WELT: Herr Maier, am vergangenen Montag haben in Thüringen mehr als 17.000 Menschen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen demonstriert. Hat Sie diese hohe Zahl überrascht?
Georg Maier: Das sind nicht wenige, richtig. In der Woche zuvor waren 15.000 Demonstranten unterwegs. Es gibt da ein Mobilisierungspotenzial, das aber langsam an seine Grenzen stößt.
WELT: Haben Sie ein klares Bild darüber, wer da eigentlich auf die Straße geht und wogegen sich der Protest genau richtet?
Maier: Die Motive sind unterschiedlich. Sie finden da Hoteliers und Gastronomen, die finanzielle Einbußen hinnehmen mussten. Anderen ist die Corona-Politik der Regierung zu inkonsistent.
Über 30 Prozent der Thüringer sind noch nicht geimpft. Diese Gruppe erlebt die Hygienevorschriften als starke persönliche Belastung in ihrem Leben: Ob Restaurantbesuche, Kino, Modegeschäft – überall wird mindestens eine doppelte Impfung verlangt. Diese aus meiner Sicht notwendige Reglementierung führt zu Wut. Die Ungeimpften bilden vermutlich bei den Demonstrationen die größte Gruppe.
WELT: Wer läuft noch mit?
Maier: Impfgegner, die Verschwörungen verbreiten – und eben auch viele Rechtsextremisten, die da ein Rekrutierungsfeld wittern. Nach den Erkenntnissen unserer Sicherheitsbehörden werden die meisten dieser Aufmärsche auch von Neonazis geplant und organisiert.
WELT: Sind die Aufmärsche von Rechtsextremisten unterwandert?
Maier: Nein, die Nazis geben sich ja offen zu erkennen. Sie finden leider nur viele Mitläufer.
WELT: Aber gibt es nicht auch berechtigte Kritik an der Corona-Politik der Landesregierung? Zur Frage von Schulöffnungen gab es ständig unterschiedliche Ansagen, nun sollen die Schulen selbst über Fern- oder Präsenzunterricht unterscheiden. Schiebt man damit Verantwortung nicht ab?
Maier: Dass Schulen nun selbst entscheiden sollen, ob sie offen bleiben oder nicht, halte ich grundsätzlich für richtig. Aber ich muss einräumen, dass unsere Landesregierung bei dieser Frage nicht immer ein gutes Bild abgegeben hat.
Bei der Entscheidung über die Schulen hieß es vom Bildungsminister Helmut Holter (von der Linkspartei, d. Red.) lange Zeit, sie müssten offenbleiben. Dann hieß es vor Weihnachten: Die Schulen bleiben zu, obwohl das rechtlich gar nicht geht. Nun wieder eine Wende, indem man es den Schulen vor Ort überlässt.
Es ging also hin und her, und wenn das nun kritisiert wird, kann ich das den Leuten nicht verübeln. Der Schlingerkurs frustriert viele, dass es dann Protest gibt, darf uns nicht wundern.
WELT: Also haben Sie mit den Protestmärschen kein Problem?
Maier: Natürlich habe ich damit ein Problem. Grundsätzlich ist Kritik völlig legitim. Aber dazu gehört auch, dass man sich an Gesetze hält. Die Demos werden allerdings meist gar nicht bei den Behörden vorher angezeigt, es wird massenhaft gegen Hygienevorschriften verstoßen, dazu kommen gewalttätige Übergriffe auf Polizeibeamte. Das ist nicht akzeptabel. Wer Aufrufen von Rechtsextremisten folgt, an rechtswidrigen Aufmärschen teilzunehmen, verstößt gegen die aktuelle Corona-Verordnung. Und dagegen muss und wird die Thüringer Polizei weiter vorgehen.
Ich appelliere deshalb noch einmal an die Demonstranten: Haltet euch an die Gesetze, kooperiert mit den Versammlungsbehörden. Niemandem wird seine Meinung verboten. Aber Gewalt und Rechtsbrüche werden wir nicht tolerieren!
WELT: Inzwischen kommt es immer häufiger zu Morddrohungen – auch gegen Sie persönlich. Bei Ihrem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) wurden Grabkerzen angezündet vor dem Haus. Betroffen sind auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und seine Amtskollegin Manuela Schwesig (SPD) in Mecklenburg-Vorpommern. Haben Sie Todesdrohungen gegen Politiker in dieser Häufung schon einmal erlebt?
