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Sunday, September 10, 2023

"Die Vier-Tage-Woche wäre für viele Betriebe ein Todesstoß" - n-tv NACHRICHTEN

Die Vier-Tage-Woche ist familienfreundlich, fördert Gesundheit und Produktivität, was wiederum den Gewinn steigert. Pilotprojekte in Europa sollen das bewiesen haben. Arbeitszeitexperte Zander widerspricht. Die Studien würden "undifferenziert" wiedergegeben, sagt er ntv.de und erzwungene Experimente mit dem Modell für viele Betriebe gefährlich.

ntv.de: Die Vier-Tage-Woche ist in Deutschland ein regelrechtes Reizthema geworden. Diese Woche hat die IG Metall wieder für einen Aufschrei gesorgt. Was halten Sie von dem Vorstoß?

Guido Zander: Dem Vorschlag kann ich nichts abgewinnen. Ich bin nicht gegen eine Vier-Tage-Woche, als eine Möglichkeit von vielen kann das eine gute Sache sein. Der Punkt ist aber, um die umzusetzen - mit vollem Lohnausgleich und weitestgehend verlustfrei - sind bestimmte Voraussetzungen notwendig und die sind in den einzelnen Betrieben und Branchen unterschiedlich. Die IG Metall vertritt Beschäftigte bei hochpotenten Autoherstellern, aber auch von Zulieferern, die engste Margen haben. Da flächendeckend für alle die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zu fordern und obendrauf noch mal 8,5 Prozent mehr Lohn, halte ich für sehr gewagt.

Die Vier-Tage-Woche ist kein Patentrezept?

Das Problem ist, dass durch die sehr undifferenzierte mediale Darstellung immer der Eindruck erweckt wird, eine Vier-Tage-Woche sei in jedem Unternehmen verlustfrei umzusetzen. Es wird meistens angenommen, dadurch würde mehr Umsatz gemacht. Angeblich sollen das ja Studien bewiesen haben. Tatsächlich stimmt das gar nicht. Bei der Gewerkschaft ist hier wohl auch ein falscher Eindruck entstanden.

Ist es realistisch, dass die Vier-Tage-Woche im großen Stil ausgerollt werden könnte, wie manche jetzt befürchten?

Wenn die Politik das irgendwann so entscheidet, und das ins Arbeitszeitgesetz schreibt, kann das natürlich passieren. Dagegen spricht aber, dass die Vier-Tage-Woche ein sehr starres Modell ist. Flexible Modelle, vielleicht auch mit einer Reduktion von Arbeitszeit, würden viele Unternehmen eher weiterbringen. Mir fehlt hier auch das Bewusstsein für die wirtschaftliche Lage. Die Vier-Tage-Woche ist aus meiner Sicht in vielen Unternehmen, vor allem in Schichtbetrieben, schlicht nicht ohne Produktivitätseinbußen umsetzbar, für nicht wenige wäre es ein echter Todesstoß.

Namhafte Ökonomen wie Michael Hüther und Bert Rürup fordern gegen den allgemeinen Trend dazu auf, nicht weniger, sondern mehr zu arbeiten. Wir würden unseren Wohlstand riskieren, heißt es. Ist das so?

Was ich genauso problematisch finde, ist, wenn sich Leute wie Hüther hinstellen und sagen, wir müssen alle wieder 42 Stunden die Woche arbeiten. In Schichtbetrieben führen 42 Stunden definitiv zu einer deutlich höheren Krankenquote. Das heißt, die zwei Stunden mehr würden schnell wieder aufgefressen werden. Das Problem heutzutage ist das lineare Denken: zwei Stunden mehr bringen so und so viel Prozent mehr Produktivität. Das ist schlicht falsch und genauso fatal wie die Annahme, dass bei einer Vier-Tage-Woche die Produktivitätssteigerung der Einzelnen immer höher sei als der Kapazitätsverlust und das Ganze sich auf jeden Fall finanziell trage.

In den Pilotprojekten schien das schon so zu sein ...

In den britischen und isländischen Fallstudien, die es gab, hat man die Arbeitszeit von 40 auf 36 Stunden reduziert. Da steigt die Produktivität natürlich. Reduziert man aber von 36 auf 32 Stunden, ist dieser Effekt nicht mehr so groß. Irgendwann reicht das Ausgeruhtsein nicht mehr, die verlorene Kapazität auszugleichen. Das Problem ist nicht die Vier-Tage-Woche an sich, sondern dass Unternehmen so etwas auch hinbekommen und es sich leisten können müssen, zumindest bei vollem Lohnausgleich.

In Ihrem Buch "Die Wahrheit hinter dem Hype: Wundermittel Vier-Tage-Woche" kritisieren Sie, dass sich bestimmte Annahmen über die Vier-Tage-Woche verselbstständigt haben. Machen wir einen Faktencheck: Hilft die Vier-Tage-Woche gegen den Fachkräftemangel nun und werden Arbeitgeber dadurch attraktiver, wie vielfach behauptet wird?

Arbeitszeitexperte Guido Zander ist Partner der SSZ Beratung und Autor von "Die Wahrheit hinter dem Hype: Wundermittel 4-Tage-Woche".

