Aus der Türkei kommen wieder mal Nachrichten, die noch schlechter ausfallen als erwartet: Im Dezember sind die Lebenshaltungskosten kräftig gestiegen und liegen nun 36,1 Prozent höher als vor einem Jahr. Ökonomen hatten im Vorfeld lediglich mit einem Zuwachs um die 30 Prozent gerechnet, was für sich betrachtet auch schon für viele Menschen eine Katastrophe ist. Jetzt kommt es noch härter, denn der Anstieg der Preise um mehr als ein Drittel im Jahresvergleich ist ja nur der Durchschnittswert.
Die Kosten für Nahrungsmittel kletterten nach Angaben des türkischen Statistikamtes zum Jahresende sogar um 44 Prozent, die im Verkehrswesen um 54 Prozent. Das trifft die zunehmend in wenige Reiche und immer mehr Arme geteilte Bevölkerung hart. Strikte Preisvergleiche und Konsumverzicht gehören schon in der dünner werdenden Mittelschicht zum Alltag. Andere müssen sich jetzt noch mehr abmühen, die Wohnung warm und ihre Familie satt zu bekommen.
Ein großer Teil des Preisanstiegs geht auf den dramatischen Verfall der Landeswährung zurück, die im vergangenen Jahr etwa 44 Prozent abgewertet hat. Eine Folge ist, dass die Rechnung für Importwaren steigt. Doch das Land ist auf die Einfuhr von Rohstoffen und Vorprodukten, vor allem aber von Öl und Gas angewiesen. Der Preisschock an den Energiemärkten macht die Einfuhr noch teurer: Das Fass Öl kostet mehr Dollar und für einen Dollar müssen wegen der Abwertung mehr Lira ausgegeben werden.
Mit einer gewissen Zeitverzögerung schlägt das auf die Preise durch, die Unternehmen wälzen die Kosten auf die Verbraucher ab. In den Dezember-Daten spiegeln sich damit Entwicklungen aus den Monaten Oktober und November wider. Weil die Lira seither weiter an Wert verloren hat, ist ein schnelles Ende der Preiserhöhungen nicht zu erwarten. Manche Ökonomen rechnen mit 40 bis 50 Prozent für den Januar. Die Erzeugerpreise lagen schon annähernd 80 Prozent über Vorjahresniveau.
Weite Teile der Bevölkerung werden in die Armut getrieben
Aktuelle Entwicklungen erhöhen den Druck: Zum Jahreswechsel stiegen die Preise für Strom und Gas für das Gewerbe um bis zu 125 Prozent, für Verbraucher um bis zu 50 Prozent. Solche Preissprünge relativieren die ebenfalls zum Jahreswechsel verordnete Erhöhung der Mindestlöhne um die Hälfte.
Gegen den Preisdruck der internationalen Märkte kann das Land sich schlecht wehren. Umso wichtiger wäre es, die hausgemachten Ursachen der Krise entschlossen anzugehen. Doch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan macht keine Anstalten, von seinem bizarren geldpolitischen Kurs abzuweichen. Während in aller Welt Notenbanken auf steigende Inflationsrisiken mit steigenden Zinsen reagieren – selbst bei der Europäischen Zentralbank hat augenscheinlich ein Umdenken begonnen -, senkte die türkische Zentralbank auf Geheiß des Präsidenten die Zinsen: seit September um volle 5 Prozentpunkte auf 14 Prozent.
Das ist der Stoff aus dem die Währungskrise gezimmert wird, die ihrerseits die Inflation befeuert und weite Teile der Bevölkerung in die Armut treibt. Auf jeden Fall hat diese Politik das Vertrauen in die Wertbeständigkeit der Lira zutiefst erschüttert: Wer noch Lira hatte, hat sein Geld längst in Gold und Devisen getauscht.
An diese Reserven will Erdoğan nun ran. Mittel zum Zweck sind eine staatliche Versicherung gegen Währungsverluste. Erdoğan verspricht, der Staat werde etwaige Währungsverluste für in Lira gehaltene Einlagen ausgleichen. Ähnliche Überlegungen kursieren für Goldbestände und für Menschen und Institutionen, die künftig in Lira ausgegebene Staatspapiere zeichnen.
Kaum war Erdoğan kurz vor Weihnachten mit der Idee auf den Markt gekommen, hatte die Lira sich von den Kursverlusten der letzten Wochen schlagartig erholt. Atemberaubend war der Wertzuwachs. Statt 18,40 Lira kostete der Dollar plötzlich weniger als 11 Lira. Das war zwar immer noch viel mehr als 7,44 Lira zu Jahresanfang 2021, aber immerhin. Nur: Seither hat die Währung wieder an Wert verloren. Nach dem Inflationshammer zum Jahresauftakt lag sie Montagmittag wieder bei Kursen über 13,40 Lira je Dollar.
Eine Frage des Vertrauens
Das nährt Zweifel an der Tragfähigkeit von Erdoğans Modell, die Währungsrisiken dem Staatshaushalt und damit den künftigen Steuerzahlern aufzubürden, während Kleinanleger massenhaft ihre Devisen zurücktauschen. Nicht auszuschließen ist nämlich, dass staatliche und halbstaatliche Akteure mit Lira-Käufen gegen den Dollar Nachdruck verschafften. Zudem sucht Erdoğan Finanzhilfe im befreundeten nicht-westlichen Ausland: in China, Qatar, den Arabischen Emiraten, auch dem Waffenbruder Aserbaidschan. Hier könnten etwaige verdeckte politische Kosten erst später bekannt werden.
Am Ende ist alles eine Frage des Vertrauens. Aber Vertrauen in ihren wie ein Alleinherrscher regierenden Staatspräsidenten haben die Türken immer weniger, auch wenn er die Medien zum großen Teil kontrolliert, Demonstranten niederknüppeln und Oppositionspolitiker als „Terroristen“ denunzieren lässt sowie die Staatsanwaltschaft auf Kritiker (nicht nur seiner Wirtschaftspolitik) hetzt. In Umfragen verliert Erdoğan, der seine politische Karriere als erfolgreicher Wirtschaftsreformer begann, zusehend an Zustimmung. Spätestens im nächsten Jahr wird gewählt. Nicht wenige glauben, dass die von ihm mitverursachte Währungs- und Wirtschaftskrise über sein politisches Schicksal entscheiden wird.
Erdoğan treibt viele Türken in die Armut - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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