Stand: 29.09.2022 18:42 Uhr
Schwedens Küstenwache hat nach eigenen Angaben ein viertes Gasleck an den beschädigten Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee entdeckt. Bisher waren nur drei Löcher bekannt. Experten gehen davon aus, dass Untersuchungen zur Ursache noch Wochen dauern könnten.
Die schwedische Küstenwache hat bereits am Dienstag bei Aufklärungsflügen oberhalb des Verlaufs der Trassen von Nord Stream 2 ein viertes Leck entdeckt. Da eine Röhre des Doppelstrangs noch immer unter Druck steht und offenbar intakt ist, soll sich das Leck in der anderen befinden, wo bereits am Montag ein Leck entdeckt worden war. Das vierte Leck soll sich nach Medienberichten auf einer Länge von 200 Metern ausdehnen und knapp zwei Kilometer vom anderen Leck entfernt sein.
Dänische Behörde: Bald letztes Gas aus Leitungen ausgeströmt
In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Später meldete der Nord-Stream-1-Betreiber einen Druckabfall auch in diesen beiden Röhren. Dänische Behörden entdeckten schließlich insgesamt drei Lecks an den beiden Pipelines. Laut dänischer Energiebehörde ist bereits mehr als die Hälfte des Gases aus den betroffenen Leitungen entwichen. Voraussichtlich am Sonntag sollen die Leitungen demnach leer sein, wie Behördenchef Kristoffer Böttzauw sagte.
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Spekulationen über Verursacher
Mehrere Länder brachten bereits am Dienstag einen Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden ins Spiel. Die EU und die Nato gehen von Sabotage aus. US-Außenamtssprecher Ned Price sagte, die US-Regierung wolle keine Mutmaßungen über mögliche Hintermänner einer Sabotage-Aktion anstellen, bis Untersuchungen an den Erdgasleitungen abgeschlossen seien. Der Kreml hatte am Mittwoch Spekulationen über eine russische Beteiligung an der Beschädigung der Pipelines als "dumm und absurd" zurückgewiesen.
Nato geht von Sabotage aus
Die Nato ist davon überzeugt, dass die Lecks an den Gaspipelines auf Sabotage zurückzuführen sind. In einem Statement der 30 Mitgliedsstaaten heißt es, alle derzeit verfügbaren Informationen deuteten auf "vorsätzliche, rücksichtslose und unverantwortliche Sabotageakte" hin. Ein möglicher Verantwortlicher wird in dem Statement nicht genannt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte, jedem vorsätzlichen Angriff auf die kritische Infrastruktur von Verbündeten werde mit einer geschlossenen und entschlossenen Antwort begegnet. Die russische Führung bestreitet, für die Schäden verantwortlich zu sein.
Experte: Unsicherheit im Westen zahlt auf russische Agenda ein
Die Frage nach dem Urheber der Lecks steht weiter im Raum. Experten verweisen darauf, dass man erst Ergebnisse von Untersuchungen abwarten müsse, um möglicherweise Klarheit zu bekommen. Dennoch blühen die Spekulationen. Dabei werden auch immer wieder die USA genannt mit dem Hinweis, dass die Pipeline Nord Stream 2 der US-Regierung stets ein Dorn im Auge war. Der Sicherheitsexperte Johannes Peters von der Universität Kiel sagte dazu im ARD Morgenmagazin, dass es zwar im Interesse der USA gelegen habe, dass Nord Stream 2 nicht in Betrieb geht, dennoch hält Peters eine US-Beteiligung für unwahrscheinlich.
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"Ich bin mir sicher, dass die USA nicht soweit gehen würden, Energieinfrastruktur ihres wichtigsten Verbündeten, nämlich Europas, zu zerstören. Das würde im Endeffekt dazu führen, dass die USA das schaffen, was andere seit Jahren versuchen - nämlich den Westen, Europa und die USA, auseinanderzutreiben." Dagegen gebe es bei genauerem Hinsehen durchaus Gründe für Russland, die Pipelines zu sabotieren. "Beispielsweise allein die Tatsache, dass wir uns heute unterhalten, nämlich die große Unsicherheit, die im Westen erzeugt wird - das sind Dinge, die ganz klar auf eine russische Agenda einzahlen würden", so Peters.
Experte fragt nach dem "Wann?" und "Wie?"