Arbeitszeitexperte Guido Zander ist Partner der SSZ Beratung und Autor von "Die Wahrheit hinter dem Hype: Wundermittel 4-Tage-Woche".

(Foto: Guido Zander)

Man muss das Thema Fachkräftemangel auf zwei Ebenen betrachten: Das eine ist die volkswirtschaftliche, das andere die betriebliche Ebene. Volkswirtschaftlich gesehen glaube ich, dass die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich den Fachkräftemangel eher verschlimmern würde, wenn der Kapazitätsverlust nicht durch gestiegene Produktivität ausgeglichen werden kann. Abgesehen davon, gäbe es dann keinen Wettbewerbsvorteil für einzelne Unternehmen mehr.

Das wäre in der Tat eine Nullnummer. Aber Betriebe sollen angeblich schon profitieren ...

Betrieblich gesehen wird ein Einzelunternehmen natürlich im Recruiting einen Vorteil gegenüber Unternehmen mit einer Fünf-Tage-Woche haben. Wenn 40 Stunden auf vier Tage statt auf fünf verteilt werden, stellt sich in vielen Berufen - zum Beispiel dort, wo körperlich schwer gearbeitet wird - aber auch die Frage, ob das noch attraktiv ist. Die meisten denken immer, Vier-Tage-Woche heißt die Reduktion der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Die meisten umgesetzten Vier-Tage-Wochen haben aber nur Wochenarbeitszeit auf vier Tage verteilt.

Das Thema wird sehr emotional diskutiert. Man liest und hört ständig, niemand wolle mehr arbeiten. Insbesondere die Jüngeren würden sich drücken. Stimmen Sie zu?

Also auch hier tut, glaube ich, ein bisschen Differenzierung not. Ich glaube nicht, dass man pauschal über irgendwelche Generationen den Stab brechen kann, sagen kann, ihr seid alle faul. In jeder Generation gibt es Drückeberger und Leute, die leistungsbereit sind. Was man aber schon feststellen muss, ist, dass die Jüngeren Schicht- oder Nachtarbeit und Arbeit am Wochenende ablehnen. Wenn die bei einem Bewerbungsgespräch einen Schichtplan vorgelegt bekommen, dann gehen die wieder. Das ist zumindest das, was uns unsere Kunden erzählen. Man muss fairerweise aber auch sagen, dass viele produzierenden Unternehmen nach wie vor mit 38 oder 40 Wochenstunden am Start sind, die wirklich krank machen. Wir sprechen regelmäßig mit Mitarbeitenden aus derartigen Schichtbetrieben, die manchmal 20 Jahre Schichtarbeit auf dem Buckel haben. Da sitzen dann Leute vor einem, die 15 Jahre älter aussehen als sie sind.

Wie wird sich die Arbeitswelt weiter verändern, vor allem angesichts von boomender KI und ChatGPT? Winkt da vielleicht schon - zumindest für manche - die Zehn-Stunden-Woche am Horizont?

Auch die mechanische Automatisierung hat am Ende nicht dazu geführt, dass die Arbeit weniger geworden wäre. Es sind nur andere Jobs entstanden. Wir werden weniger Arbeitskräfte brauchen durch Automatisierung und KI. Wir werden dann aber ein anderes Problem haben: In der Produktion werden mittelfristig die einfachen Jobs wegfallen, gleichzeitig wird die Nachfrage nach Elektrikern, Mechatroniker und ähnlichen Berufen enorm steigen. Das birgt ein Problem: Denn je höher die Qualifikation, desto weniger wollen die Leute in Schichten arbeiten. Aber für die Automatisierung braucht man hoch qualifizierte Leute, die die Maschinen 24/7 betreuen. Ich glaube also nicht, dass KI unsere Probleme lösen wird.

Flexiblere Arbeitszeiten, nicht die Vier-Tage-Woche sind also das Wundermittel und die Antwort auf alle Probleme?

Arbeitszeitverkürzung in den Schichtbereichen muss ein Thema werden. Als Beispiel: Wenn man die Arbeitszeit verkürzt auf 36 Stunden und eine Viereinhalb-Tage-Woche, dann hat man theoretisch jede zweite Woche eine Vier-Tage-Woche und damit dann auch Flexibilität. Es kann eine Zusatzschicht anberaumt werden, ohne die Leute zu überfordern. Und die Leute können untereinander tauschen, weil sie alle zwei Wochen einen freien Tag haben. Will man an dem Tag nicht freihaben, sondern an einem anderen, kann man auch tauschen. Das heißt, es gibt die nötige Flexibilität sowohl für die Mitarbeitenden als auch für den Arbeitgeber. Man hat eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit, ohne auf eine Vier-Tage-Woche zu gehen. Die erfolgreiche Fallstudie aus Großbritannien übrigens, war nie ein Test der Vier-Tage-Woche, sondern im Schnitt ein Test einer 4,5-Tage-Woche. Flexibilisierung geht überall. Im Gegensatz zur Vier-Tage-Woche.

Mit Guido Zander sprach Diana Dittmer

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