Das Hochwasser hat die Versicherer 8,5 Milliarden Euro gekostet. Viele Schäden sind beglichen, aber die Probleme sind nicht gelöst.
Gut ein Jahr ist es her, dass das beschauliche Ahrtal zum Katastrophengebiet wurde. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 machten Regenfluten ganze Regionen unbewohnbar. Ahr und Erft traten über die Ufer, rissen Brücken, Häuser und Anwohner mit sich. Mehr als 180 Menschen kamen ums Leben. Der Sachschaden ging in die Milliarden.
Für die deutschen Versicherer war die Flutkatastrophe „Bernd“ die größte Naturkatastrophe seit Beginn der Aufzeichnungen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, am Mittwoch in Berlin. Und nicht nur die Versicherungsbranche, sondern auch Klimaforscher und Politiker warnen: Es wird nicht die letzte sein.
Der Klimawandel führt dazu, dass sich Extremwetterereignisse häufen: Dürre im Osten, Starkregen im Westen. Viele Hausbesitzer sind darauf nicht vorbereitet. Ihre Gebäude sind dafür nicht gerüstet, ihre Versicherungen auch nicht. Sie haben zwar eine Absicherung gegen Sturm und Brand, nicht aber gegen Starkregen oder Überschwemmungen.
Diese Risiken muss man nämlich extra versichern. Viele verzichten darauf: Nur jedes zweite Wohngebäude hat einen solchen Elementarschutz, obwohl die Flut vorübergehend einen kleinen Boom ausgelöst hatte. Doch der ist wieder verebbt. Genauso wie die Diskussion um den Hochwasserschutz.
Dabei ist allen klar: Ein „Weiter so“ kann es nicht geben. „Wir müssen deutlich mehr in Prävention investieren“, fordert Annegret Thieken, Professorin für Naturrisikenforschung an der Universität Potsdam. Sie gehört zum Wissenschaftlerteam, das den Wiederaufbau in den Flutgebieten begleitet.
Was sie beobachtet, ist deprimierend: „Nur 34 Gebäude sind nicht wieder an der alten Stelle errichtet worden“, berichtet Thieken. Der Rest steht wieder genau da, wo im vergangenen Jahr das Wasser Keller und Wohnräume überflutet hatte. An der Einsicht mangelt es nicht, sagt die Expertin. Aber viele Hausbesitzer hätten gar keine Möglichkeit, ihr Grundstück gegen ein geschützeres zu tauschen.
Die Flut hat einen Schaden von 33 Milliarden Euro angerichtet
Auf 33 Milliarden Euro wird der Flut-Gesamtschaden geschätzt, 8,5 Milliarden entfallen davon auf die Versicherer. Bislang haben die Unternehmen fünf Milliarden Euro ausgezahlt.
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Knapp ein Viertel der Fälle ist noch nicht abschließend reguliert, weil Handwerkerrechnungen fehlen oder der Wiederaufbau noch nicht abgeschlossen ist. Das liegt am Material- und Fachkräftemangel.
Je länger es dauert, desto teurer wird es für die Versicherer: Denn sie ersetzen den Neuwert des Hauses und tragen daher die Inflationsrisiken. Neue Heizungen sind heute deutlich teurer als im vergangenen August.
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„Wer weiß, was eine Türzarge nächste Woche kostet?“, sagt Sabine Krummenerl, Vorsitzende des GDV-Ausschusses Privatkunden. Die Prämien für Wohngebäudeversicherungen dürften auf breiter Front steigen.
210.000 Euro Schaden beim Einfamilienhaus
Die Zerstörungskraft der Fluten an Ahr und Erft führt zu einer ganz neuen Dimension von Schäden.In den Katastrophengebieten mussten über 2000 Einfamilienhäuser mit versicherten Schäden jenseits der 100.000 Euro repariert werden. Im Kreis Ahrweiler lag der Durchschnittsschaden bei 210.000 Euro pro Wohngebäude. Das ist der höchste jemals gemessene Schadendurchschnitt bei Wohngebäuden. Im Kreis Euskirchen war jedes vierte Haus beschädigt.