Bei der Frage der konkreten Durchführung der Pipeline-Zerstörung werden immer wieder ferngesteuerte Unterwasserdrohnen oder Kampftaucher genannt, die Sprengstoff an den Leitungen platziert haben könnte. Der Experte für maritime Sicherheit, Julian Pawlak, von einem Think Tank der Bundeswehr in Hamburg, hält noch ein drittes Szenario für denkbar, wie er bei NDR MV Live erklärte. Demnach könnten die Pipelines auch von innen beschädigt worden sein. "Die Frage, die sich natürlich stellt und die auch ein Problem ist, um diese Verbringung nachzuweisen, ist, zu welchem Zeitpunkt dies geschehen ist", so Pawlak. Es sei durchaus möglich, dass Sprengstoffe nicht erst unmittelbar vor der Detonation, sondern bereits Wochen vorher oder sogar schon beim Bau der Pipelines platziert worden sind. Es gebe noch viele offenen Fragen, die genaue Untersuchungen beantworten müssten: "Welche Art von Explosion war es? Kam sie von außen? Von innen? Sind möglicherweise Rückstände von Sprengstoffen vor Ort?" Antworten würden die nächsten Wochen bringen.
Kritische Infrastruktur gilt als verwundbar
Der Vorfall habe gezeigt, dass kritische Infrastruktur vulnerabel sei. In erster Linie sind laut Pawlak Betreiber für die Sicherheit und den Betrieb der Anlagen verantwortlich. Hinzu kämen die Bundespolizei oder die Landespolizeien mit der Wasserschutzpolizei, die auf deutschem Territorium und in deutschen Gewässern, die Anlagen schützten. "Gleiches gilt für die Seestreitkräfte, nicht nur in Deutschland" Mit Blick auf die Länge der gesamten Infrastrukturen - allein die Nord-Stream-Leitungen sind mehr als 1.200 Kilometern lang - ließen diese sich aber nicht 100-prozentig schützen. "Es ist natürlich nicht möglich, jeden Kilometer rund um die Uhr zu überwachen oder alle 50 Seemeilen ein Schiff der Deutschen Marine zu platzieren."
Deutsche Marine mit "Auge und Ohr" in der Ostsee
Die Deutsche Marine soll sich auch an den nun Fahrt aufnehmenden Ermittlungen beteiligen. Sie hat den Ostseeraum im Blick und setzte zuletzt wegen der Eskalation der Spannungen mit Russland wieder verstärkt Flottendienstboote ein. Die Aufklärungsschiffe sind "Auge und Ohr" der Marine, damit der gesamten Bundeswehr und somit auch der Nato. Auch deutsche Seefernaufklärer P-3C Orion sind immer wieder über dem Gebiet unterwegs gewesen. Mit einem Magnetanomalie-Detektor können diese Flugzeuge U-Boote im Erdmagnetfeld unter dem Flugzeug erkennen. Dazu kommt die Überwachung von Land unter und über Wasser.
Ermittler gehen von mehreren hundert Kilogramm Sprengstoff aus
EU-Kommissarin Ylva Johansson äußerte sich zuversichtlich, dass herausgefunden werden kann, wer hinter dem mutmaßlichen Sabotageakt steckt. Bislang gibt es dazu zwar nur Arbeitshypothesen, doch die Auswertung der Radar- und Satellitendaten von Booten, Schiffen und U-Booten, die sich im fraglichen Zeitraum in dem Gebiet aufhielten, läuft auf Hochtouren. Im Blick haben die Ermittler aus Dänemark, Schweden und Deutschland beispielsweise die Frage der Reichweite, also wie weit ein Militärtaucher mit einer größeren Last maximal schwimmen könnte. Immerhin geht man davon aus, dass für die beobachteten und von Sensoren registrierten Explosionen insgesamt mehrere Hundert Kilogramm Sprengstoff verwendet wurden. Aus Sicherheitskreisen hieß es, dass Taucher oder ein ferngesteuerter Roboter möglicherweise schon am Wochenende die Schäden begutachten könnten. Dann könnten im besten Fall erste Rückschlüsse auf die Art der Explosion unter Wasser und den dabei eingesetzten Sprengstoff gezogen werden.
Pegel: Keine Gefahr für deutsche Gewässer
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) sieht für die Trassen in deutschen Gewässern keine Gefahr. Die Pipelines sowie die geplanten Flüssiggasterminals liegen in flachen, küstennahen Gewässern und seien für Ordnungsbehörden leichter zu beobachten, sagte Pegel. Gleichzeitig verstärkte die Polizei am Dienstag in Lubmin die Sicherung der Anlandestationen der beiden Pipelines. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung warnte derweil vor einem fossilen Energiekrieg. Nach diesem Sabotageakt befürchten Experten des Instituts künftig weitere Versuche der Destabilisierung von Energieversorgungssystemen - möglicherweise auch durch Angriffe auf Atomkraftwerke.
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Nord Stream: Viertes Leck und viele Spekulationen - NDR.de
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