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Monday, December 6, 2021

Wirtschaftsminister Altmaier geht: Seine Bilanz ist besser als viele glauben - DIE WELT

Wären es normale Zeiten, würde sich ein Wirtschaftsminister wohl mit dem Verweis auf das erzielte Wachstum in seiner Amtszeit verabschieden. Doch Peter Altmaier (CDU) muss bei seiner Bilanz erst einmal über das Coronavirus sprechen. „Nach zwei Jahren Pandemie steht Deutschland ungefähr wieder so da, wie vor der Pandemie“, sagt Altmaier. Das mag, was die Wirtschaftsleistung angeht, stimmen, eine Erfolgsbilanz sieht aber natürlich anders aus.

Der Bundeswirtschaftsminister war in den vergangenen knapp zwei Jahren aus Sicht vieler Bürger vor allem dafür zuständig, die Hilfen für die durch die diversen Lockdowns in Not geratenen Unternehmen zu organisieren. Das gelang anfangs mehr schlecht als recht, es dauerte lange, bis das Geld tatsächlich floss – zu lange.

Und doch sind die Mechanismen inzwischen eingespielt, die befürchtete Insolvenzwelle blieb bislang aus. „Wir haben umfassend geholfen, weil die Pandemie umfassend die Regeln der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt hat“, sagte Altmaier kurz vor dem Ende seiner Amtszeit.

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Doch so einzigartig ist die Abkehr von der reinen Lehre der Marktwirtschaft in der Amtszeit des scheidenden Wirtschaftsministers nicht. Denn Altmaier dürfte langfristig wohl nicht wegen seiner Pandemiebekämpfung in Erinnerung bleiben, sondern wegen seines industriepolitischen Kurswechsels. Als er seine „Industriestrategie“ Anfang 2019 vorstellte, rührte Altmaier damit an ein deutsches Tabu. „Ich habe es als meine Rolle verstanden, den Buckel hinzuhalten, eine Bresche zu schlagen und zu provozieren“, sagt der Minister heute.

Altmaier war seiner Zeit voraus

Diese Provokation war dem CDU-Politiker durchaus gelungen: Um Schlüsseltechnologien in Europa zu halten, sollte notfalls auch der Staat eingreifen, Innovationen mit Milliarden fördern und den Verkauf von Firmen und Know-how ins Ausland – vor allem nach China – verhindern. Altmaier, das muss man im Rückblick sagen, war seiner Zeit mit dieser Sichtweise voraus.

Er begriff China als Konkurrenten, der mit ungleichen Mitteln und Voraussetzungen agiert, der in Deutschland auf Einkaufstour geht, während deutsche Firmen in der Volksrepublik nicht frei handeln können. Das brachte ihm erst einmal jede Menge Kritik ein.

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Rückblickend sei ihm „die Tollpatschigkeit“ unterlaufen, dass er den Mittelstand in seiner Strategie nicht so einbezogen habe, wie der es verdient habe, räumt Altmaier ein. Es war nicht der einzige Kritikpunkt an seiner Industriepolitik: Als der Minister ankündigte, mit einem großangelegten Subventionsprogramm auf europäischer Ebene die Batteriezellproduktion zurück nach Deutschland zu holen wurde er bestenfalls belächelt. „Als ich das 2018 vorgeschlagen habe, war es ein harter Kampf bergauf“, sagt Altmaier.

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Inzwischen zeigen sich jedoch Erfolge: Nicht nur Tesla baut in Brandenburg an einer Batteriefabrik und verzichtet dafür auf eine mögliche Milliardenförderung aus Altmaiers Ministerium. In Kaiserslautern entsteht unter Beteiligung von Daimler und Opel ein Batteriewerk, BASF baut in Brandenburg eine neue Fabrik, in der Vorprodukte für die Akkus hergestellt werden sollen, und an der deutsch-polnischen Grenze will ein Start-up eine Lithium-Raffinerie bauen. Selbst der chinesische Hersteller CATL will künftig in Erfurt Batterien produzieren.

