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Sunday, November 26, 2023

Fachkräftemangel: „Dann werden viele, die wir brauchen, einen Bogen um unser Land machen“ - WELT

Bahnverbindungen und Unterrichtsstunden fallen aus, weil Personal fehlt, Berlin stutzt den Takt auf Hunderten Buslinien zusammen. Restaurants und Geschäfte schränken Öffnungszeiten ein, Handwerkertermine zu bekommen, dauert gern mal Wochen: Der Fachkräftemangel schlägt überall durch, laut Sachverständigenrat Wirtschaft wird er schon bald zur größten Wachstumsbremse in Deutschland. Die aktuelle Lücke von 1,7 Millionen unbesetzten Stellen wächst sich nach Schätzung der Wirtschaftsweisen binnen einer Generation auf fünf Millionen offene Jobs aus.

Und bei einem Wirtschaftsaufschwung fiele der Mangel sogar noch größer aus. Aber woher sollte dieser Aufschwung kommen, wenn nicht genügend Menschen da sind, um ihn zu erwirtschaften? Er wird ausbleiben, ist Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger überzeugt. In der „Bild am Sonntag“ malte er ein düsteres Bild von Deutschlands wirtschaftlicher Zukunft. Danach rechnet der Präsident des Wirtschafts-Spitzenverbandes fest damit, dass der Fachkräftemangel Deutschland um einen guten Teil seines Wohlstands bringen wird.

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„Vollständig beheben lässt sich der Fachkräftemangel nicht mehr“, sagte er. „Und das wird dazu führen, dass wir in diesem Land Wohlstand verlieren.“ Um das Schlimmste abzuwenden, seien ausländische Kräfte unverzichtbar, weshalb die Politik dringend bessere Bedingungen für Arbeitsmigration schaffen müsse, fordert der gebürtige Heidelberger.

Doch dort, wo die Fachkräfteeinwanderung gemanagt werden müsste, fehlt ebenfalls Personal. Daher stauen sich in Behörden, Ausländerämtern und diplomatischen Vertretungen rund um die Welt die Anträge. Das Problem lässt sich ebenso wenig schnell aus der Welt schaffen wie hohe Wohnungskosten und Steuern, Sprachhürden oder fehlende Kita-Plätze – alles Faktoren, die Deutschland Umfragen zufolge für gut ausgebildete Kräfte unattraktiv machen.

Willkommenskultur wichtig

Besonders belastend sei die Ausländerfeindlichkeit, monierte jüngst etwa der Chiphersteller Infineon: Der erstarkende Rechtsextremismus in Sachsen erschwere die Anwerbung internationaler Fachkräfte für das Dresdner Werk immens. „Als Firma sind wir nicht imstande, gesellschaftliche Probleme allein zu lösen“, sagte Personalleiterin Silke Gottschlich dem Wirtschaftsmagazin „Capital“. Man wünsche sich „von der Politik und von der Gesellschaft einen deutlich größeren Beitrag“.

Daher warnt der Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, die politische Konkurrenz dringend davor, das Thema Migration weiter aufzuheizen und stets ausschließlich negativ zu diskutieren: „Nur Offenheit und eine echte Willkommenskultur wird die Fachkräfte für Deutschland gewinnen. Wenn wir weiterhin alles in einen Topf werfen und das Thema Migration zur Mutter aller Probleme machen, wie es die AfD und Teile der Union um CDU-Parteichef Merz tun, dann werden viele, die wir brauchen, einen Bogen um unser Land machen.“

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Ähnlich sieht es Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch, der auf zahlreiche Maßnahmen hinweist, mit denen die Ampel-Koalition bereits gegensteuere: „Wir haben die Ausbildungsgarantie beschlossen und investieren Milliarden in den Ausbau der Kinderbetreuung. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz öffnen wir Wege für Menschen, hier bei uns zu arbeiten, und wir werden Arbeitsverbote für Geflüchtete abbauen.“ Die Willkommenskultur sei wichtig, um den Wohlstand zu sichern.

Der liberale Fraktionsvize Konstantin Kuhle lobt als dritter Ampel-Partner zwar ebenfalls das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, merkt aber selbstkritisch an, dass alle Prozesse bei der Einwanderung auf den Prüfstand gehörten, damit gut ausgebildete Arbeitskräfte überhaupt hierher kommen wollten. „Durch Digitalisierung und Spezialisierung müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer endlich schneller zusammenfinden. Ausländische Arbeitskräfte dürfen nicht in der deutschen Bürokratie verlorengehen“, sagt Kuhle.

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„Statt Steuererhöhungen braucht es außerdem endlich eine Reform der sozialen Sicherungssysteme. Statt neuer Behörden und Staatsaufgaben braucht es eine Konzentration auf staatliches Handeln, das die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllt – etwa durch eine digitale öffentliche Verwaltung und ein digitales Gesundheitssystem.“

Doch Union und AfD halten weder von den eingeleiteten Maßnahmen der Regierung viel noch vom Schönreden der Migration. „Gerade weil wir eine Willkommenskultur für benötigte Fachkräfte und wirklich Verfolgte brauchen, muss die irreguläre Migration ein Ende finden“, legt Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe (CDU) den Finger in die Wunde. Außerdem glaubt er nicht, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weiterhelfe: „Dieses Gesetz ändert nichts daran, dass es viel zu lange dauert, bis ausländische Fachkräfte ein Visum erhalten und bis die Ausländerbehörden ihre Anträge bearbeitet haben.“

„Maschinen statt Migranten“

Die Unionsfraktion hatte stattdessen vorgeschlagen, eine zentrale Einwanderungsagentur aufzubauen, um die Verfahren zu beschleunigen. Außerdem müsse, soweit es um ungelernte Tätigkeiten gehe, „zunächst aber auch alles unternommen werden, um Arbeitslose, auch arbeitslose Flüchtlinge mit Bleiberecht, in Arbeit zu vermitteln“.

Die AfD hält schon den Ansatz für falsch, die drohenden Wohlstandsverluste auf den Fachkräftemangel zu reduzieren. „Sie sind das Ergebnis einer völlig falschen Politik in den vergangenen Jahrzehnten, die auch von den Arbeitgeberverbänden willfährig mitgetragen wurde“, sagt René Springer, arbeits- und sozialpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Statt Symptome zu kurieren, müssten die Ursachen beseitigt werden: „Es braucht eine sofortige Kehrtwende in fast allen Politikbereichen.“ Außerdem könnten Digitalisierung und Automatisierung für Produktivitätssteigerungen sorgen. „,Maschinen statt Migranten‘ ist das Motto für eine zukunftsfähige Wirtschaft“, sagt Springer.

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Klar ist auf jeden Fall: Die Stimmung ist schlecht wie selten. Die norddeutsche Metall- und Elektroindustrie etwa hat gerade ihre Herbst-Konjunkturumfrage abgeschlossen, und Thomas Piehler, Vizepräsident des Arbeitgeberverbands Nordmetall, stellte der Politik eine verheerende Bilanz aus: „Noch nie waren so viele unserer Arbeitgeber so unzufrieden mit der Politik, der Höhe der Arbeitskosten und dem Ausmaß des Fachkräftemangels. Und noch nie haben so viele Unternehmen Produktionsverlagerungen ins Ausland geplant.“

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