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VonJoachim Wille
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Klein-Reaktoren sollen das Klima retten - Unternehmen forschen weltweit an neuen AKW-Typen und versprechen Nachhaltigkeit. Die Fragezeichen aber sind groß.
Wir erfinden die Kernkraft neu. Gut für Menschen, gut für die Natur.“ So lautet die Eigenwerbung der Firma „Dual Fluid Energy“. Trotz des Atomausstiegs wird in Deutschland weiterhin Nukleartechnik entwickelt. Das Start-up, das einen absolut sicheren Klein-Reaktor bauen will, ist im vergangenen Jahr von Berliner Physikern gegründet worden, allerdings mit Hauptsitz in Kanada. Dual Fluid reiht sich damit ein in eine ganze Reihe von Unternehmen weltweit, die Klein-AKW planen und neuerdings mit Blick auf die Klimaziele auch von westeuropäischen Regierungen gefördert werden.
Kritiker:innen warnen allerdings davor, diesen Weg einzuschlagen. Die Kosten seien zu hoch und die Risiken würden unterschätzt.
Die Versprechen der Forscher auf der Homepage des Unternehmens sind vollmundig. „Wir sind angetreten, um das volle Potenzial der Kernkraft zu heben. Wir machen aus ihr die nachhaltigste Energiequelle, die die Menschen jemals hatten“, lässt sich Dual-Fluid-Chef Götz Ruprecht zitieren. Der neue Reaktortyp sei emissionsarm und verbrauche kaum Flächen und Ressourcen. Miterfinder Daniel Weißbach verspricht sogar: „Inhärente Sicherheit ist machbar. Wir sorgen dafür, dass sich niemand mehr vor Kernkraft fürchtet“. Und: „Erschwinglich“ soll die Energie ebenfalls sein, die die Anlage produziert.
Atomkraft: Was kann die neue Generation der Kraftwerke?
Entwickelt wurde der „Zwei Flüssigkeiten“-Reaktortyp seit 2010 von einem Team von Kernphysikern, Ingenieuren und Mathematikern, die ihr Büro im Berliner Stadtteil Wedding haben. Das Konzept: Im Reaktorkern wird bei rund 1000 Grad Betriebstemperatur geschmolzenes Uransalz statt herkömmlicher Brenn-stäbe benutzt, wobei die Wärme nicht über Wasser, sondern über flüssiges Blei abgeführt wird. Die Erfinder werben vor allem mit drei Vorteilen. Erstens, als Brennstoff eigne sich neben Natur-Uran auch Atommüll, der damit abgebaut werden könne. Zweitens, die Strahlung der Spaltprodukte, die am Ende übrig bleiben, baue sich vergleichsweise rasch ab, erreiche nach 300 Jahren das Niveau von Natur-Uran. Und drittens, die atomare Kettenreaktion reguliere sich aufgrund des flüssigen Zustands des Urans selbst. Eine Kernschmelze wie in Tschernobyl sei dadurch ausgeschlossen.
Ähnliche Versprechungen machen auch die anderen Unternehmen, die an den Reaktoren der sogenannten vierten AKW-Generation arbeiten. Die meisten davon sind Klein-Reaktoren, im Fachjargon „Small Modular Reactors“ (SMR) genannt, die in Serie gebaut werden sollen. Gemeinsame Idee dabei ist, dass die zentral gefertigten Klein-Reaktoren aufgrund ihres modularen Aufbaus zentral vorgefertigt und am Standort nur noch zusammengesetzt werden. Dadurch, so die Hoffnung, könnten die Baukosten deutlich niedriger ausfallen.
Bill Gates investiert in kleine Atomkraftwerke
Viele Schlagzeilen machte die „neue“ Atomkraft, seit der Microsoft-Gründer und Mäzenat Bill Gates mit seiner 2006 gegründeten Firma „Terra Power“ in die Entwicklung einstieg, die vom US-Energieministerium mitfinanziert wird. Inzwischen kündigte das Unternehmen an, einen Prototyp im Bundesstaat Wyoming bauen zu wollen. Er soll im Jahr 2028 fertig werden. Geplant ist dort ein Reaktor mit 345 Megawatt Leistung, der mit Natrium gekühlt wird.
