Die Deutschen schränken ihren Gasverbrauch bisher vor allem bei milden Temperaturen ein, das Sparziel scheint noch in weiter Ferne. Warum das Einschränken so schwer ist und was die Verbraucher dazu bringen würde, erklärt Verhaltensökonom Christian Chlupsa.
Die Bundesbürger sparen Gas bis jetzt vor allem abhängig vom Wetter, wie eine Studie zeigt - temperaturbereinigt haben sie ihren Verbrauch im ersten Halbjahr nur um drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesenkt. Dabei ruft die Bundesregierung seit Monaten zum Sparen auf, um einen Gasmangel zu verhindern. Das ausgegebene Ziel: 20 Prozent. Das Problem: Wir Menschen wissen zwar, dass unser Verhalten Konsequenzen hat, doch diese sind gefühlt weit weg. Wie beim Sport, bei der gesunden Ernährung oder dem Alkohol siegt bei der Entscheidung, die Heizung aufzudrehen, die Freude im Jetzt, wie Verhaltensökonom Christian Chlupsa im Gespräch mit ntv.de sagt. "Der Gasverbrauch müsste deshalb jetzt wehtun."
"Wir werden über Freud und Leid gesteuert", erklärt der Professor von der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in München. Geld spielt dabei offensichtlich eine zentrale Rolle: "Der Weggang von Geld sieht im MRT genauso aus wie Zahnschmerzen, hat eine Studie gezeigt." Die meisten Verbraucher, die zurzeit morgens im Bad die Heizung anmachen - wie auch Chlupsa selbst -, spüren jedoch nicht den "Schmerz" der hohen Kosten, sondern nur wohlige Wärme. Die Nebenkostenabrechnung kommt schließlich erst im nächsten Jahr.
"Wir bräuchten ein direktes Signal", fordert der Verhaltensökonom. Die monatlichen Abschläge für Gas müssten umgehend drastisch erhöht werden. Ähnlich wie beim Strom, schlägt Chlupsa vor: "Wenn die Anbieter ihren Kunden zurzeit mitteilen, dass der Strom jetzt das Doppelte kostet, überlegen die sich schon, ob das Licht den ganzen Abend an sein muss."
Wer bereits spart, kann die eigene Ersparnis ebenso wenig greifen. Wer zum Beispiel nicht heizt, obwohl er gern würde, spart zwar, weiß aber nicht wie viel Geld er damit einspart. Somit kommt weder eine negative Rückmeldung - die hohen Kosten - noch eine positive - ich spare eine bestimmte Menge oder Summe - beim Verbraucher an. Dabei führe nur direktes Feedback zu schnellem Handeln, erklärt der Ökonom. Wie beim Autofahren: Wer ins Rutschen komme, merkt schnell, dass er reagieren muss; bei langen Strecken hingegen könnten Fahrer schlecht selbst einschätzen, etwa wie lange sie genau brauchen oder ob eine Kaffeepause nötig ist.
Neuer Fernseher wird erschwinglich
Ein weiteres Hindernis fürs Gassparen: Für das Problem eines drohenden Gasmangels und der explodierten Kosten müsste nach Ansicht von Chlupsa ein stärkeres Bewusstsein geschaffen werden. Da der Mensch sehr visuell ticke, würden dabei Bilder helfen. "Prozentangaben kann keiner fassen, wir brauchen Rechnungen für durchschnittliche Haushalte: Wenn du dich so verhältst, kostet dich das zum Beispiel 1000 Euro - das heißt, du kannst nächstes Jahr nicht in den Urlaub fahren oder sogar deine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Oder ins Positive gedreht: Du kannst dir einen neuen Fernseher leisten, wenn du Energie sparst."
Modellrechnungen finden Verbraucher unter anderem in zahlreichen Medienberichten, "aber ein Großteil der Bevölkerung ist ziemlich uninformiert", konstatiert Chlupsa. Kein Wunder, findet der Professor: Schon vor Erfindung der sozialen Netzwerke lebten die Menschen in einer ständigen Reizüberflutung - jetzt erst recht. Die Verbraucher befänden sich in einem "Dauerfeuer": "Erst Corona, dann der Ukraine-Krieg, und jeden Tag ändert sich etwas."
