Stand: 07.11.2021 14:51 Uhr
Gutes Schulessen ist für Millionen Kinder in Deutschland Glückssache. Einheitliche Vorschriften für alle 16 Bundesländer gibt es nicht. Dabei ist ganz klar, was auf den Teller kommen sollte.
Seit 20 Jahren kocht der Gasthof Lamm für Schulkinder. "Unseren Selleriesalat hat anfangs keiner gegessen - jetzt schreien die Kinder danach. Sechs bis acht Mal muss man etwas probieren, damit es einem dann vielleicht schmeckt", erzählt Roman Mattheis.
Begonnen hat es mit der örtlichen Schule, mittlerweile liefert der Betrieb von Mattheis und seiner Frau Daniela rund 2000 Essen am Tag aus. Anfangs noch nach Mutters Rezepten, mittlerweile zertifiziert von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, denn sie kochen freiwillig nach deren DGE-Qualitätsstandards.
Das ist Mattheis wichtig. "Wenn ich als Schwabe sage, wir machen ein kindgerechtes Essen, dann heißt das noch lange nicht, dass das gesund ist." Ein unabhängiges Kontrollgremium sei daher gut. "Ich bin auch überzeugt, dass das Essen für 80 Prozent der Kinder die einzige vernünftige Mahlzeit am Tag ist." Viele Eltern seien berufstätig, essen mittags selbst in Kantinen. "Und abends fehlt dann oft die Zeit oder die Lust, aufwändig zu kochen."
Zu fad, zu langweilig: Dabei könnten Schulessen gesund und lecker sein. Bild: dpa
Standards für gutes Schulessen
Auf Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) sind Ganztagsschulen verpflichtet, ein Mittagessen anzubieten. Das betrifft laut KMK bundesweit rund 3,5 Millionen Schülerinnen und Schüler.
Wie dieses Mittagessen aussieht, ist von Bundesland zu Bundesland, von Gemeinde zu Gemeinde, von Schule zu Schule unterschiedlich. "Es gibt bundesweit noch nicht mal eine Vorschrift, ob es ein warmes Essen sein muss oder ob ein kaltes ausreicht", sagt Stephanie Klein von dem Projekt "IN FORM in der Gemeinschaftsverpflegung" der DGE.
Dabei ist ganz klar, was auf den Teller kommen sollte. Die DGE hat im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bis ins kleinste Detail Standards für gutes Schulessen erarbeitet. Gut wären täglich Gemüse und Getreideprodukte, davon zweimal die Woche Rohkost und mindestens einmal ein Vollkornprodukt. Fleisch oder Wurst sollten nur einmal die Woche auf den Speiseplan und auch einmal Fisch.
Aufklärung statt Umsetzung
Doch es hapert an der Umsetzung. Nur Berlin, Bremen, Hamburg, das Saarland und Thüringen schreiben die Einhaltung der DGE-Qualitätsstandards verbindlich vor. Allerdings zum Teil nicht für alle Jahrgangsstufen und mit recht langen Umsetzungsfristen, so Peter von Philipsborn. In einem Forschungsprojekt der Ludwig-Maximilians-Universität und des Leibniz Institutes für Präventionsforschung und Epidemiologie hat er unter anderem Schulessen untersucht.
Er sieht dringenden Handlungsbedarf. "Die Politik hat zu lange ausschließlich auf Aufklärung und Informationsbereitstellung gesetzt, aber zu wenig auf die verbindliche Umsetzung." Dabei wisse man, dass Ernährungsbildung und Aufklärung zwar wichtig seien, den größten Einfluss auf das Essverhalten habe aber das, was auf den Tisch komme.
Ein Apfel zwischendurch kann auch mal lecker sein. Bild: Andrea Ege
Die USA sind weiter
International ist man da weiter. So gibt es zum Beispiel in den USA landesweit verpflichtende Qualitätsstandards fürs Schulessen. Diese sehen unter anderem vor, dass täglich Gemüse und Obst angeboten werden müssen und dass es sich bei der Hälfte aller Getreideprodukte um Vollkornprodukte handeln müsse, so das Forschungsprojekt von Philipsborn.
