Nach den russischen Raketenangriffen auf mehrere ukrainische Städte in der Nacht zum Freitag haben Rettungskräfte im zentralukrainischen Uman 23 Tote aus einem getroffenen Wohngebäude geborgen. Das teilte am Abend das Innenministerium des Landes mit. Unter den Toten seien vier Kinder, das jüngste von ihnen erst zwei Jahre alt, sagte der Militärverwalter der Region Tscherkassy, Ihor Taburez, in einer auf Telegram veröffentlichten Videobotschaft.

EU verurteilt Raketenangriff als "Barbarei"

Der Katastrophenschutz berichtete zudem von 18 Verletzten in der Stadt, Taburez zufolge sind auch unter ihnen drei Kinder. In dem Gebäude seien 27 Wohnungen zerstört oder schwer beschädigt worden. Bei den Raketenangriffen, die unter anderem auch auf die Hauptstadt Kiew zielten, wurden nach ukrainischen Angaben landesweit insgesamt mindestens 25 Menschen getötet.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte angesichts des ersten russischen Raketenbeschusses auf landesweit verteilte Ziele seit März mehr Waffen für sein Land, "härteste Sanktionen gegen den Terrorstaat (Russland) und gerechte Haftstrafen" für die Täter. Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragen Josep Borrell bezeichnete die Angriffe auf Zivilisten als "Barbarei". 

Raketenangriff kleiner als im Winter

Zuvor berichtete das ukrainische Militär, es seien 21 von 23 abgefeuerten Raketen abgeschossen worden. Die angegebene Trefferquote ist damit deutlich höher als bei den meisten Raketenangriffen in der Vergangenheit – die Zahl der eingesetzten Raketen allerdings niedriger. Im Winter hat Russland bei dem Versuch, die ukrainische Strominfrastruktur zu zerstören, das Land durchschnittlich alle zwei Wochen mit meist etwa 70 Raketen pro Angriff beschossen.

Seitdem hat die Ukraine neue Flugabwehrsysteme erhalten, darunter auch aus Deutschland. Wo sie eingesetzt werden, wird allerdings geheim gehalten – so mutmaßten ukrainische Militäranalysten, das Verteidigungssystem Patriot könne etwa in Ermangelung moderner Kampfjets in Frontnähe eingesetzt werden, um die erwartete ukrainische Bodenoffensive zu decken.

Ukraine sieht Vorbereitungen für Offensive abgeschlossen

Die Vorbereitungen für die Gegenoffensive sind nach ukrainischen Angaben nahezu abgeschlossen. Das teilte der Verteidigungsminister des Landes, Olexij Resnikow, mit. Sobald das Wetter günstig sei und sich die verantwortlichen Kommandeure zum Angriff entschließen würden, werde die Offensive beginnen, sagte er. 

Zuletzt hatten die USA sowie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mitgeteilt, die Ukraine habe 98 Prozent der mit Blick auf die Offensive zugesagten schweren Waffen bereits erhalten, darunter mehr als 200 Kampfpanzer und mehr als 1.500 weitere gepanzerte Fahrzeuge

Außenminister warnt vor Hoffnung auf rasches Kriegsende

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat allerdings angesichts der hohen Erwartungen an die Offensive davor gewarnt, das Ende des Krieges von ihr zu erhoffen: Sie werde "nicht die letzte Schlacht" sein, sagte er bei einer Konferenz in Odessa. 

Internationale Experten räumen der Ukraine zwar gute Chancen ein, nach der Befreiung weiterer Gebiete in den Regionen Charkiw und Cherson im vergangenen Herbst weitere Territorien zurückzuerobern. Dass die stark befestigten, teils seit 2014 besetzten Gebiete Donezk und Luhansk sowie die ebenfalls seit 2014 besetzte Halbinsel Krim im Rahmen einer einzigen Offensive befreit werden könnten, wird aber auch in der Ukraine nicht für möglich gehalten. Vom Erfolg dürfte aber wiederum die westliche Bereitschaft, weiter Ressourcen in die Militärhilfen an die Ukraine zu investieren, abhängen.

Weitere Ereignisse des Tages:

  • Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak hat Russland ethnischen Austausch in besetzten Gebieten vorgeworfen. Ein zuvor von Wladimir Putin unterzeichnetes Gesetz, das Abschiebungen von Ukrainern aus den Gebieten erlaubt, wenn sie keinen russischen Pass annehmen, diene auch dazu, die Gebiete mit Russen zu besiedeln.
  • Russland droht erneut mit einem Ende des Getreideabkommens zum Export ukrainischer Agrargüter über das Schwarze Meer. Grund seien Handelsbeschränkungen gegen russischen Dünger, sagte Präsidentensprecher Dmitri Peskow in Moskau. Das Abkommen wurde zuletzt bis Mitte Mai verlängert. Die Ukraine wirft Russland vor, dennoch tagelang verhindert zu haben, dass Schiffe passieren konnten.
  • Tschechiens Präsident Petr Pavel und die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová fordern einen zukünftigen EU- und Nato-Beitritt der Ukraine. Beides sei "für uns keine Frage, ob, sondern wann", schrieb Pavel nach einem gemeinsamen Treffen mit Selenskyj in Kiew.
  • Nach dänischen Militärangaben ist wenige Tage vor den Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 im vergangenen Herbst ein russisches Spezialschiff gesichtet worden. Es sei mit einem Mini-U-Boot ausgestattet und gehöre zu Russlands baltischer Flotte. Die Verantwortung für die vermutete Sabotage der Pipelines ist nicht geklärt, die Ermittlungen bislang nicht abgeschlossen.

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