Insgesamt werden aktuell weltweit mehr als 100 verschiedene SMR-Typen entwickelt, wobei die Konzepte teilweise auf Reaktor-Entwürfe aus den 1950er-Jahre zurückgehen.
Vier Generationen
Die Versuchsreaktoren , die ab den 1950er Jahren entstanden, gelten als erste AKW-Generation . Bei der zweiten Generation handelt es sich zumeist um leistungsstarke Druckwasser- und Siedewasserreaktoren, wie sie heute weltweit zur Stromerzeugung in Betrieb sind. Die dritte baut darauf auf, ist aber noch größer, sicherheitstechnisch verbessert und entsprechend teuer – so wie der französische EPR (European Pressurized Reactor) mit 1600 Megawatt Leistung, der in Frankreich, Finnland, Großbritannien und China läuft beziehungsweise gebaut wird. Die vierte Generation hingegen basiert auf ganz anderen technischen Konzepten. jw
Einen neuen Schub bekam die Mini-AKW-Idee im vergangenen Herbst, als die Regierungen von Frankreich, Großbritannien und Belgien ihre Unterstützung für die SMR-Entwicklung bekanntgaben. Der französische Präsident Macron will nicht nur –wie am Donnerstag angekündigt – 14 neue Großreaktoren bauen, die die zunehmend überalterte AKW-Flotte des Landes teilweise ersetzen sollen. Er hat auch versprochen, eine Milliarde Euro in die Entwicklung von Kleinreaktoren zu stecken. Die Regierung in London wiederum mobilisierte umgerechnet rund 250 Millionen Euro für die SMR-Entwicklung, 100 Millionen peilt Belgien an.
Frankreich und Großbritannien setzen auf kleine AKW
Frankreich und Großbritannien wollen dabei auf AKW-Techniken aufbauen, die die beiden Atommächte ursprünglich im Militär-Bereich entwickeln ließen – Kleinreaktoren, die als Antrieb in U-Booten und Flugzeugträgern genutzt werden. Bei den Franzosen sind daher die Rüstungsfirmen CEA und Naval Group beteiligt, bei den Briten ist es der Rolls-Royce-Konzern, der nicht nur Flugzeug-Triebwerke und Energieanlagen, sondern auch militärische Güter fertigt.
Rolls Royce kündigte an, die künftigen Kleinreaktoren in Serie so preiswert anbieten zu können, dass ihr Strom weniger als halb so teuer wie der aus den in Großbritannien im Bau befindlichen EPR-Anlagen sein werde. Es wird erwartet, dass erste SMR-Prototypen in Frankreich und Großbritannien frühestens Anfang der 2030er Jahre fertig sein könnten. Allerdings muss die Finanzierung dafür noch gestemmt werden. Bisher sind allenfalls die Kosten für die Entwicklung abgedeckt.
Bundesregierung ist von Atomkraft nicht überzeugt
Die deutsche Ampel-Bundesregierung lässt sich durch die SMR-Euphorie in den westlichen Nachbarländern und Großbritannien nicht beeindrucken. Sie lehnt nicht nur AKW-Laufzeitverlängerungen, sondern auch einen Wiedereinstieg in die Atomkraft generell ab. Die Fachbehörde der Regierung, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base), stützt die kritische Sicht. „Das Potenzial neuer Technologien wie der SMR scheint uns überschätzt, deren Risiken deutlich unterschätzt“, sagte Base-Abteilungsleiter Forschung, Jochen Ahlswede. Er stützt sich dabei auf ein Gutachten von 2021, das das Bundesamt beim Öko-Institut in Auftrag gegeben hat. Darin wurden insgesamt 136 historische und aktuelle SMR-Konzepte untersucht, darunter 31 detailliert.
