Kabul. Seitdem die Taliban hier Mitte August die Macht übernahmen, prägt die radikal-islamische Terrorgruppe den Alltag in der afghanischen Hauptstadt. Das trifft vor allem die Frauen. Sie leiden nicht nur unter der kollabierenden Wirtschaft, die weite Teile der Bevölkerung in Armut gestürzt hat. Nach und nach nehmen ihnen die neuen Herrscher die Rechte, die ihnen unter der alten Regierung seit 2004 zugesprochen worden waren.
Sie will das nicht hinnehmen: Laila Haidari ist eine der bekanntesten Menschenrechtlerinnen Afghanistans und betreibt ein Lernzentrum – verborgen vor den Augen der Taliban.
Laila Haidari, Aktivistin:
»Die Frauen hier leiden alle an Armut. Sie können nicht in die Schule gehen oder studieren, sie haben keine Möglichkeiten. Sie sind hier, um Geld für ihre Familien zu verdienen.«
In diesem Workshop lernen junge Frauen, wie man Kleider näht und Schmuck herstellt. Für Laila Haidarieine Herzensangelegenheit. Bevor die Taliban in Kabul einmarschierten, leitete sie eine Drogenklinik und betrieb ein beliebtes Restaurant in Kabul. Die neuen Herrscher schlossen beides, nahmen der 44-Jährigen ihre Aufgaben. Doch sie kämpft weiter für die Frauen im Land.
Laila Haidari, Aktivistin:
»Starke Frauen haben es in Afghanistan sehr schwer. Ich kann nachts nicht schlafen. Ich liege dann wach, rauche und überlege, wie ich den Frauen Afghanistans helfen kann. Ich könnte ganz einfach das Land verlassen, ich habe ein Visum. Aber es gibt hier viele kleine Laila Haidaris, die beim Erwachsenwerden meine Hilfe brauchen.«
Immer mehr junge Frauen kommen, um bei Laila zu lernen und zu arbeiten. Die Taliban wissen davon nichts. Das ist zwar gefährlich, aber aufhören will Laila nicht.
Die Liste der Verbote für die knapp 20 Millionen Frauen in Afghanistan ist lang: Sie dürfen sich kaum noch eigenständig bewegen, öffentliche Verkehrsmittel nur in männlicher Begleitung nutzen. Nur noch in wenigen Bereichen dürfen sie arbeiten. Aus Politik und Justiz haben die Taliban sie verbannt. Anfang Mai verkündeten die neuen Herrscher, Frauen sollten nur noch aus dem Haus gehen, wenn es notwendig ist – und sie müssten in der Öffentlichkeit ihr Gesicht und ihren kompletten Körper unter einer Burka verschleiern. Sollten ihre Gesichter dennoch in der Öffentlichkeit zu sehen sein, droht ihren männlichen Angehörigen eine Geldstrafe und sogar Gefängnis.
Die Unterdrückung durch die Taliban fängt schon im Kindesalter an: Mädchen dürfen inzwischen nur noch die Grundschule besuchen. Laila Haidari setzt deshalb auf Bildung. Ihre engste Mitarbeiterin, Mushkan Pashwak, unterrichtet Englisch. Die 21-Jährige will den Frauen und Mädchen bessere Berufsperspektiven verschaffen. Denn wer Geld verdiene, bleibe unabhängig, sagt Mushkan – auch unter den Taliban. Das Gefühl zu helfen, für sie sei das eine Stütze in schwierigen Zeiten.
Mushkan Pashwak, Lehrerin:
»Wenigstens kann ich diesen Mädchen helfen, denn sie haben keine andere Möglichkeit Englisch zu lernen. Ich spreche Englisch und möchte, dass sie die Sprache auch lernen (…) Dieses Center ist meine einzige Hoffnung in diesem Land.«
Auch in Bamiyan, einer Provinz westlich von Kabul, zeigen die Taliban Präsenz. Hier leben viele Angehörige der Hazara, einer schiitischen Minderheit. Vor zwanzig Jahren zerstörten die Taliban die weltberühmten Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal und verübten Massaker an der Bevölkerung. Nun sind die selbst ernannten Gotteskrieger wieder da.
Zahra Kazimi war bis zur Machtübernahme der Taliban eine erfolgreiche Textilunternehmerin. Hunderte Frauen stellten für sie Kleidung und Taschen im traditionell afghanischen Design her. Diese wurden ins Ausland verkauft, vom Erlös konnten die Frauen ihre Familien ernähren. Als die Taliban nach Bamiyan kamen, drohten sie Zahra Kazimi umzubringen. Sie flüchtete nach Kabul, wechselt nun mit ihrer Familie ständig das Versteck. Nur noch selten besucht die 38-Jährige ihre geheime Manufaktur.
Zahra Kazimi, Unternehmerin:
»Ich habe mein Unternehmen aufgebaut, um Frauen zu helfen. Bevor die Taliban erneut die Macht übernahmen, habe ich 500 Frauen beschäftigt. Ich war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, hatte viele Pläne. Nun sind alle Frauen arbeitslos, das macht mich traurig. Meine Kinder sind nicht mehr sicher und ich weiß nicht, wie lange ich noch am Leben sein werde.«
In Bamiyan leben die Ärmsten der Armen in Höhlen im Felsen, der das Tal säumt. Auch Ferishta Ahmadi wurde hier vor 22 Jahren geboren. Zu neunt lebt sie mit ihrer Familie in dieser Höhle.
Ferishta Ahmadi hätte gern studiert, doch es fehlten die Mittel. Ihr Traum, Lehrerin zu werden, wurde trotzdem wahr. Vor sechs Jahren gründete sie in der Höhle nebenan eine Grundschule für die Kinder aus der Umgebung. Sie kann ihnen zumindest Basiswissen beibringen.
Ferishta Ahmadi, Lehrerin:
»Es war sehr schwierig für mich, die Schule zu besuchen, denn wir waren sehr arm. Seitdem ich klein war, wollte ich deshalb Lehrerin werden, um so armen Menschen zu helfen.«
Um die fünfzig Schülerinnen und Schüler besuchen ihre inoffizielle Schule, sagt Ferishta Ahmadi. Die meisten sind Mädchen. Sie sind zu arm, um zum Unterricht in die Stadt zu fahren.
Heute ist eine Gruppe Mädchen zum Religionsunterricht in das kleine Klassenzimmer gekommen. Den sunnitischen Taliban missfallen die Riten der schiitischen Hazara. Auch Bildung für Mädchen passt nicht in ihr Weltbild. Ferishta Ahmadi fürchtet, dass sie ihre Schule bald schließen muss. Für ihre Schülerinnen wäre das eine Katastrophe, sagt sie.
Ferishta Ahmadi, Lehrerin:
»Ich mache mir Sorgen um die Zukunft der Frauen in Afghanistan. Die Taliban erlauben es den Frauen nicht zu arbeiten, die Mädchen dürfen nicht zur Schule oder studieren. Wenn das so weitergeht, sind die Aussichten für Frauen in diesem Land düster.«
Ferishta Ahmadi will weitermachen, solange es geht. Wie Laila Haidari und Zahra Kazimi weiß auch sie, dass das Schicksal der Mädchen und Frauen Afghanistans nicht den Taliban überlassen werden darf.
Afghaninnen gegen die Taliban: »Es gibt hier viele, die meine Hilfe brauchen« - DER SPIEGEL
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