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Sunday, September 18, 2022

Das neue Bürgergeld stürzt viele Deutsche in ein gefährliches Dilemma! - FOCUS Online

Das Bürgergeld löst Hartz IV ab. Wenn alles nach Plan geht, bereits zum 1. Januar 2023. Das hört sich an wie vor zwei Jahrzehnten, als Mars seinen Raider-Schokoriegel in Twix umtaufte. Doch der Vergleich hinkt. Das Bürgergeld ist näher am bedingungslosen Grundeinkommen als bei Hartz IV.

Es enthält, um beim Raider-Twix-Beispiel zu bleiben, unter dem neuen Label jedoch viel mehr Zucker. Da drängt sich die Frage auf, ob das Bürgergeld nicht ein Anreiz zum Faulenzen sein kann.  

Aus der Sicht der Empfänger bietet das Bürgergeld viele Vorteile. Zunächst einmal werden die Leistungen um 12 Prozent angehoben. Ein Alleinstehender bekommt demnächst 502 (449) Euro im Monat, ein Paar 954 (853) Euro. Bei einer Familie mit zwei Kindern werden, je nach Alter, bis zu 768 (687) Euro zusätzlich fällig. Macht zusammen 1722 Euro.

Dazu übernimmt das Jobcenter die komplette Miete samt Nebenkosten plus die Kosten fürs Heizen. In Großstädten mit hohen Mieten kommen da schnell nochmals 1000 Euro zusammen.

150.000 Euro auf der hohen Kante? Kein Problem!  

Diese Erhöhungen wären angesichts der Inflationsrate auch bei unveränderten Hartz-IV-Regeln gekommen. Ein großer Vorteil für die Empfänger ist allerdings die Ausweitung des Schonvermögens, also der eigenen Rücklagen, die beim Bezug des Bürgergeldes nicht angetastet werden müssen.

Dieser Freibetrag wird bei einem Erwachsenen von derzeit rund 10.000 auf 60.000 Euro erhöht. Eine Familie mit zwei Kindern kann 150.000 Euro auf der hohen Kante haben und gleichzeitig Transferleistungen beziehen. Das gilt für die ersten zwei Jahre.  

Bei den Transfergeldempfängern sind so hohe Rücklagen sicher nicht die Regel. Doch sollte man die Clans mit Migrationshintergrund nicht übersehen, deren Mitglieder häufig in Nobelkarossen vor dem Jobcenter vorfahren. Apropos Auto: Ein Fahrzeug je erwerbsfähiger Person darf sein, ohne dass das Amt weniger zahlt. 

 

Kein Umzug nötig: Wohnung darf groß und teuer sein  

Viel großzügiger ist der Staat auch bei der Wohnung. Bisher mussten Hartz-IV-Empfänger umziehen, wenn ihre Wohnung zu groß und zu teuer war. Von Januar an dürfen die Empfänger staatlicher Leistungen in den angestammten vier Wänden bleiben. Die Miete, Heiz- und Nebenkosten übernehmen das Amt beziehungsweise die Steuerzahler. Erst nach zwei Jahren könnte ein Umzug in eine günstigere Wohnung drohen. 

Noch eine wichtige Neuerung: Wer sich weigert, eine vom Jobcenter angebotene Stelle anzunehmen oder sich weiterzubilden, muss in den ersten sechs Monaten keine Abstriche bei den Geldleistungen hinnehmen. Sanktionen können faktisch erst nach neun Monaten verhängt werden. Wer will, kann also mal mehr als ein halbes Jahr auf Kosten der Allgemeinheit pausieren.  

In der Vergangenheit galt der sogenannte Vermittlungsvorrang. Wer ein Jobangebote hatte, musste es annehmen, selbst wenn er dafür eher überqualifiziert war. Unter den Bürgergeld-Regeln können Arbeitslose, die angebotene Arbeiten nicht annehmen wollen, auf Weiterbildung setzen. Wer eine Weiterbildung durchläuft, der wird vom Staat mit 150 Euro pro Monat belohnt.

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Belohnung für eine Selbstverständlichkeit: Weiterbildung  

Der Staat erwartet also nicht, dass ein Arbeitsloser sich aus eigenem Antrieb qualifizieren will, um wieder einen Job zu finden. Sondern er zahlt eine Prämie, wenn jemand wegen seiner zu geringen Qualifikationen nicht auf Dauer arbeitslos bleiben will. 

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und die Ampel gehen bei dieser Reform offenbar davon aus, dass gute Staatsbürger von sich aus darauf bedacht sind, für sich selbst zu sorgen und staatliche Hilfen nur dann in Anspruch zu nehmen, wenn es gar nicht anders geht. Die Menschen sind aber nicht alle „edel, hilfreich und gut“.  

Vielmehr neigen nicht wenige dazu, sich staatliche Leistungen zu erschleichen oder „mitzunehmen“. Die Berater in den Jobcentern können ein Lied davon singen, wie manche Hartz-IV-Empfänger sich grundsätzlich weigern, eine Arbeit anzunehmen, Gesprächstermine unter fadenscheinigen Vorwänden nicht wahrnehmen und beim Ergattern von Zusatzleistungen alle denkbaren Tricks anwenden.  