Ungerecht behandelt fühlt er sich nicht

Ohne staatliche Förderung wären viele dieser Projekte wohl nicht entstanden. Nun gebe es ein „völlig neuartiges Ökosystem“ für die Batteriezellproduktion, sagt Altmaier. Das gilt nicht nur für die Akkus, die künftig den Großteil der Wertschöpfung der Automobilindustrie ausmachen werden – immerhin die Schlüsselbranche schlechthin in Deutschland.

Auch Chipproduzenten, eine Wasserstoffindustrie und eine eigene europäische Daten-Cloud will Altmaier mithilfe von Subventionen im Land halten oder sogar erst aufbauen. „Wir haben erlebt, dass die europäische Wirtschaft dabei war, abgehängt zu werden“, sagt der scheidende Minister mit Blick auf die Digitalwirtschaft.

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Altmaier plädiert für Realismus in einer Welt, in der Mächte wie die USA und China, aber auch europäische Länder wie Frankreich und Großbritannien längst massiv die eigene Wirtschaft fördern und den Abfluss von Technologien verhindern. „Es wäre eine Illusion anzunehmen, dass unsere Unternehmen in einer Welt, in der andere längst Industriepolitik machen, dauerhaft allein erfolgreich sein können“, sagt Altmaier.

Ungerecht behandelt gefühlt habe er sich von seinen Kritikern auch im Nachhinein nicht, das müsse ein Politiker aushalten. „Ich habe Gott sei Dank von Natur aus kein gläsernes Kinn mitbekommen“, sagt Altmaier. „Ich habe eingesteckt, ich kann aber auch austeilen.“

Selbstkritik in Sachen Klimaschutz

Einstecken musste der Minister auch berechtigte Kritik für seine Leistung beim Klimaschutz. Altmaier war in seinem Ministerium nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das Thema Energie verantwortlich. „Wir haben viele Erwartungen der jungen Leute, was die Geschwindigkeit angeht, enttäuscht“, räumt er ein. Er halte den Klimaschutz für „die große Glaubwürdigkeitsherausforderung“ auch für seinen Nachfolger Robert Habeck (Grüne).

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Zwar habe man in der vergangenen Legislaturperiode keineswegs nur die Ambitionen gesteigert, sondern auch gehandelt, um das Klima zu schützen. Man habe aber für „viel Verdruss“ gesorgt, indem man beim CO2-Preis anfangs zu kleine Schritte gemacht habe. Man werde deutlich schneller, deutlich mehr erneuerbare Energien brauchen. Immerhin sei es gelungen, den Kohleausstieg zu beschließen, auch wenn dieser nun womöglich von der neuen Regierung deutlich von 2038 auf 2030 vorgezogen werden soll.

Altmaier zieht sich aus der Politik zurück

Altmaier und sein Nachfolger Habeck kennen sich seit fast zehn Jahren, seit sie beide als Umweltminister – Habeck in Schleswig-Holstein, Altmaier im Bund – gemeinsam durchs Watt gewandert waren. Er drücke dem neuen Minister die Daumen, dass es ihm gelingt, Wirtschaft, Transformation und Wohlstanderhalt in Einklang zu bringen.

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Die Industriestrategie müsse auf die ökologische Transformation der Unternehmen ausgedehnt werden. Der Staat müsse die Unternehmen unterstützen, in allen Branchen klimaneutral zu werden. Die Vereinbarungen der künftigen Ampel-Regierung dazu in ihrem Koalitionsvertrag halte er für richtig. Er selbst habe 2019 nicht so konkret werden können „ohne eine Reihe von Konfliktfeldern aufzumachen“.

Tatsächlich schwang sich Altmaier erst zum ausdrücklichen Klimaschützer mit eigenem Programm auf, als der Wahlkampf bereits aufzog und klar war, dass die Strategie keine Chance mehr auf Umsetzung hatte.

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Künftig wird Altmaier nur noch von der Seitenlinie aus zusehen, er hatte sein Bundestagsmandat zurückgegeben und wird sich aus der Politik zurückziehen. Ganz aus der öffentlichen Debatte wolle er nicht verschwinden. Aber: „Sie können davon ausgehen, dass ich nicht als Lobbyist durch Berlin laufen werde.“ Bis Februar hat er sich eine Auszeit verordnet, wolle ausschlafen und aufräumen. „Nach einer langen Karriere“, sagt Altmaier, „muss auch erst mal ein Schlussakkord gesetzt werden.“

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