Es ist in Deutschland bisher kaum weiter aufgefallen, aber bevor der April vorbei ist, möchte ich zumindest in der Kürze dieser Kolumne darauf hinweisen, dass sich Griechenland gerade umfassend erinnert, auch an uns Deutsche. Vor 200 Jahren wurde das moderne Griechenland begründet, in einem Unabhängigkeitskrieg gegen das Osmanische Reich. Der erste König des modernen Griechenlands war Deutscher, ein Bayer namens Otto. Im April vor 80 Jahren, und hier kommen wir noch stärker ins Spiel, überfiel die deutsche Wehrmacht Griechenland, besetzte und verwüstete das unabhängige Land.
Dass die Griechen sich erinnern, die Deutschen sich ihrer Verbrechen aber so wenig entsinnen, ist symptomatisch für das latent stets etwas getrübte Verhältnis beider Nationen. Viele in Deutschland wissen vielleicht, dass aus Athen regelmäßig Reparationsforderungen kommen, aber die erscheinen uns dann unangemessen – ist doch schon so lang her, der Krieg. Immerhin gibt es bemerkenswerte Ausnahmen, von denen später.
Mir ging es früher übrigens auch so. Ich besuchte Griechenland zum ersten Mal Mitte der Achtzigerjahre. Damals unterhielt ich mich mit dem Vater einer Freundin, der mir mit Tränen in den Augen erzählte, wie er als Kind in der deutschen Besatzung von Athen 1941 hungerte. Ich sprach später mit Greisen, die Erschießungskommandos entkommen waren und mit jungen Griechen, die mich fragten, warum man in Deutschland darüber schwieg.
Es gab deutsche Politiker, die sich trauten
Mir war das furchtbar peinlich, zumal ich Geschichte studierte, aber weder im Geschichte-Leistungskurs an der Schule noch im historischen Seminar viel über die Dimension der deutschen Gräuel in Griechenland erfahren hatte. Ein weißer Fleck in der deutschen Erinnerung. Heute kann man sich besser informieren. Historiker wie Hagen Fleischer und Mark Mazower haben eindrücklich beschrieben, wie SS-Verbände und die Wehrmacht am Mittelmeer ähnlich wüteten wie in den slawischen Ländern.
Es gab durchaus deutsche Politiker, die sich trauten, die Gräuel anzusprechen. Schon Bundespräsidenten wie Richard von Weizsäcker oder Johannes Rau gedachten der Massaker an historischen Erinnerungsorten in Griechenland. Joachim Gauck hat in der ihm eigenen empathischen Art bei Besuchen in Ioannina und Lyngiades die Schuld anerkannt. Ein deutsch-griechisches Jugendwerk wurde eingerichtet, ehemalige Zwangsarbeiter erhielten Geld.
Deutsche Kanzler jedoch haben stets einen Bogen darum gemacht. Viele Begegnungen waren verpasste Gelegenheiten. Helmut Kohl auf Kreta 1991 zum Beispiel und Gerhard Schröder gleich mehrmals, in Berlin beim Besuch des griechischen Premiers 2000 und in Athen 2004. Athener Entschädigungsforderungen wurden stets abgewiesen, schließlich hatten die Deutschen Anfang der 1960er Jahre doch 115 Millionen Mark an griechische NS-Opfer gezahlt. Doch das war fast nichts im Vergleich zu den kolossalen Verwüstungen, den ausgelöschten Dörfern und einer Zwangsanleihe von 476 Millionen Reichsmark im Zweiten Weltkrieg.
Warum einigt man sich nicht auf einen symbolischen Betrag?
Genau da hakte Ende März die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen ein, in einer Bundestagsdebatte zum Thema "80. Jahrestag des Überfalls auf Griechenland". Endlich, muss man sagen. Die Grünen forderten anzuerkennen, dass die Griechen die Frage von Reparationen und Entschädigungen von griechischer Seite keineswegs ad acta gelegt haben. Man solle sich der Verbrechen in Griechenland hörbarer erinnern. Und dann wurde auch über Geld gesprochen. Von den Linken kam der Vorschlag, die griechischen Reparationsforderungen anzuerkennen, das summiert sich nach einem Parlamentsbeschluss in Athen auf eine Summe von fast 300 Milliarden Euro. Dieser gleich abgelehnte Vorstoß ist in Deutschland wohl kaum jemandem zu erklären. Er würde wahrscheinlich eine Kaskade von Streit samt Forderungen anderer Länder nach sich ziehen.
Die Grünen machen einen realistischeren Vorschlag. Sie regen an, mit den Griechen nur über individuelle Kompensationszahlungen zu sprechen, und – über die Zwangsanleihe. Diese nie zurückgezahlten Schulden sind ein Sonderfall zwischen Athen und Berlin, auf den sich kein anderes Land berufen kann. Seriöse griechische Quellen beziffern den Gegenwert der Anleihe heute auf gut 10 Milliarden Euro. Warum einigen sich Deutsche und Griechen nicht auf einen symbolischen Betrag zur Tilgung dieser Schuld? So eine symbolische Summe hatte schon einmal Johannes Rau im Jahr 2000 angeregt.
Raus Idee wurde von der damaligen rot-grünen Koalition nicht aufgenommen. Und jetzt wurde der Antrag der Grünen von der schwarz-roten Koalition flugs abgelehnt. Das sind die Gründe, warum Erinnerung und hartnäckiges Vergessen Griechenland und Deutschland weiter trennen werden.
Griechenland: Viele verpasste Gelegenheiten - ZEIT ONLINE
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