Einladung, es sich im Sozialsystem bequem zu machen

Arbeitgeber und viele Ökonomen stehen deshalb dem neuen Bürgergeld skeptisch bis ablehnend gegenüber. Sie sehen in dem zeitweiligen Verzicht auf Sanktionen eine Einladung, es sich im Sozialsystem bequem zu machen, jedenfalls in den ersten neun Monaten des Bürgergeldbezugs.  

Gegner von Sanktionen wenden ein, in der Vergangenheit seien nur drei bis vier Prozent der Hartz-IV-Empfänger sanktioniert worden; 97 Prozent der Betroffenen seien demnach ehrlich. Allerdings weiß niemand, wie „ehrlich“ die große Mehrheit wäre, wenn sie beim Tricksen und Täuschen nicht mit Leistungskürzungen bestraft werden könnten.

Abstand zwischen Lohn und Unterstützung wird kleiner  

Noch riskanter als das Aussetzen von Sanktionen ist etwas anderes: Das Bürgergeld verringert den ohnehin schon geringen Abstand zwischen den Einkommen von Geringverdienern und den Bezügen von Leistungsempfängern.

Die Grundsicherung steigt zum 1. Januar um 12 Prozent. Von solchen Erhöhungen können Arbeitnehmer nur träumen. Für einen Familienvater, der vielleicht 2000 oder 2300 Euro im Monat verdient, kann das Bürgergeld finanziell eine echte Alternative zur 38- oder 40-Stunden-Woche sein – in diesen Zeiten schon wegen der hundertprozentigen Übernahme der Heizkosten.  

Zweifellos gibt es unter den Hartz-IV-Beziehern viele, die aus gesundheitlichen Gründen keiner geregelten Arbeit nachgehen können. Auch Alleinerziehende, deren Kinder keinen Kita-Platz finden, haben es schwer, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Es war jedoch schon in der Vergangenheit so, dass es eine auffällige Diskrepanz gab zwischen offenen Stellen für Ungelernte und 3,8 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfängern. 

Kombination aus „Stütze und Schwarzarbeit“  

Offenbar haben sich viele Arbeitslose in einem System von „Stütze plus etwas Schwarzarbeit“ eingerichtet. Es ist doch grotesk, dass die Regierung in der Türkei (vergeblich) Kofferträger anzuwerben versuchte, weil in Deutschland lebende Langzeitarbeitslose diese Arbeit offenbar meiden. Ebenso unverständlich ist, dass wir Jahr für Jahr Erntehelfer aus dem Ausland „importieren“.  

Viele Transfergeldempfänger dachten bisher nicht daran, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Unter den Bürgergeld-Bedingungen werden sie es noch weniger tun. Wer dies nicht glaubt, möge versuchen, eine Hilfe für Haus oder Garten zu finden, die bereit ist, diese Einnahmen ordnungsgemäß zu versteuern. Oder jemanden, der im Winter morgens um 6 Uhr Schnee schippt. Er wird in Großstädten kaum Glück haben.  

Bürgergeld als Alternative zu schlecht bezahlter Arbeit  

Der erleichterte Zugang zum Bürgergeld wird diese Widersprüche eher verschärfen. Natürlich gib es unter den Beziehern der Grundsicherung viele, die bereit wären, eine Arbeit anzunehmen. Aber man muss auch ganz nüchtern sehen, dass höhere Sozialleistungen den Anreiz, 38 oder 40 Stunden in der Woche zu arbeiten, nicht unbedingt erhöhen.

  

In der Regel haben Arbeitende mehr Einkommen zur Verfügung als die Empfänger staatlicher Unterstützung. Je geringer jedoch der Unterschied zwischen Arbeitseinkommen und arbeitslosem Einkommen ist, umso geringer wird der Anreiz zu einer Vollzeittätigkeit und umso größer die Versuchung, sich mit dem Bürgergeld einzurichten – ohne reguläre Arbeit. 

Bürgergeld ist ein „Grundeinkommen light“  

Die Grundsicherung in der bisherigen Form erlaubt natürlich kein Faulenzerleben in Saus und Braus. Aber sie ist nicht so niedrig, dass Menschen alles tun würden, nur um einen Job zu bekommen.

Mit dem Bürgergeld wird es für die, die sich lieber mit wenig zufriedengeben als sich nach Kräften anzustrengen, leichter. Schließlich ist das Bürgergeld nichts anders als eine Vorstufe zu einem bedingungslosen Grundeinkommen, das SPD und Grüne ohnehin anstreben.  

Nach dem Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens versorgt der Staat alle Bürger so, dass sie sich frei entscheiden können, ob sie arbeiten oder nicht. Da Bürgergeld entspricht einem „Grundeinkommen light“ auf Zeit. Es bricht mit dem alten Prinzip des „Forderns und Förderns“. Jetzt wird wesentlich mehr gefördert als gefordert.  

Die Fleißigen zahlen das Ganze  

Gefordert werden auch die Arbeitnehmer mit geringen Einkommen, die hinnehmen müssen, dass ihr Vorsprung vor den Nicht-Arbeitenden schrumpft. Gefordert werden nicht zuletzt die Steuer- und Beitragszahler. Der Staat kann nämlich nichts verteilen, was er nicht vorher den Bürgern abgenommen hat.

So gesehen ist Bürgergeld gar keine so falsche Bezeichnung: Ausgegeben wird das Geld der Bürger, die fleißig sind und ihre Steuern zahlen – zum Wohl derer, die nicht arbeiten können, und zum Nutzen derer, die nicht arbeiten wollen. 

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