Politik sendet "ökonomisch total falsches Signal"
Deshalb genügt es in seinen Augen nicht, das Problem in die Nachrichten zu bringen. Nötig wäre nach Ansicht des früheren Werbers eine großangelegte Kampagne. Prominente und andere Menschen müssten - glaubwürdig - mit den "Schmerzen" gezeigt werden, die der Gasverbrauch bei ihnen auslöst. Um die Botschaft zu verbreiten, seien soziale Netzwerke sehr wichtig, aber auch Anzeigen auf Plakaten, im öffentlichen Nahverkehr, auf kommunalen Fahrzeugen wie Müllautos. "Das kostet weniger als die Folgen eines zu hohen Gasverbrauchs", sagt der Ökonom. Eine solche Kampagne müsse allerdings nicht nur schnell kommen, sondern auch zeitgemäß sein - im Gegensatz etwa zu der fürs Impfen gegen Corona. Bei verfehlten Kampagnen seien in der Regel nicht die Dienstleister, die diese entwickelten, das Problem, sondern dass Entscheidern der Mut fehle. "Dann muss es halt mal krachen", findet Chlupsa.
Stattdessen sende die Politik das "ökonomisch total falsche Signal", sagt der Verhaltensökonom. Wie so oft träfen Politiker Entscheidungen, um sich nicht unbeliebt zu machen und keine Hysterie auszulösen. Kanzler Olaf Scholz will die Energiepreise auf ein "verträgliches Maß" drücken, wie er gerade wieder bekräftigte. Doch ganz im Gegenteil dürfte das Signal laut Chlupsa eben nicht sein, dass alles halb so schlimm wird, sondern im Moment müsste Druck aufgebaut werden. "Nur wenn es wehtut, reagieren wir schnell, wenn wir den Schmerz weghaben wollen." So sei der Schmerz über die hohen Energiekosten bei Hausbesitzern, die aktuell ihren Heizöltank füllen müssen, bestimmt größer als bei Gaskunden.
Mit Schmerz in der Zukunft gehen die Menschen hingegen sportlich um, wie Chlupsa es formuliert. So sei zum Beispiel seit Jahrzehnten klar, dass das deutsche Rentensystem im Gegensatz zu anderen Ländern wie Österreich oder der Schweiz nicht funktioniere. Aber jede neue Regierung scheue sich, das Problem anzupacken. Auch wüssten die meisten Betroffenen, dass sie sich beispielsweise ungesund ernähren oder zu wenig Geld für die Zukunft zur Seite legen - aber die Currywurst oder das neue Kleid seien gerade verlockender. Bei Finanzen ist dieses Verhalten laut dem Ökonomen besonders ausgeprägt. "Viele verheizen gerade ihren Sommerurlaub."
"Sparen wichtig für den sozialen Frieden"
Für kontraproduktiv hält Chlupsa deshalb nicht nur die geplanten Gaspreisbremse, sondern auch Aussagen der Bundesregierung, dass Deutschland angesichts gut gefüllter Gasspeicher voraussichtlich gut durch den Winter komme. Denn um einen Gasmangel zu verhindern, müssen die Verbraucher deutlich sparen, auch wenn die Berechnungen von Wissenschaftlern dafür mit 20 Prozent - bei genügend LNG-Importen über die neuen Terminals - bis 30 Prozent auseinandergehen.
In einer aktuellen Umfrage gaben drei Viertel der Befragten an, sich beim Heizen einzuschränken. Chlupsa vermutet allerdings, dass sie das auch aus sozialer Erwünschtheit antworteten. Würden sie gefragt, ob sie zum Beispiel Freunde haben, die keine Energie sparen, dürften die Antworten anders ausfallen - oder wenn nach ihren konkreten Sparmaßnahmen gefragt wird.
Der Verhaltensökonom ist trotzdem nicht pessimistisch: "Wenn man den Menschen wie in anderen Bereichen zeigt, dass das Gassparen wichtig für den sozialen Frieden ist, sparen sie auch." Schließlich sei der Mensch ein soziales Wesen, die meisten spendeten beispielsweise und leisteten Erste Hilfe. Chlupsa: "Wir müssen das Sparen zum Kult erheben."
Gasverbrauch müsste wehtun: "Viele verheizen gerade ihren Sommerurlaub" - n-tv NACHRICHTEN
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