Maier: Solche Drohungen gab es immer wieder, auch gegen mich. Ich bin in Thüringen sehr konsequent gegen rechtsextreme Strukturen vorgegangen. Aber zurzeit kommen solche Einschüchterungsversuche in einer Massivität, wie ich es noch nicht erlebt habe. Das ist beunruhigend.
Nicht nur der Fall Wanderwitz (das Wahlkreisbüro des CDU-Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz wurde kürzlich angegriffen, d. Red.) zeigt, dass es nicht bei Worten bleibt. Die Grenzen des politischen Anstands sind in den vergangenen Jahren leider sehr verschoben worden. Daran trägt auch die AfD Verantwortung, die diese Proteste ständig befeuert.
WELT: Dass Impfungen sinnvoll sind, ist die einhellige Auffassung der Wissenschaft. Dennoch ist der Widerstand in Thüringen groß. Kann man die Impfgegner, die da auf die Straße gehen, eigentlich politisch überhaupt noch erreichen?
Maier: Ich fürchte, dass das kaum noch gelingt. Bei den Erst- und Zweitimpfungen hatten wir zuletzt zwar einen leichten Anstieg. Und Bodo Ramelow setzt da auf den Totimpfstoff, der vielleicht eine höhere Akzeptanz findet. In meinem Bekannten- und Verwandtenkreis kenne ich auch Menschen, die darauf warten.
Aber in der großen Summe macht das wohl keinen Unterschied. Vielleicht ein paar Prozent mehr Geimpfte, große Hoffnungen habe ich da nicht. Das Problem ist doch, dass viele Menschen die Impfverweigerung für ihren persönlichen Widerstand gegen einen angeblich übermächtigen Staat halten. Gegen die da oben, gegen die Politik allgemein. Und sie merken: Mit dieser Impfverweigerung bringen sie den Staat tatsächlich in die Bredouille.
WELT: Das klingt nicht sehr hoffnungsvoll. Sind Sie für eine Impfpflicht?
Maier: Es gibt sicher ungeimpfte Bürger, die auf eine staatliche Ansage warten. Die so verunsichert sind, dass sie das selbst nicht entscheiden wollen, die an die Hand genommen werden wollen und auf ein solches Machtwort reagieren würden. Aber die übergroße Mehrheit der Impfverweigerer und -gegner wird sich so nicht überzeugen lassen.
Im Gegenteil: Ich befürchte, dass eine allgemeine Impfpflicht die Eskalationsspirale weiter nach oben treiben würde. Es war zudem ein Fehler, die Impfpflicht zu Beginn auszuschließen. Ich habe das nie getan. Auch da haben wir nun wieder eine politische Kehrtwende; auch das war Wasser auf die Mühlen derer, die der Politik Unglaubwürdigkeit vorwerfen.
WELT: Wenn Reden nicht hilft und eine Impfpflicht auch nicht – was empfehlen Sie dann als Strategie?
Maier: Ich sage nicht, dass die Impfpflicht keine Option ist. Wenn, dann muss sie aber schnell kommen. Für eine derart einschneidende Maßnahme braucht es eine starke Willensäußerung des Parlaments. Denn es stellt sich sofort danach die Frage der Durchsetzung. Welche Konsequenzen hätte der Beschluss denn für Ungeimpfte?
Was ich mir nur schwer vorstellen kann, wäre, dass Bürger dann mit Zwangsmaßnahmen zu Impfstellen gebracht werden. Also bleibt die Verhängung von Bußgeldern, denn ohne spürbare Konsequenzen ergibt die Pflicht keinen Sinn. Dazu muss man erst mal herausfinden, wer noch nicht geimpft ist. Es stellen sich also noch viele Fragen.
WELT: Das klingt sehr skeptisch.
Maier: Nein, ich plädiere aber für eine lageabhängige und realistische Abwägung der Vor- und Nachteile. Dabei muss man bedenken, dass auch eine zügige Impfpflicht für die Omikron-Welle zu spät käme. Die Welle läuft.
Vor dem Hintergrund der neuen pandemischen Lage mit der Omikron-Variante werbe ich dafür, die Frage der Impfpflicht vom Ende her zu diskutieren. Es gibt keinen Königsweg aus dieser Krise.
Innenminister Maier: „Viele halten Impfverweigerung für Widerstand gegen Staat“ - WELT
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