Stand: 31.05.2022 06:00 Uhr
Der bundesweite Diversity-Tag setzt sich für Vielfalt in der Gesellschaft ein. Ein Gespräch mit der Aktivistin, Politologin und Autorin Emilia Roig über Fortschritte und fehlende Veränderungen.
Heute findet zum zehnten Mal der Diversity-Tag statt. Initiiert wird der bundesweite Aktionstag vom Verein "Charta der Vielfalt". Mittlerweile haben mehr als 4.500 Unternehmen und Organisationen die "Charta der Vielfalt" unterzeichnet. Autorin Emilia Roig zum Stand der Entwicklung.
NDR Kultur: Der 10. Diversity Day will auf die Vielfalt und den Abbau von Diskriminierung in deutschen Unternehmen schauen. Wie schauen Sie auf diesen Tag?
Emilia Roig: Ein Diversity-Tag kann auf jeden Fall das Thema in der Öffentlichkeit sichtbar machen. Es kann dazu führen, dass Menschen, die sich dafür einsetzen, eine Plattform angeboten bekommen. Aber es kann auch dazu führen, dass es lediglich ein sogenanntes Virtual Signaling ist. Das heißt, dass Unternehmen dadurch signalisieren, dass sie sich dafür interessieren und es für sie oberstes Thema ist. Und in der Tat ist es ja anders: Wir sehen, dass es nicht priorisiert ist und dass sehr wenig Budget dafür verwendet wird. Das heißt, es müsste eine Verantwortung nicht nur an einem Tag oder in einem Monat sein.
Wie sehen Sie die Situation der Vielfalt in der deutschen Arbeitswelt? Wo sind da die größten Baustellen?
Roig: Die deutsche Arbeitswelt ist sehr vielfältig, weil die überwiegende Mehrheit der Menschen arbeitet. Sie arbeiten teilweise zu Hause. Es gibt überwiegend Frauen, die unbezahlte Arbeit zu Hause leisten. Es gibt sehr viele Menschen, die unterbezahlte Arbeit leisten, auch mit sehr geringem Status - das heißt, diese Diversität ist da. Das Problem sind die Hierarchien und die Tatsache, dass die Macht und die besten Jobs nur in den Händen von sehr homogenen Gruppen liegen - nämlich meistens Männer, meistens weiße Menschen, Menschen aus der Mittelschicht, Menschen ohne Behinderung. Und das ist ein Problem.
Schauen wir zurück auf zehn Jahre Diversity Day: Was hat sich zum Positiven hin verändert?
Roig: Was sich zum Positiven hin verändert hat, ist, dass es ein breites Bewusstsein dafür gibt, dass Diversität nötig ist. Gleichzeitig reden wir selten über die Hierarchie. Wir sind uns alle einig, dass es nicht mehr möglich ist, nicht für Diversität zu sein. Diversität ist ein Label, das manchmal auch an Bedeutung verliert. Deshalb bin ich in der Hinsicht ein bisschen vorsichtig, über die Fortschritte zu sprechen. Die gab es, aber die werden durch einen Diskurs verhindert, der sich zu wenig mit Hierarchie und mit Ungerechtigkeit beschäftigt - und zu sehr mit Sichtbarkeit, Präsentierung und Signalisierung von einem bestimmten Image von Fortschritt, Vielfalt und Bündnissen in der Gesellschaft.
In den öffentlichen Debatten diskutieren wir im Moment sehr viel über das Thema. Manchmal hat man das Gefühl, es geht sehr viel um Äußerlichkeiten, zum Beispiel um die Sprache, die ein wichtiges Thema ist. Gleichzeitig merken wir, dass viele Menschen davon mittlerweile abgeschreckt werden und sich vor den Kopf gestoßen fühlen. Sie haben Angst und fühlen sich belehrt. Wie gehen Sie damit um?
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Roig: Es geht jetzt nicht darum, Menschen zu belehren. Wenn mir gesagt wird, dass in einer Gesellschaft zum Beispiel Pädophilie oder Mord strafbar ist, könnte ich das auch als Belehrung wahrnehmen, wenn es nicht einen breiten Konsens in der Gesellschaft gäbe, dass sich alle einig sind, dass man das vermeiden sollte. Es gibt in Deutschland im Moment noch keinen Konsens darüber, dass Rassismus und rassistische oder sexistische Sprache und somit bestimmte Ausschlüsse nicht akzeptabel sind. Wenn wir zu diesem Punkt kommen, dass diese Form der Diskriminierung als nicht akzeptabel anzusehen ist, denn werden sich Menschen nicht mehr belehrt fühlen.
Ich glaube, das hat damit zu tun, dass manche Leute darauf beharren, diese Freiheit zu haben, sich diskriminierend zu verhalten. Wenn es mir mal passiert, ein Wort zu sagen, welches Menschen aus der behinderten Community als diskriminierend empfinden, werde ich mich da nicht eingeschränkt fühlen, sondern vielleicht werde ich mich ein bisschen schämen und mich unwohl fühlen. Aber ich kann dieses Unbehagen aushalten, wenn ich weiß, dass ich jetzt etwas gelernt habe. Denn mein Ziel in der Gesellschaft ist, mit Menschen respektvoll umzugehen. Und wenn sie sagen, dass sie dieses Wort diskriminiert, dann werde ich es nicht mehr nutzen.
Auf dem Weg dahin gibt es diese Polarisierung, die entsteht, wenn Menschen wütend werden und in erhitzten Diskussionen über diese Themen sprechen. Ist es da nicht eher kontraproduktiv, wenn es zu Streit kommt?
Roig: Nein, überhaupt nicht. Streit ist positiv, Streit bringt uns weiter. Alle sozialen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte sind durch heftige Streite zustande gekommen. Dass Frauen heute das Wahlrecht haben, war ein Ergebnis von heftigen Streiten. Frauen, die dafür gekämpft haben, wurden in Gefängnisse oder in psychiatrische Institutionen gesperrt. Es gab sehr viele Konflikte. Das Gleiche betrifft auch die Abschaffung der Sklaverei oder die Tatsache, dass queere Menschen, Lesben, bisexuelle, schwule Menschen auch heiraten können - das alles ist ein Ergebnis von heftigen Streiten. Darüber sprechen wir selten.
Der Widerstand, der dadurch entsteht, wenn Menschen aus marginalisierten Gruppen Rechte verlangen, ist auch Teil des Prozesses. Denn natürlich werden Menschen sagen: Nein, ihr habt keine Rechte, ihr sollt in euren unterlegenen Positionen bleiben. In der Debatte ist das nicht so explizit, aber die unterliegende Botschaft und Angst dahinter ist: Wir verlieren an Macht, wir verlieren Privilegien und deshalb müssen wir uns dagegen wehren. Deswegen sind Konflikte an sich nicht negativ - sie können auch eine sehr hohe transformative Kraft haben und wir sollten sie aushalten können.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.
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Diversity-Tag: Autorin Emilia Roig sieht noch viele Aufgaben - NDR.de
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