Der 16-jährige Mouhamed D. aus dem Senegal starb durch Polizeikugeln in Dortmund. Die Ermittlungen laufen. Viele Fragen sind offen.
Es ist ein kleines Denkmal, das die Menschen aus der Dortmunder Nordstadt in der Holsteiner Straße, ganz in der Nähe der St. Antonius-Kirche, aufgebaut haben. Ein Denkmal aus Kerzen, Blumen und Postern für den 16-jährigen Mouhamed D., der am Nachmittag des 8. August durch fünf Kugeln aus der Maschinenpistole eines Polizeibeamten starb.
Leichnam in den Senegal überführt
Auf einer Karte steht: "Ich kenne dich nicht, Kind. Aber doch bin ich in Gedanken ununterbrochen bei dir. Ich trauere um dich. Ich weine um dich." Mittlerweile sieht die Gedenkstätte heruntergekommen aus. Die Blumen hier werden nicht mehr erneuert. Der Leichnam des Jungen wurde inzwischen in seine Heimat Senegal überführt.
Immer noch und immer wieder treffen sich die Anwohner in den Cafés und auf den Plätzen in den umliegenden Straßen und reden über den Polizeieinsatz an jenem Montagnachmittag. Die große Frage, die bisher unbeantwortet blieb: "Wie konnte es so weit kommen?"
Mit Messer auf Polizei losgegangen
Nach bisherigen Erkenntnisses soll Mouhamed mit einem Messer auf die Polizei losgegangen sein. Die soll erst Reizgas, dann Elektroschockgeräte eingesetzt haben. Dann fielen die tödlichen Schüsse. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Es gelte zunächst die Unschuldsvermutung.
Viele hier haben der Polizei schon vorher nicht getraut. "Wenn ich Probleme habe, rufe ich nicht die Polizei. Wenn die kommen, sagen sie immer, ich soll leiser sprechen, ich sei zu laut. Aber wir Ausländer sind laut, wenn wir sprechen, das ist normal", berichtet eine Frau aus Nigeria auf einem Spielplatz in der Nähe.
Auch ihrer Tochter habe sie geraten, bei Problemen nicht die Polizei zu rufen. Sie sagt, die Situationen würde sich damit nur verschlimmern. Es gibt kaum Anwohnerinnen und Anwohner, die für das Verhalten der Polizei gegenüber dem 16-Jährigen überhaupt Verständnis zeigen.
Waffeneinsatz als Notwehr?
Unterdessen hat der Tod des Senegalesen die Politik erreicht. Zwar hatte Innenminister Herbert Reul (CDU) bereits Mitte August Fragen der Opposition im Düsseldorfer Landtag beantwortet. Dort aber hieß es nur: "Weshalb es zu der Schussabgabe und zu dem Einsatz der übrigen Waffen gekommen ist, ist Gegenstand der weiteren Ermittlungen."
Insbesondere werde zu prüfen sein, ob der Einsatz der Waffen zur Nothilfe oder aus Notwehr erfolgte. Der Innenexpertin Elisabeth Müller-Witt reichte das nicht aus. Sie hat einen Fragenkatalog vorgelegt, der in der Sitzung des Hauptausschusses am Dienstag beantwortet werden sollte. Der Hauptausschuss ist zuständig, da sich der Innenausschuss des neuen Landtags noch nicht konstituiert hat.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Die SPD wollte unter anderem wissen: Welche Erkenntnisse liegen bisher vor, ob das Mitführen einer Maschinenpistole und ob die Abgabe von sechs Schüssen jeweils erforderlich waren? Wieso haben die Taser versagt? Warum waren die Bodycams nicht eingeschaltet?
Verena Schaeffer, Fraktionsvorsitzende des kleinen Koalitionspartners, den Grünen, dämpfte im Gespräch mit ZDFheute vorab schon einmal die Erwartungen: "Ich finde es wichtig, dass sich jetzt auch der Landtag mit dem Fall beschäftigt. Es gibt ja ganz viele Fragen. Aber klar ist auch, dass die Staatsanwaltschaft derzeit ermittelt, also heute wahrscheinlich viele Fragen noch gar nicht beantwortet werden können." Und so kam es auch. Innenminister Reul legte zwar einen neuen Bericht vor, der aber nicht viel Neues enthielt.
Reul: Gründlichkeit vor Schnelligkeit
Er bedauerte den Tod des 16-Jährigen und sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Der Familie habe er versichert, es werde alles getan, um die Umstände aufzuklären, sagt er. Gründlichkeit gehe aber vor Schnelligkeit, man dürfe die Ermittlungsarbeit nicht gefährden. Die Beamten hätten gewusst, dass der jugendliche Flüchtling kein Deutsch sprach und in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht war.
Nicht auf Französisch angesprochen
Er sei auf Deutsch, Englisch und Spanisch angesprochen worden, so Reul. Amtssprache im Senegal ist aber Französisch. Ob die Bodycams eingeschaltet gewesen sind, wollte der Minister weder bestätigen noch dementieren.
Nach mehr als zwei Stunden Diskussion blieben viele Fragen offen. Zu viele, meint die SPD. Natürlich gelte es, die Ermittlungen abzuwarten, sagte Elisabeth Müller-Witt. Der Minister müsse aber nun endlich "eine aktive Rolle bei der Aufarbeitung übernehmen". Die Informationen seien sehr spärlich: "Auch heute ist Minister Reul in seinen Ausführungen viel zu vage geblieben", so Müller-Witt.
Härte der Polizei stößt auf Unverständnis
Auch in der Dortmunder Nordstadt verlangen sie Aufklärung von der Politik. Hussein arbeitet als Verkäufer in einem Kiosk im Viertel. Für ihn trägt Mouhamed auch eine Mitschuld, weil er die Polizei mit einem Messer angegriffen haben soll. Allerdings verstehe er nicht, warum die Polizei mit dieser Härte vorgegangen sei.
Er fragt sich, warum die Polizei nicht nur ein oder zwei Mal, sondern gleich sechs Mal geschossen hat. Laut Obduktionsbericht trafen fünf Kugeln Mouhamed im Gesicht, am Unterarm, in den Bauch und zweimal in die Schulter. Er verstarb an diesen Verletzungen im Krankenhaus.
Toter Jugendlicher in Dortmund: Kerzen, Blumen und viele offene Fragen - zdf.de
Read More
No comments:
Post a Comment