Folgen der Inflation: Top-Ökonomon verrät, warum so viele Deutsche kein Geld zum Sparen haben
Viele Deutsche erreichen so langsam ihre finanziellen Grenzen. Inflation und Teuerungen saugen ihnen das Geld aus der Tasche. Zum Sparen bleibt am Ende nichts mehr übrig. Hinzu kommt: Viele haben heute kaum Ersparnisse und sind der Inflation schutzlos ausgeliefert. So spart Deutschland.
Den Traum vom Haus, vom neuen Auto oder vom nächsten Urlaub mit den Kindern erfüllen? Das scheint für viele Deutsche aktuell ziemlich unrealistisch. Denn dafür muss man Geld zur Seite legen. Die Inflation und Preisanstiege führen jedoch dazu, dass den Menschen das Geld zum Sparen ausgeht. Die Masse der eigenen Einkünfte wird nach Einschätzung mehrerer Banken für die Lebenshaltung benötigt.
Spannend, aber gerade keine Zeit?
Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), sagte der „Welt am Sonntag“: „Wir rechnen damit, dass wegen der deutlichen Preissteigerung perspektivisch bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte – oder mehr – monatlich für die reine Lebenshaltung werden einsetzen müssen.“ Die Sparfähigkeit in der Bevölkerung: futsch.
Das zentrale Problem liege aber laut Marcel Fratzscher, Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, woanders. Auf Twitter schreibt er: „40 Prozent der Menschen haben heute fast keine Ersparnisse, also nichts, um sich gegen die hohe Inflation abzusichern.“ Die Masse ist Inflation und Teuerungen also schutzlos ausgeliefert und hat für schwere Zeiten nichts auf der hohen Kante. Das Einkommen wird ebenso schnell wieder aufgezehrt, wie es reinkommt.
Die Deutschen sparen mehr als andere Europäer
Und das, obwohl die Deutschen traditionell zu den Vielsparern gehören. Nur in der Schweiz ist die Sparquote noch höher. Das zeigen gesammelte Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Haushaltsersparnisse der Briten und der Italiener etwa gehen seit Jahren zurück, während die Deutschen konstant viel von ihrem Haushaltseinkommen beiseite legen. Und dennoch, hält Fratzscher fest, hätten „viele Menschen in Deutschland nur wenige oder keine Ersparnisse.“ Warum ist das so?
Der Ökonom erklärt: „Die Sparquote in Deutschland heute ist nicht niedrig, weder im historischen Vergleich noch im Vergleich mit anderen Industrieländern. Die Sparquote ist lediglich (noch) ungleicher geworden, da jetzt noch mehr Menschen nicht sparen können.“
Ungleichheit in der Sparquote in Deutschland sehr hoch
Im Detail bedeutet das: Die Ungleichheit bei der Sparquote in Deutschland gehört zu den höchsten in Europa. „Die unteren 40 Prozent sparen faktisch nichts. Das reichste Prozent spart 35 Prozent“, schreibt Fratzscher.
Die Besserverdiener in Deutschland bilden also hohe Ersparnisse und das führt dazu, dass die Ungleichheit im Land weiter steigt. Aus der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Analyse, auf die sich Fratzscher bezieht, geht hervor, dass sich 2013 im Jahresdurchschnitt die Menschen in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung um etwa 300 Euro verschuldeten. Das oberste Prozent der Haushalte hingegen konnte etwa 58.000 Euro sparen. Das heißt: Die untere Hälfte der Deutschen verschuldet sich laut den Berechnungen um 1,6 Prozent ihres Einkommens und das oberste Prozent kann 35 Prozent sparen. Die untere Hälfte der Einkommensverteilung bildet der Analyse zufolge also in Summe keine Rücklagen. Und auf das oberste Zehntel entfallen knapp 60 Prozent aller Ersparnisse eines Jahres.
Dasselbe Bild zeigt sich in den absoluten Sparbeträgen. Fratzscher dazu: „Während das untere Einkommensdrittel nichts spart, sondern sich verschuldet, können die obersten 10 Prozent größere Geldbeträge auf die Seite legen.“
„Über die Zeit zeigt sich, dass die Konzentration von Ersparnissen immer weiter zunimmt“, sagen Jochen Späth und Kai Daniel Schmid vom Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen, die die Analyse durchführten. Das Resümee der Wissenschaftler: Die großen Unterschiede bezüglich der Sparquoten und -beträge können zu sozialen Ungleichheiten führen, sich verfestigen oder verstärken.
4 Gründe, warum in Deutschland viele keine Ersparnisse bilden können
Fratzscher macht vier Gründe aus, die erklären, „wieso in einem so reichen Land wie Deutschland so ungewöhnlich viele Menschen nur wenig oder gar keine Ersparnisse bilden können.“
1. Die ungewöhnlich hohe Inflation
Aktuell weist Deutschland eine Inflationsrate von 7,5 Prozent auf. Den Höchststand verzeichnete der Mai mit knapp 8 Prozent. Diese auch im historischen Vergleich hohen Werte lassen aktuell Menschen mit geringen Einkommen individuell eine 3- bis 4-mal höhere Inflation erfahren, schreibt der DIW-Präsident. Das liegt daran, dass sie „einen viel höheren Anteil ihres Einkommens für Dinge ausgeben müssen, die sich besonders stark verteuert haben“.