„Ein Viertel der Betroffenen weiß nicht, wie sie ihr Haus besser aufbauen können“, weiß Expertin Thieken aus Befragungen vor Ort. Über 70 Prozent der Bewohner hätten vor der Flut keine Ahnung gehabt, dass sie in einem durch Hochwasser gefährdeten Gebiet leben. Gefahrenkarten sind veraltet, ein bundesweites Naturgefahrenportal, in dem jeder Bürger nachschauen kann, wie es bei ihm konkret aussieht, gibt es nicht.
Jeden Tag wird eine Fläche von 76 Fußballfeldern versiegelt
Noch immer werden Neubauten in gefährdeten Gebieten erlaubt. Und täglich werden 54 Hektar in Deutschland versiegelt, so dass Wasser dort nicht mehr versickern kann – das entspricht 76 Fußballfeldern. Die Versicherer fordern Neubauverbote in hochwassergefährdeten Lagen und bessere bauliche Anpassungen. „Manchmal reicht es, wenn Gebäude nicht ebenerdig, sondern auf einem kleinen Sockel gebaut werden“, sagt Asmussen.
Kommt jetzt die Versicherungspflicht?
Was die Versicherer gar nicht wollen, ist eine Idee, die jedoch immer mehr Freunde in der Politik findet: eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Die bringt nichts, meint Asmussen, weil sie keinen Anreiz schaffe, sich gegen Naturgefahren zu schützen. Stattdessen werde eine Spirale in Gang gesetzt von steigenden Schäden und steigenden Beiträgen. Die Versicherer wollen stattdessen neue Verträge nur noch mit Schutz gegen Elementarschäden anbieten. Alle bestehenden Policen sollen zeitgleich umgestellt werden. Die Kunden sollen der Umstellung widersprechen dürfen.
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Die Ministerpräsidenten der Länder sehen das anders. Sie haben keine Lust mehr, mit Steuergeldern einzuspringen, weil Hausbesitzer keine Versicherung haben. Rund 30 Milliarden Euro haben Bund und Länder im vergangenen Jahr als Wiederaufbauhilfe zusammengekratzt. Wenn jeder versichert ist, wird der staatliche Samariterdienst eines Tages nicht mehr nötig sein, hoffen sie.
Nachdem ähnliche Überlegungen in der Vergangenheit stets aus verfassungsrechtlichen Bedenken im Sande verlaufen waren, haben die Länderchefs dem Bundesjustizministerium nun einen Prüfauftrag erteilt. Bis Ende des Jahres muss Justizminister Marco Buschmann (FDP) liefern. Man stehe dazu im Kontakt mit den weiteren betroffenen Bundesressorts, teilt das Ministerium auf Anfrage mit.
Im Bundesumweltministerium ist man dafür
Im Bundesumweltministerium findet man die Idee einer Pflichtversicherung grundsätzlich gut. „Ich habe durchaus Sympathie für eine Pflichtversicherung“, sagte Staatssekretärin Christiane Rohleder dem Tagesspiegel. Allerdings liege der Teufel im Detail. Damit eine Pflichtversicherung wirklich helfe, sollte die Selbstbeteiligung nicht zu hoch sein.
Gleichzeitig sollte aber auch die Belastung durch die Beiträge nicht zu hoch sein. Insofern werde man genau prüfen müssen, wie eine entsprechende Versicherungspflicht ausgestaltet werden könnte. „Wichtig ist jedenfalls, dass mehr Gebäude gegen Elementarschäden versichert werden“, meint die Grünen-Politikerin. Niemand solle sich sicher fühlen. „Da Extremwetter durch die Klimakrise weiter zunehmen, kann es überall in Deutschland zu entsprechenden Schäden an Gebäuden kommen“, warnt Rohleder.
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