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Saturday, June 3, 2023

Radikale Rechte gleichauf mit SPD: „Viele Wähler der AfD sind kaum zurückzuholen“ - Tagesspiegel

Herr Lewandowsky, steigende Umfragewerte für die AfD – Nervosität bei den anderen Parteien. Wovon hängt es ab, ob AfD-Anhänger zurückzugewinnen sind?
Wir sehen in vielen Studien, dass die Wählerinnen und Wähler der AfD sowohl politisch weit rechts stehen als auch populistische Einstellungen zur Demokratie haben. Sie glauben, dass eine korrupte Elite im Land gegen den Willen des vermeintlich wahren Volkes handelt. Die AfD bedient also mit ihrer Programmatik eine Nachfrage, die real vorhanden ist. Die AfD ist auch keine reine Protestpartei mehr, sondern hat es geschafft, sich als Kraft im rechten Spektrum zu etablieren. Viele Wähler der AfD sind deshalb für die anderen Parteien kaum zurückzuholen.

Aber es gibt ja durchaus jene, die angeben, die Partei gewählt zu haben, um den anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Um die könnte es sich ja lohnen, zu kämpfen.
Man muss sich die Wählerschaft der AfD als Zwiebel vorstellen. Außen sind die Sympathisanten und Wechselwähler. Je tiefer wir zum Kern vordringen, desto näher kommen wir den Überzeugten. Wir wissen aus der Forschung, dass der harte, schwer zu erreichende Kern der Getreuen in der AfD anteilig größer ist als bei anderen Parteien. Aber auch die Wechselwähler anzusprechen, ist strategisch für andere Parteien schwierig, weil ihre Gründe, die AfD zu wählen, sehr individuell sein können. Die kann man vielleicht eher noch im persönlichen Gespräch mit Politikern vor Ort zurückgewinnen.

Warum steigt Ihrer Analyse nach gerade die Zahl derer, die in Umfragen der AfD zusprechen? Mittlerweile steht die AfD in Umfragen gleichauf mit der Kanzlerpartei SPD.
Es gibt auch in der Wählerschaft anderer Parteien teilweise populistische oder rechte Einstellungen. Die werden nur nicht unbedingt aktiviert. Es kann aber passieren, dass ein Schlüsselerlebnis oder eine Krisensituation dazu führt, dass sich diese Wähler von SPD, CDU oder FDP abwenden. Beispiel: Jemand hat lange CDU gewählt und wechselte in der Flüchtlingskrise zur AfD. Oder jemand ist enttäuscht, weil sich die FDP in der Ampel nicht genug gegen SPD und Grüne durchsetzt. Zusätzlich gibt es jene, die früher Nichtwähler waren und durch Corona, Krieg oder die Heizungsdebatte politisiert wurden.

Kann es dann nicht für die CDU doch sinnvoll sein, einen Schwenk hin zu einer strikteren Asyl- und Migrationspolitik zu machen? Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte gerade eine grundlegende Änderung des Asylrechts.
Unabhängig davon, ob die Forderung in der Sache sinnvoll ist: Es ist nicht ausgemacht, dass das AfD-Wähler zurückholt. Im Prinzip bietet die CDU den Wählern dann in moderater Form das an, was sie sowieso von der AfD bekommen würde. Wir sprechen in der Forschung von „Mainstreaming“. Die Union als wirkmächtiger Akteur sorgt dafür, dass die Themen der AfD einen Widerhall in der etablierten Politik finden. Das kann die AfD als Erfolg für sich verbuchen, ohne dass sie unbedingt an der Wahlurne verlieren würde.

Für die Sozialdemokraten in Dänemark hat es doch aber funktioniert, oder nicht?
Die sozialdemokratische Partei hat sich bei der Frage der Migrationspolitik bei der vorletzten Wahl sehr restriktiv aufgestellt. Das hat zwar auf der einen Seite dazu geführt, dass die Sozialdemokraten Wähler von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei gewonnen haben. Auf der anderen Seite haben sie aber auch Wähler an die anderen Linksparteien verloren. Im dänischen Parteiensystem, das sehr auf Links-Rechts-Blocklogik basiert, konnten sie am Ende die Regierung stellen. Die CDU würde Gefahr laufen, dass sie das, was sie rechts gewinnt, in der Mitte verliert. Das kann im besten Fall ein Nullsummenspiel werden. Das gleiche Problem hat die CDU auch, wenn sie sich einer populistischen Sprache bedient.