Warum die Qualitätsstandards in Deutschland nicht überall verbindlich sind? Mattheis vom Gasthof Lamm meint: "Es ist schon ein Spagat: Die Qualitätsstandards zu beachten und gleichzeitig etwas auf den Tisch zu bringen, was den Kindern schmeckt." Und wer viele Fertigprodukte verwende, könne die Vorgaben gar nicht einhalten. Zum Beispiel beim Fruchtjoghurt. Da sind auf 100 Gramm sechs Gramm Zucker erlaubt, standardmäßig sind aber 14-18 Gramm pro 100 Gramm enthalten. Im Gasthaus Lamm arbeiten sie deshalb viel mit Naturjoghurt und mischen dann selbst Früchte oder selbst gemachte Marmelade zu.
"Gut und gerne essen"
Projekte, Websites und Infobroschüren rund um die Ernährung gibt es viele, auch von offizieller Seite. Das Bewusstsein, dass etwas getan werden muss, ist also da. So schreibt das Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg auf Anfrage: "Aus langjähriger Erfahrung lässt sich feststellen, dass die Qualität des Schulessens sehr unterschiedlich ist. In vielen Fällen gibt es Potenzial für Verbesserungen."
Schon 2016 wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Nationales Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule (NQZ) eingerichtet. Außerdem gibt es in jedem Bundesland sogenannte Vernetzungsstellen Schulverpflegung. Die ehemalige Leiterin Anke Oepping des NQZ wird auf deren Homepage so zitiert: "Das gemeinsame Anliegen des Bundesernährungsministeriums, des NQZ und der Vernetzungsstellen ist es, dass Kinder und Jugendliche in allen Kitas und Schulen in Deutschland gut und gerne essen."
Kinder und Jugendliche sollen in allen Schulen "gut und gerne essen" - so das Ziel. Bild: Roman Mattheis
Note 3,2 fürs Essen
Fragt man Eltern und Schülerinnen und Schüler hört sich das nur selten nach kulinarischer Begeisterung an. Tenor ist eher: "Es bleibt uns ja nichts anderes übrig." Die bislang letzte bundesweite Studie zum Schulessen von Seiten der Bundesregierung ist von 2015. In Stuttgart wurden Schülerinnen und Schülern Anfang des Jahres befragt. Ihre Meinung: Das Essen verdiene eine 3,2. Am häufigsten wünschten sie sich, dass das Essen besser schmecke und abwechslungsreicher sei.
Alle sind nur ein bisschen zuständig
Die Anleitung dazu gibt es. Den "DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Schulen", den Stephanie Klein miterarbeitet hat. Es bleibt die Frage, warum dieser in so vielen Bundesländern nicht vorgeschrieben ist. Klein hält die ungeklärte Zuständigkeit für eines der Hauptprobleme.
Es fange schon damit an, welches Ministerium im jeweiligen Bundesland dann zuständig wäre. Aktuell wird die Schulverpflegung von verschiedenen Ministerien organisiert. Dem für Ernährung, dem Kultusministerium und dem Bauministerium, das zum Beispiel die Mensen ausbaut. Dann gibt es verschiedene Schulträger, und an den Schulen selbst stellt sich die Frage: Organisiert die Schule die Ganztagesbetreuung und somit auch das Mittagessen oder organisiert all das ein extra Anbieter? Ein weiteres Problem: Die Schulverpflegung sei oft nur ein Anhängsel beim Thema Ganztagsbetreuung. Dabei bräuchte jede Schule, jemanden der sich für das Thema hauptverantwortlich fühle.
Das sieht auch Mattheis vom Gasthof Lamm so. Man brauche Menschen, die Kindern beibringen, dass auch gesund lecker sein könne. "Sonst wollen die nur Pizza, Döner oder Schnitzel."
Schulessen in Deutschland: Viele Köche - kein Rezept | tagesschau.de - tagesschau.de
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