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Tuesday, September 28, 2021

Lindner vs. Habeck: Warum Ampel viel schneller kommen kann, als viele denken - FOCUS Online

Die Ausgangslage für die Bildung einer Ampelkoalition lässt sich leicht auf den Punkt bringen. SPD und Grüne sind sich politisch deutlich näher und werden sich schnell einig. Die FDP als dritten Partner für das Projekt zu gewinnen, wird definitiv schwieriger. „Wir sind in sozial-, steuer-, finanzpolitischen Fragen wirklich konträr", beschreibt Grünen-Chef Robert Habeck die Differenzen. Hinzu kommt die Debatte über den Klimaschutz, wo die Liberalen ebenfalls völlig andere Vorstellungen haben.

Habeck lässt trotzdem keinen Zweifel daran, dass er es ernsthaft versuchen will, die FDP ins Boot zu holen – lieber als die Union. FDP-Chef Christian Lindner hat rote Linien benannt: „keine Steuererhöhungen“ und „kein Aufweichen der Schuldenbremse“. Wie Habeck erklärte auch er seine Kompromissbereitschaft: „Ich glaube, eine nächste Regierung wird sehr viel ökologischer sein. Man muss ja das Ergebnis der Grünen zur Kenntnis nehmen.“ Beide Parteien müssen auf dem Weg zu einer Einigung mehrere Steine, aber auch einige Felsblöcke zur Seite räumen.  

Knackpunkt Klimaschutz: Tempolimit könnte die Ampel-Einigung bringen

Alle Parteien sind sich darüber einig, dass mehr getan werden muss gegen die Erderwärmung. Umstritten ist das Wie. Die Grünen möchten den Kohleausstieg schon 2030 und nicht erst wie geplant 2038. Die Grünen werden darauf beharren – es ist wichtig für ihre Basis. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kann sich 2034 vorstellen, macht das aber davon abhängig, „wie schnell wir einsteigen in den Ausbau der erneuerbaren Energien“. Nach einem Bericht der „Tageszeitung“ stimmte FDP-Generalsekretär Volker Wissing dem im August zu: „Ich will auch, dass wir den Ausstieg bis dahin (2034) schaffen.“ Der Kompromiss könnte so aussehen, dass die Anstrengungen zum Ausbau der Erneuerbaren verstärkt werden – und der Kohleausstieg im Gegenzug schneller kommt.

Ein baldiges Aus für den Verbrennungsmotor können sich SPD und FDP im Gegensatz zu den Grünen nicht vorstellen. ​"Der Automobilverkehr muss in den nächsten zehn Jahren endlich einen starken Beitrag zum Klimaschutz leisten", betonen die Grünen. Bis 2030 sollen 15 Millionen Elektrofahrzeuge in Deutschland fahren, ab 2030 sollen nur noch emissionsfreie Wagen neu zugelassen werden. Die FDP erklärt zu dem Thema: „Durch die von uns geforderte Ausweitung des CO2-Emissionshandels werden sich umwelt- und klimafreundliche Motoren und alternative Kraftstoffe durchsetzen, weil sie gegenüber emissionsstarken Produkten günstiger werden.“ Ein Zeitraum wird nicht genannt. Allerdings: „Ein pauschales Verbot von Verbrennungsmotoren lehnen wir ab.“ Das fordern die Grünen nicht explizit.

Hier ist also ein Kompromiss innerhalb des Gesamtkomplexes möglich, eventuell verbunden mit der Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen: „Wir setzen auf Innovationen, Vernunft und Freiheit. Tempolimits, Diesel- oder Motorradfahrverbote sind weder progressiv noch nachhaltig“, erklärt die FDP. Die Grünen sind (wie die SPD) für 130 km/h auf den Schnelltrassen. Die Liberalen dürften dem sich nicht versperren, zumal die Zustimmung in der Bevölkerung für das Tempolimit wächst. 

Knackpunkt in den Verhandlungen über die Energie- und Klimapolitik könnte der nationale Emissionshandel sein. Den befürworten alle möglichen Koalitionspartner, allerdings mit unterschiedlichen Stoßrichtungen. Die FDP sehen im deutschen Emissionshandel und dem CO2-Preis auf Kohle, Benzin, Diesel, Heizöl und Gas das wichtigste Lenkungsinstrument im Klimaschutz. Sie fordern weniger Verbote und Vorschriften, sondern wollen auf die Kräfte des Marktes und der Wissenschaft setzen. Ein Kompromiss im Gesamtpaket sollte drin sein. Denn die CO2-Bepreisung wirkt sich faktisch wie ein Verbot aus: Wer kein Zertifikat hat, darf kein Kohlendioxid ausstoßen. Habeck und andere Realos der Grünen sind keine strikten Gegner marktwirtschaftlicher Mechanismen. Es wird auf die konkrete Ausgestaltung ankommen. Bei dem Thema könnte sogar die SPD der Bremsklotz sein. Die Grünen plädieren für eine Erhöhung auf 60 Euro je Tonne CO2-Ausstoß schon 2023. Die Große Koalition hatte 35 Euro ins Gesetz geschrieben. Die SPD wird auf soziale Verträglichkeit achten. Ein Konsens sollte möglich sein.

Zusammenfassend: Die Einigungschancen sind insgesamt gut bis sehr gut.

