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Reisechaos, keine Planungssicherheit und viele leere Plätze. Abseits des Sports hat die Handball-WM ordentlich Luft nach oben.
Das Prinzip des "Blind Booking" erfreut sich bei manchen Reiselustigen einer gewissen Beliebtheit. Man bucht eine Reise, ohne vorher den Zielort zu kennen. Die Vorteile sind Nervenkitzel und die Chance auf ein echtes Schnäppchen.
Logistische Katastrophe
So ein bisschen fühlte man sich bei dieser Handball-WM, die, zur Erinnerung, in Polen und Schweden, stattfindet, dann auch so - nur die Schnäppchen gab es nicht. Von acht Viertelfinalisten wusste am Mittwochabend nur ein einziger vor seinem Spiel, wo er 48 Stunden später würde antreten müssen. Nämlich Mit-Gastgeber Schweden, für den klar war, dass er unabhängig vom eigenen Ergebnis in Stockholm bleiben würde.
Eine logistische Katastrophe. Hotels, Flüge und ein Rattenschwanz weiterer organisatorischer Meisterleistungen mussten so teilweise in Nacht- und Nebel-Aktionen vollführt werden, um alle Mannschaften an dem einen spielfreien Tag nach den Viertelfinalspielen zum Beispiel von Danzig nach Stockholm zu karren.
Norwegen: 2.000 Kilometer, neun Spiele, vier Spielorte
Das betraf auch das deutsche Team in besonderem Maße, am härtesten erwischte es aber die Norweger. Die bestritten ihre Vorrunde in Krakau, reisten dann für die Hauptrunde etwa 80 Kilometer nach Kattowitz, dann für ihr Viertelfinale über 500 Kilometer nach Danzig und hatten dann erst nach ihrer so bitteren Niederlage in der Verlängerung gegen Spanien die Gewissheit, dass sie schon am kommenden Tag nach Stockholm würden fliegen müssen. Gut 1.400 weitere Kilometer.
Die Norweger werden also am Ende des Turniers neun Spiele in 17 Tagen an vier verschiedenen Orten bestritten haben und dabei etwa 2.000 Kilometer gereist sein, von denen sie die letzten 1.400 innerhalb von wenigen Stunden organisieren mussten.
Anreise für Fans kaum planbar - dementsprechend leere Hallen
Für Medienschaffende aus den jeweiligen Ländern ist diese Unsicherheit und erzwungene Spontaneität übrigens ebenfalls ein zumindest fragwürdiges Vergnügen. Dieser Satz wurde mit einer Prise Frustration und sehr dunklen Augenringen verfasst.
Viel undankbarer ist die Lage aber noch für Fans aus den jeweiligen Nationen. Nach Vor- und Hauptrunde noch dem eigenen Team hinterherzureisen, Tickets zu bekommen, ein Hotel zu organisieren und das alles zu bezahlen, wird dem gemeinen Handballfan extrem schwer gemacht.
Frankreichs Kentin Mahé sagte im ZDF nach dem Viertelfinal-Sieg über Deutschland im Hinblick auf das anstehende Halbfinale gegen Schweden in Stockholm: "Wir haben bis auf das Polen-Spiel eigentlich vor leeren Rängen gespielt, deswegen freuen wir uns sehr auf dieses Spiel."
Tatsächlich blieben bei vielen hochkarätigen oder wichtigen Partien viele Plätze unbesetzt. Spielten die Gastgeber, kochten die Hallen - oftmals dünsteten sie aber nur. Bei Deutschlands Platzierungsspiel gegen Ägypten, das im umfunktionierten Stockholmer Fußballstadion ausgetragen wurde, waren schätzungsweise 2.000 der 22.000 Plätze besetzt. Da war es fast ratsam, das Handy stummzuschalten, um die anderen Anwesenden nicht zu stören.
Mehr Spiele, mehr Belastung - aufgeblähtes Turnier
"Organisatorisch läuft einiges unrund", hatte Mahé die Gesamtsituation bereits nach dem Hauptrundenspiel seines Teams gegen Spanien beschrieben. Dass entscheidende Hauptrundenspiele teilweise nicht gleichzeitig stattfanden und Teams sich so theoretisch ihre Gegner aussuchen konnten, war da noch nicht einmal inbegriffen. Viertelfinale fanden dann wiederum gleichzeitig statt, sodass der Handballfan vor dem Bildschirm sich entscheiden musste.
Zum zweiten Mal fand eine WM-Endrunde mit 32 statt zuvor 24 Mannschaften statt, zum zweiten Mal wurde eine WM-Endrunde der Männer in zwei Ländern ausgetragen. Auch die rein körperliche Belastung für die Spieler wurde dadurch ungleich höher - nicht nur wegen des einen Spiels mehr. Es bleibt bei aller Begeisterung für viele sportliche Höhepunkte die Erkenntnis, dass mehr eben nicht immer automatisch besser ist.
Handball-WM: Logistisches Chaos und viele leere Plätze - Sportschau
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