Zu jenen Dingen, die sich besonders stark verteuert haben, gehört unter anderem Energie. Aus einer aktuellen Studie des DIW geht hervor, dass Teuerungen bei Strom, Heiz- und Kraftstoffen bei ärmeren Haushalten deutlich stärker ankommen. Dagegen helfen auch die Entlastungspakete der Bundesregierung aktuell nicht.
„Die Entlastungspakete fangen mittelfristig nur einen Teil der Kosten auf“, kommentiert Studien-Autor Stefan Bach. Es gebe weiteren Handlungsbedarf für die Politik, wenn die hohen Energiepreise wie zu erwarten anhalten. „Künftige Entlastungspakete sollten stärker auf die Geringverdienenden konzentriert werden, insbesondere über höhere Sozialleistungen“, sagt er.
Denn mittelfristig bedeuten die hohen Energiepreise mit Blick auf den Durchschnitt aller Haushalte und bezogen auf das Jahreseinkommen 2022 einen Realeinkommensverlust von 3,4 Prozent. Aus der Studie geht außerdem hervor:
- bei den ärmsten zehn Prozent der Einkommensverteilung machen die Energiepreissteigerungen knapp sieben Prozent des Nettoeinkommens aus
- bei den mittleren Einkommen rund vier Prozent
- bei den reichsten zehn Prozent nur knapp zwei Prozent. Personen im obersten Einkommensdezil werden somit relativ am wenigsten belastet.
2. Die Einkommensungleichheit
Als Grund für den Anstieg der Ungleichheit bei den Einkommen macht Fratzscher den in Deutschland ungewöhnlich großen Niedriglohnbereich aus. Hinzu kommen die vielen einkommensschwachen Haushalte, die nur wenig Stunden in Teilzeit arbeiten.
So war einer DIW-Studie zufolge die Ungleichheit der Erwerbseinkommen im Jahr 2018 deutlich höher als 1993. Der Grund dafür ist die Entwicklung der Arbeitszeit und weniger die der Stundenlöhne. So haben in den 1990er-Jahren Beschäftigte mit geringen Stundenlöhnen relativ viel gearbeitet. Das führte dazu, dass sich die Ungleichheit der Erwerbseinkommen um rund 7 Prozent verkleinerte. 2018 hingegen arbeiteten Beschäftige mit hohen Stundenlöhnen in der Tendenz mehr Stunden als jene mit geringen Stundenlöhnen. Das führte zu einer Vergrößerung der Ungleichheit – um etwa 12 Prozent.
3. Das deutsche Steuersystem
Zudem werden Vermögende in Deutschland kaum besteuert. Wie aus OECD-Daten hervorgeht, gibt es fast kein Industrieland, dass „Vermögen so gering und Einkommen aus Arbeit so hoch“ besteuert wie Deutschland. Daher sei der Aufbau von Ersparnissen durch Arbeit gerade in Deutschland ungewöhnlich schwer, so Fratzscher.
Das Aufkommen der vermögensbezogenen Steuern am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der OECD-Staaten liegt zwischen 1,7 und 2,3 Prozent (1998 bis 2018). Deutschland kommt laut OECD-Daten in den Jahren 2017 bis 2019 auf etwa 1,1 Prozent. Im Vergleich: Bei unseren französischen Nachbarn liegt der Anteil des Aufkommens der vermögensbezogenen Steuern am BIP um die 4 Prozent. Insbesondere die Grundsteuer schlägt hier zu Buche.
Fratzscher betont zudem, dass viele nicht realisieren würden, dass Menschen mit geringen Einkommen hierzulande „sehr wohl Steuern zahlen“. Diese seien zudem recht hoch, setzt man sie in Relation zu ihrem Einkommen. „Das sind vor allem indirekte Steuern.“
4. Die Erbschaften
Und die Deutschen erben mehr Vermögen als sie erarbeiten. Es seien mehr als die Hälfte aller privaten Vermögen, die heute ererbt werden, konstatiert Fratzscher. „Menschen mit geringen Erwerbseinkommen erben auch in den allermeisten Fällen wenig bis nichts.“
Die Grafik aus dem Tweet von Marcel Fratzscher stammt aus einer Studie zu Erbschaftsströmen in der Schweiz, veröffentlicht im Swiss Journal of Economics and Statistics. Darin wird der Bestand an Erbschaften als Anteil am Privatvermögen für Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Großbritanniens dargestellt. Was auffällt: Der Bestand des geerbten Vermögens am Gesamtvermögen stieg in Deutschland seit 1980er-Jahren konstant an.
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Unterm Strich heißt all das für den Ökonomen: „Obwohl kaum ein Land so viel seiner Wirtschaftsleistung spart, gibt es gleichzeitig kaum ein westliches Land, in dem die Ungleichheit des Sparens so hoch ist.“ Für den Experten liegt das Hauptproblem darin, dass in Deutschland ungewöhnlich viele Menschen gar nicht sparen können. Nicht weil ihnen die Fähigkeit dazu abgeht, sondern, „weil sie jeden Euro ihres Einkommens für den täglichen Lebensunterhalt benötigen“.
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