesundheits­ministers Matt Hancock fragen sich viele Briten, wer die brisanten Aufnahmen an die Presse weiter­geleitet hat.
  • Und warum hielt Boris Johnson so lange an ihm fest?
  • Derweil übernimmt Sajid Javid das Gesundheits­ministerium in einer Zeit, in der die Infektions­zahlen in Groß­britannien wieder drastisch steigen.

London. Es handelt sich nicht nur um eine in jeglicher Hinsicht außer­gewöhnliche Affäre, die seit dem Wochen­ende die öffentliche Diskussion im König­reich dominiert und Matt Hancock den Job als Gesundheits­minister gekostet hat. Es sei auch ein „sehr britischer Skandal“, meinten Kommentatoren. Denn er beinhaltet Sex, Macht, Politik, Lügen – und Filz, wie die Opposition schreit. Manche vermuten gar Korruption.

Entlarvt wurde er durch Aufnahmen einer Überwachungs­kamera, die erst in die Hände von Reportern der „Sun“ gerieten und seitdem die Titel­seiten der britischen Presse pflastern. Sie zeigen den verheirateten Hancock in seinem Büro, wie er Anfang Mai eine ebenfalls verheiratete Mitarbeiterin eng umschlungen küsst – und damit gegen die Corona-Abstands­regeln verstieß, die er selbst tag­ein tag­aus der Bevölkerung predigte.

Am Samstag­abend wurde seine Position unhaltbar, Hancock trat zurück. Doch die vielen Fragen, die sich noch immer stellen, sind damit keineswegs beantwortet. Warum hielt Premier­minister Boris Johnson so lange zu seinem Gesundheits­minister, der schon seit vergangenem Jahr in der Kritik stand für sein Management in der Corona-Krise?

Beobachter erwarten, dass zahl­reiche Fehler Johnsons und Hancocks ans Licht kommen könnten

Selbst in der eigenen konservativen Partei zeigten sich viele verärgert darüber, dass Downing Street Hancock nicht sofort feuerte, statt­dessen die Angelegenheit am Freitag nach einer Entschuldigung des Ministers zunächst als erledigt bezeichnete. Beobachtern zufolge wollte sich der Premier einen Sünden­bock bewahren, wenn der Umgang der Regierung mit der Pandemie nächstes Jahr zum Gegen­stand einer unabhängigen Untersuchung wird. Johnson wollte Hancock laut Abgeordneten bis dahin im Amt halten.

Sajid Javid, neuer britischer Gesundheits­minister, vor dem St. Thomas’ Hospital. Javids Amts­antritt fällt genau in die Zeit, in der sich die Delta-Variante des Corona­virus auf der Insel rasend schnell ausbreitet © Quelle: Getty Images

Erwartet wird, dass zahl­reiche Fehler und Versäumnisse in der Corona­virus-Krise ans Licht kommen werden. Im Zentrum: Johnson und Hancock. Schon jetzt berichten Medien, es gebe Ermittlungen, Hancock habe zu Beginn der Pandemie, während er Verhandlungen über milliarden­schwere Verträge führte, immer wieder nicht sein offizielles, sondern sein privates E‑Mail‑Konto benutzt.

Hinzu kommen unter anderem frag­würdige Millionen­aufträge für Corona-Schutz­ausrüstung, die der 42‑Jährige ohne Prüfung an Freunde verteilt haben soll. Auch die Tatsache, dass seine Geliebte Gina Coladangelo, die Hancock bereits seit Studien­zeiten kennt, als Lobbyistin und Beraterin für ihn arbeitete und mit Steuer­geldern bezahlt wurde, sorgt für Entrüstung auf der Insel.

Rätsel um die Sicherheits­lücke im Ministerium

Damit nicht genug. Antworten verlangen Politiker auch über die Sicherheits­lücke im Ministerium. Die Polizei untersucht den Fall, auch der Geheim­dienst MI5 soll einbezogen werden. Warum war eine Überwachungs­kamera in Hancocks Büro installiert? Und wer hat das brisante Video dann der Boulevard­zeitung übergeben? Justiz­minister Robert Buckland verriet gestern, dass er aus Vorsicht seine eigenen Büro­räume überprüfen ließ.

Es herrscht der große Kehraus in West­minster. Die Kamera im Gesundheits­ministerium wurde immerhin bereits entfernt, wie Sajid Javid gestern bekannt gab. Er wurde noch am Samstag­abend zum neuen Gesundheits­minister ernannt. Dass ausgerechnet der 51‑Jährige befördert wurde, galt als Überraschung. Es war Javid, der 2020 nach einem Streit mit Johnson und dessen damaligem Chef­berater Dominic Cummings als Finanz­minister zurück­getreten war.

Die Delta-Variante macht Sorgen, die Impf­kampagne Hoffnung

Doch in der konservativen Partei genießt er hohes Ansehen, ist respektiert bei den mächtigen Hinter­bänklern. Nun muss er mit lediglich wenig Einarbeitungs­zeit und in einer kritischen Phase der Pandemie schnell liefern. Denn die Infektions­zahlen im König­reich steigen seit Wochen drastisch an aufgrund der Ausbreitung der zuerst in Indien nachgewiesenen Delta-Variante des Corona­virus.

Am Samstag wurden 18.270 neue Fälle registriert. Das waren so viele wie seit Anfang Februar nicht mehr. Hoffnung macht jedoch die erfolg­reiche Impf­kampagne. Fast zwei Drittel aller erwachsenen Briten sind bereits vollständig geimpft und rund 84 Prozent haben mindestens eine Dosis erhalten.

Javids Ansatz unterscheidet sich derweil deutlich von jenem seines Vorgängers Hancock, der ein Befür­worter von strikten Beschränkungen war. Dagegen verkündete der neue Gesundheits­minister bereits, es sei seine „absolute Priorität“, die noch geltenden Covid-Restriktionen so schnell wie möglich zu lockern. Das lehnte der Premier­minister gestern jedoch ab. Es sei „vernünftig“, den „Tag der Freiheit“ nicht vor­zuziehen, sondern an dem Plan fest­zuhalten, erst am 19. Juli die Beschränkungen auf­zuheben.

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