Sie meinen, wenn etwa der Thüringer CDU-Chef Mario Voigt der Ampel vorwirft, eine „Energie-Stasi“ einzurichten? Mal provokant gefragt: Kann man damit nicht womöglich in Thüringen populistisch eingestellte CDU-Wähler halten oder zurückgewinnen?
Aber was ist mit dem nicht-populistisch eingestellten Bürger in NRW? Das, was man auf der einen Seite gewinnt, kann man auf der anderen Seite verlieren. Das Problem ist aber auch: Dämonisierungen gehen über Kritik am Regierungshandeln hinaus. Die „politische Klasse“ – in diesem Fall die Ampel – wird als Gefahr für die Bevölkerung dargestellt. Das kennen wir aus dem Populismus.

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Das ist nicht nur riskant mit Blick auf das eigene Wählerpotenzial. Es gibt dann auch keine Kompromissmöglichkeit mehr – in dem Moment wird die CDU zur Fundamentalopposition. Das vergessen die Bürger nicht. Wenn die CDU in Thüringen nach der nächsten Wahl mit den Grünen koalieren würde, enttäuscht sie ihre Wähler und produziert Politikverdruss.

Aber die Frage ist, ob die Union angesichts ihrer kulturkämpferischen Positionen vor ihren Wählern noch lange begründen kann, warum sie nicht mit der AfD zusammengeht.

Marcel Lewandowsky

Umstritten ist in der Union auch, inwieweit CDU und CSU sich einer Kulturkampfrhetorik bedienen sollten – also einen Kampf gegen das Gendern oder politisch korrekte Sprache führen sollten. Markus Söder zum Beispiel wettert gegen den „Woke-Wahn“. Wie erfolgversprechend ist das für eine konservative Partei?
Die Union lässt sich da von den Republikanern in den USA inspirieren. Auch Merz hat schon die linke „Cancel Culture“ als größte Gefahr für die Meinungsfreiheit in diesem Land identifiziert. Das scheint mir der Versuch zu sein, die Union für eher rechte Wähler attraktiv zu machen. Ich bin auch hier skeptisch, ob das funktionieren kann. Man produziert ein Bedrohungsszenario und bläst ins gleiche Horn wie die AfD. Das kann nach hinten losgehen.  

Es gibt auf der konservativen Seite des politischen Spektrums die Erzählung, dass der „Woke-Wahn“ für das Erstarken der AfD mitverantwortlich ist. Kann da etwas dran sein – überfordert eine zu progressive Politik die Mehrheitsgesellschaft?
Es gibt seit den 60er Jahren einen Wertewandel in westlichen Gesellschaften. Ein Beispiel: Lange waren trans Personen in der Gesellschaft wenig sichtbar. Das ändert sich seit vielleicht zehn Jahren. Sie fordern dieselben Rechte ein, wie sie die Mehrheitsgesellschaft hat.

Das gibt es in vielen Bereichen: Die Binarität der Geschlechter wird infrage gestellt. Dinge, die lange als sicher geglaubt wurden, stehen zur Disposition. Daraus kann bei Personen, die sich ohnehin als Verlierer der Modernisierung begreifen, ein Gefühl der Überforderung, auch der Ablehnung entstehen.

Hat die Politik da Nachholbedarf?
Natürlich muss die Politik solche Veränderungen begleiten und gestalten. Aber der Kampf gegen den „Woke-Wahn“ ist eine Parteistrategie, um Polarisierung zu betreiben und Protest zu generieren, den man dann selbst abgreift. Der Politikberater Johannes Hillje hat von der „Kulturalisierung ökonomischer Themen“ gesprochen. Das teile ich. Die Auseinandersetzung um materielle Fragen, etwa im Klimaschutz, wird teils zum Kulturkampf gegen eine vermeintlich abgehobene Elite stilisiert.

Befürchten Sie angesichts der Stärke der AfD, dass es im Osten zu einer Zusammenarbeit mit der CDU kommen kann?
Ich glaube nicht, dass wir uns auf linearem Weg zur Koalitionsbildung befinden. Aber nach den Landtagswahlen im Osten im kommenden Jahr könnte die CDU dort an einem Scheideweg stehen. Natürlich ist es nicht im Interesse der Bundespartei, die AfD durch eine Koalition weiter zu etablieren. Aber die Frage ist, ob die Union angesichts ihrer kulturkämpferischen Positionen vor ihren Wählern noch lange begründen kann, warum sie nicht mit der AfD zusammen- geht.  

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