Das Fazit ist kritisch. Zwar könnten SMR „potenziell sicherheitstechnische Vorteile erzielen, da sie ein beispielsweise geringeres radioaktives Inventar pro Reaktor aufweisen“, heißt es bei Base. Allerdings müssten je nach Reaktorgröße mehrere Tausend bis Zehntausend Anlagen gebaut werden, um nur dieselbe Leistung wie die heutigen rund 400 Groß-AKW zu erzeugen. Das erhöhe das Risiko dann wieder „um ein Vielfaches“.
Wie sicher sind die kleinen Atomkraftwerke?
Zudem müsse bisher davon ausgegangen werden, dass trotz gegenteiliger Behauptungen radioaktive Verseuchungen der Umgebung bei schweren Störfällen möglich seien. Und auch das Kostenargument ziehe nicht. „Durch die geringe elektrische Leistung sind bei SMR die Baukosten relativ betrachtet höher als bei großen Atomkraftwerken.“ Eine Produktionskosten-Rechnung unter Berücksichtigung von Skalen-, Massen- und Lerneffekten aus der Atomindustrie lege nahe, „dass im Mittel 3000 SMR produziert werden müssten, bevor sich der Einstieg in die SMR-Produktion lohnen würde“.
Der Kernkraft-Experte Christoph Pistner vom Öko-Institut verweist darauf, dass SMR bereits in der Anfangszeit der Reaktorentwicklung in den 1950/1960er Jahren und dann wieder in den 1980er Jahren in der Diskussion gewesen seien. „Doch alle Ansätze scheiterten damals mangels Wirtschaftlichkeit“, sagte er der FR. Heute seien sie eben als „Retter des Klimas“ wieder da – und als Retter der Nuklearbranche, die ohne Hoffnung auf preiswertere AKW gegenüber den billig gewordenen erneuerbaren Energien keine echte Chance mehr habe.
Zweifel am neuen Atomkraft-Konzept
Pistner hält übrigens auch das von seinen Erfindern so hochgelobte Dual-Fluid-Reaktorkonzept für fragwürdig. „Die Ansage, Unfälle wie in Tschernobyl seien dabei ausgeschlossen, ist unbewiesen.“ Der Experte verweist auf die hohen Betriebstemperaturen, die Uranschmelze und das flüssige Blei, die die Baustoffe aggressiv angriffen. Außerdem entstehe mehr Plutonium als in herkömmlichen Reaktoren, was eine hochkomplexe Wiederaufarbeitung des abgebrannten Brennstoffs nötig mache. Und auch hinter der Aussage, Dual-Fluid-Anlagen produzierten nur relativ ungefährlichen Atommüll, macht er ein Fragezeichen. „Übrig bleiben teils sehr langlebige Spaltprodukte. Das Endlagerproblem bleibt also bestehen.“
Dass Dual Fluid in Vancouver gegründet wurde, hat laut Unternehmenschef Ruprecht mit mangelnder politischer Unterstützung hierzulande zu tun. In Kanada sei das anders. Die dortige Regierung glaube an die Zukunft der Atomkraft und helfe dabei, einen Prototyp zu bauen. Der soll bis 2029 fertig sein. Pistner freilich hat Zweifel, ob das zu schaffen ist. „Doch selbst, wenn es funktioniert, man hat dann noch keinen kommerziellen Reaktor“, sagt er.
Das zeige: Die Chance, mit SMR schnell genug einen signifikanten Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstoßes zu leisten, sei minimal. Tatsächlich muss dieser laut Weltklimarat IPCC weltweit bereits bis 2030 halbiert werden und dann schnell auf Null sinken, um das 1,5-Grad-Erwärmungslimit in Reichweite zu halten. Pistner dazu: „Das ist nur mit Energieeffizienz sowie erneuerbaren Energien zu schaffen. Die können sofort installiert werden. Die Klein-AKW nicht.“
Atomkraft: Kleine AKW und viele Fragezeichen - Frankfurter Rundschau
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