Steuern und Staatshaushalt: Der Streit um die schwarze Null ist nicht unlösbar

Wie bei diesem Komplex ein großer Kompromiss aussehen könnte, ist völlig offen. Die Grünen sind nah an der SPD, aber sehr weit weg von der FDP. Allerdings wird es auch für die Liberalen schwierig werden, der Öffentlichkeit zu erklären, wie sie die schwarze Null – also einen Bundeshaushalt ohne jeden neuen Kredit – schaffen und zugleich die Steuern für alle senken wollen, falls sie an beiden Zielen festhalten.

Massive Nachlässe bei der Einkommensteuer, die auch Spitzenverdiener begünstigen, würden Milliardenlöcher in die Staatskasse reißen. Ob Unternehmen dann ihre Investitionen drastisch steigern und privat viel mehr Geld etwa beim Konsum ausgegeben wird, dass die Konjunktur brummt, neue Arbeitsplätze entstehen und Bund, Länder und Kommunen die Verluste ausgleichen können, ist ungewiss. Zumal Einigkeit darüber besteht, in Bildung, Digitalisierung, Infrastruktur und Erneuerbare Energien zusätzliche Milliarden zu stecken. Kommt das Geld nicht durch direkte oder indirekte Steuern wieder rein, müssen Ausgaben an anderer Stelle gekürzt oder neue Darlehen aufgenommen werden – was wiederum die schwarze zu einer tiefroten Null werden lässt. 

Die Grünen wollen (wie die SPD) vor allem Geringverdiener bei der Einkommensteuer entlasten und zumindest einen Teil der Mindereinnahmen durch höhere Lasten für sehr Vermögende wieder einspielen. Die Liberalen lehnen aber jede Form von Steuererhöhungen ab. Hinzu kommt, dass die Grünen (wie die SPD) die schwarze Null aufgeben wollen. Sie sind dafür, die Minizinsen an den Kapitalmärkten gezielt auszunutzen und hohe Kredite aufzunehmen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Diese Position wird inzwischen auch von konservativen Ökonomen unterstützt – noch vor vier, fünf Jahren undenkbar.

Habeck will dazu die Schuldenbremse reformieren. Er schlägt vor, dass die öffentliche Hand wie Privatleute bei der Kreditaufnahme Vermögen gegenrechnen darf. Wenn eine Familie ein Haus für 300.000 Euro kauft und sich dafür bei der Bank Geld pumpt, besitzt es trotzdem die Immobilie, muss nur eben die Schulden begleichen – so Habecks Argumentation. Er nennt das eine „wertkonservative Logik“, weshalb er "guter Hoffnung" sei, dass Union oder FDP das verstünden. Wenn nicht, müssten sie erklären, wie sie „die Klimawende“ möglichst sozial verträglich schaffen wollten.

Um hier einen Kompromiss zu erzielen, der nicht völlig vage bleibt, wird eine Partei Abstriche am eigenen Konzept machen. FDP-Chef Lindner deutete an, dass „keine Steuererhöhungen“ okay wären, wenn dafür beschleunigte Abschreibungen für private Klimaschutzinvestitionen Entlastung brächten. Auch die Schuldenbremse könnte für klimafreundliche Investitionen gelockert werden. Damit könnten alle drei Parteien leben. Zumal das Ganze mit einem verschärften Kampf gegen Steuerhinterziehung und einem entschiedenen Abbau von Bürokratie einhergehen könnte, wie ihn die FDP fordert, um die Wirtschaft zu „entfesseln“.

Zusammenfassend: Die Einigungschancen sind insgesamt gut.

Rente, Hartz IV, Mindestlohn: Auch hier könnten sich SPD, Grüne und FDP einig werden

Die Grünen betonen wie die SPD, für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen zu wollen. Dem wird sich die FDP nicht in den Weg stellen, schon weil ein Kanzler Scholz bei seinen Wählern im Wort stünde. Bei der Rente dürften die drei Säulen aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Vorsorge unangetastet bleiben. FDP und Grüne wollen die kapitalgedeckte Variante stärken. Umstritten ist, ob das innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung geschehen soll oder nicht. Die Liberalen streben die Einführung einer gesetzlichen Aktienrente an.

Die FDP beharrte bisher auf Beibehaltung der Trennung privater und gesetzlicher Krankenkassenversicherung. SPD und Grüne möchten eine Bürgerversicherung, in die auch Selbstständige, Abgeordnete und Beamte einzahlen würden, nicht nur Angestellte. Es ist möglich, dass die FDP zustimmt, da rund zwei Drittel der Bürger dafür sind – unter ihnen ein hoher Anteil von FDP-Wählern.  

Die Grünen wollen Hartz IV durch eine Grundsicherung ersetzen. Die FDP favorisiert ein "liberales Bürgergeld", in dem Sozialleistungen enthalten sind. Auch die Debatte über den Grundsatz "Fördern und fordern" inklusive Sanktionen wird eine Rolle in den Gesprächen spielen. Wo die FDP sicher hart bleiben wird, sind alle Versuche der Grünen, einen wie auch immer gearteten Mietendeckel einzuführen. Die Grünen wollen reguläre Mieterhöhungen bei 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels deckeln. An dem Thema wird die Koalition sehr wahrscheinlich nicht scheitern.

Beim Mindestlohn werden Grüne und FDP sicher der SPD den Gefallen tun und einer Erhöhung auf zwölf Euro zustimmen. Es ist eines der zentralen Versprechen von Scholz. Die Liberalen dürften einwilligen, wenn die Anhebung in Stufen kommt oder zugleich die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger verändert werden.

Zusammenfassend: Die Einigungschancen sind insgesamt sehr gut.

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