Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nannte den Schritt "unverantwortlich". Gegenüber der BBC erklärte er: "Das zeigt, wie ernst die Lage ist und warum wir wirklich zusammenstehen müssen". Die Washington Post nannte die Entscheidung von Russlands Präsidenten Wladimir Putin "einen Akt völliger Torheit". Auch in der von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Resolution wird nicht nur Russlands Überfall auf die Ukraine verurteilt, sondern auch die Entscheidung Russlands, die russischen Abschreckungswaffen, darunter auch Atomwaffen, in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Dies seien Gegenmaßnahme für die von USA und EU beschlossenen Sanktionen, so die Begründung des russischen Staatschefs. Zu den Abschreckungswaffen zählen auch nukleare Sprengkörper. Eine solche Situation habe zuletzt 50 Jahren gegeben, erklärte der US-Militärhistoriker James Acton im "Spiegel": "Das letzte Mal, dass das in einer Krise zwischen den USA und Russland beziehungsweise der Sowjetunion geschah, war während des Jom-Kippur-Kriegs 1973. Damals sprachen die USA eine solche Warnung aus."
"Signal in Richtung des Westens"
Putins Ankündigung sorgte für bei vielen für Angst und Kopfschütteln, gleichzeitig hielten sich viele – auch US-Präsident Joe Biden – mit Äußerungen zu diesem Schritt zurück. Zu groß scheint vielen die Gefahr einer rhetorischen Eskalationsspirale. Die USA haben angekündigt, ihre Alarmstufe nicht zu ändern. Man habe in Russland auch keine spürbaren Konsequenzen nach Putins Ankündigung beobachten können, erklärte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums.
Die Entscheidung, die Abschreckungswaffen in Alarmbereitschaft zu versetzen, war "lediglich ein Signal in Richtung des Westens", sagt Konflikt- und Friedensforscher Ulrich Kühn im BR24-Interview. Kühn ist Leiter des Forschungsbereichs Rüstungskontrolle und Neue Technologien am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Russland habe zunächst nur die Personalstärke bei den strategischen russischen Nuklearkräften erhöht. "Es handelt sich hier zunächst erst einmal um eine Art Symbolpolitik", so Kühn.
Experten halten atomaren Schlag für unwahrscheinlich
"Die Chance eines Atomkrieges liegt nun mal leider nicht bei null", sagt Kühn allerdings. Dies sei aber letztlich nie so, solange es Nuklearwaffen gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Putin Atomwaffen einsetzt, hält er allerdings weiter für "recht gering". Zugleich warnt der Rüstungsexperte: "Meine Befürchtung ist, dass je mehr Russland sich in die Ecke gedrängt fühlt, je länger der Krieg dauert, Putin unter Umständen vielleicht sogar verrückt genug wäre, zur Nuklearwaffe zu greifen."
Ein möglicher Einsatz von Nuklearwaffen ist für Kühn in drei Richtungen denkbar: "Einerseits gegen die Ukraine, andererseits gegen die Nato oder ein sogenannter Demonstrationsschlag über unbewohntem Gebiet - beispielsweise über der Ostsee oder dem Schwarzen Meer, um der anderen Seite zu signalisieren, dass man jetzt an einem Punkt ist, wo die nukleare Schwelle überschritten wird." Ulrich Kühn glaubt gegenwärtig aber nicht, dass es soweit kommen wird. Auch der Direktor des Stockholmer Friedensinstituts Sipri, Dan Smith, erklärte gegenüber der dpa: "Ich glaube nicht, dass ein Atomkrieg eine wahrscheinliche Folge dieser Krise ist."
So groß ist Putins Nuklear-Arsenal
Doch wie viele Nuklearwaffen besitzt das von Wladimir Putin geführte Russland überhaupt?
Ein Hinweis darauf liefert das "Nuclear Notebook", ein Projekt mehrerer Wissenschaftler und Nuklearwaffenexperten der "Federation of American Scientists". Das "Nuclear Notebook" gibt einen Überblick über die Atommächte und deren jeweilige Anzahl an nuklearen Sprengkörpern. Während die USA inzwischen wieder Angaben zur Größe ihres Atom-Arsenals machen, sind andere Länder verschwiegener. Die Zahlen des "Nuclear Notebook" sind deswegen Schätzungen – sie beruhen auf öffentlich zugänglichen Informationen, Analysen, geschichtlichen Daten und zum Teil auch Leaks aus Militärkreisen.
Demnach gibt es gegenwärtig 12.705 atomare Sprengkörper weltweit. Über 90 Prozent davon sind in den Händen von Russland und den USA – wobei Russland über das weltweit das größte Arsenal verfügt, laut den Forschern der "Federation of American Scientists" sind es 5.977.
Russland besitzt offenbar fast 6.000 Atomwaffen
Atomwaffen lassen sich in drei Kategorien unterteilen: ausgemustert, taktisch und strategisch. Jeder vierte russische atomare Sprengkörper ist ausgemustert, das heißt, es handelt sich um intakte Waffen, die aber seit Längerem außer Dienst sind und demontiert werden sollen.
Rund ein weiteres Viertel (1.588) zählt zu den strategischen Atomwaffen. "Das sind Sprengköpfe, die für Interkontinentalraketen, für entsprechende Atom-U-Boote oder für Langstreckenbomber vorgesehen sind", erklärt Ulrich Kühn. Diese Waffen seien in erster Linie für einen Kriegsfall mit den USA vorgesehen. Die Interkontinentalraketen, auf denen diese Sprengkörper installiert werden können, haben eine Reichweite von bis zu 18.000 Kilometern. In der Theorie könnte Russland damit also beinahe jedes Ziel auf der Welt erreichen.
Die Verteilung dieser 1.588 strategischen Atomwaffen laut "Nuclear Notebook": 812 Interkontinentalraketen, 576 auf Atom-U-Booten und rund 200 für Langstreckenbomber.
Die dritte Kategorie sind taktische Nuklearwaffen - ihre Zahl soll bei 2.889 liegen. "Die haben einen kleineren Gefechtskopf, sind aber natürlich immer noch nukleare Waffen und würden auf entsprechende Trägersysteme mit mittlerer und kürzerer Reichweite montiert werden", erklärt Konfliktforscher Kühn. Diese Waffen seien in mehreren Lagerstätten über das ganze Land verteilt, eines dieser Lager befinde sich an der Grenze zur Ukraine.
Moskaus Abschreckung: So viele Atomwaffen besitzt Russland - br.de
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