Eigentlich sollte das Drama „The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit“ im vergangenen Jahr ins Kino kommen, stattdessen ist es nun auf DVD und Blu-ray erschienen. Für Hauptdarstellerin und Produzentin Noomi Rapace, die 2009 als Lisbeth Salander in „Verblendung“ berühmt wurde und auch in Filmen wie „Prometheus“, „Dead Man Down“ oder „The Drop – Bargeld“ zu sehen war, hat der Film über eine Rumänin, die nach dem Zweiten Weltkrieg in einer US-Kleinstadt ihren einstigen Peiniger wiederzuerkennen meint, eine ganz persönliche Bedeutung. Das zumindest erzählt die 1979 geborene Schwedin, die seit Jahren in London lebt, am Telefon.
Frau Rapace, an Ihrem aktuellen Film „The Secrets We Keep“ sind Sie nicht nur als Hauptdarstellerin, sondern auch als Produzentin beteiligt. Bei „Lamb“, der im Januar in die Kinos kommt, genauso. Hatten Sie keine Lust mehr, zu Hause auf Drehbücher zu warten, und haben deswegen die Sache selbst in die Hand genommen?
Ehrlich gesagt war ich immer schon ein sehr proaktiver Mensch. Als ich mit 19 Jahren ganz viel am Theater arbeitete und eigentlich noch null Erfahrung oder Wissen hatte, fing ich an, an allen Fronten mitzumischen. Ich habe mich mit den Dramaturgen genauso ausgetauscht wie mit den Bühnenbildnerinnen, habe Schauspieler und Regisseure miteinander bekannt gemacht. Was manche wahrscheinlich fast ein bisschen anmaßend fanden. Aber mir hat es einfach immer schon Spaß gemacht, spannende Menschen zu verbinden und tolle Projekte auf den Weg zu bringen. Es war also nur eine Frage der Zeit, dass ich das auch beim Film mache.
Und wonach suchen Sie aus, in welche Projekte Sie Zeit und Energie stecken?
Es muss gar nicht immer eines sein, in dem ich auch mitspielen will. Wobei genau das bei „The Secrets We Keep“ der Fall war. Ich stieß in diesem Drehbuch auf ganz viele Fragen, denen ich mich sowohl als Produzentin wie auch als Schauspielerin stellen wollte. Wie schlägt man eine Brücke zwischen Rache und Vergebung? Kann man als gebrochener Mensch Heilung finden? Das sind Themen, die mir in Zeiten wachsenden Hasses und zunehmender Vereinzelung enorm wichtig erscheinen. Und diese Geschichte bot einen Weg, sie aufs Persönliche herunterzubrechen und damit zugänglich zu machen.
War es Ihre Idee, dass die von Ihnen gespielte Maja nun nicht, wie ursprünglich geplant, eine Jüdin, sondern stattdessen eine Roma ist?
Vielleicht hatte auch der von mir ausgesuchte Regisseur Yuval Adler die Idee. Auf jeden Fall entsprang sie unseren gemeinsamen Gesprächen. Als er mit an Bord kam und das Skript überarbeitete, drehte ich gerade noch in New York die Serie „Jack Ryan“. Wann immer ich frei hatte, telefonierten wir tauschten uns über unsere Familiengeschichten aus und rückten nach und nach die Figur der Maja immer näher an mich heran.
Sie selbst haben väterlicherseits Roma-Wurzeln, nicht wahr?
Genau, er war halb Spanier, halb Roma. Ich habe ihn in meinem Leben vielleicht sieben Mal getroffen. Es gibt viele Geschichten über sein Leben und seine Herkunft. Sicher weiß ich, dass er Flamenco-Sänger war – und eben dass seine Mutter wohl Roma war. Auch wenn ich ihn nicht gut kannte, habe ich stets eine besondere Verbindung zu diesem Teil meines Lebens empfunden. Besonders intensiv mit der Geschichte und Situation der Roma in Europa beschäftigt habe ich spätestens während der Arbeit an „Sherlock Holmes: Spiel im Schatten“. Damals war Hans Zimmer für die Musik verantwortlich, und der war in der Thematik sehr drin. Jedenfalls wollte ich schon lange mal eine Geschichte erzählen, die einen Bezug hat zu meinen Roma-Wurzeln, deswegen freute ich mich sehr, dass wir in diesem Fall eine Gelegenheit dazu fanden.
Stimmt es, dass Ihnen die Figur so nahe ging, dass sie Sie bis in Ihre Träume verfolgte? Oder geht Ihnen das bei jeder Rolle so?
Da gibt es schon von Film zu Film Unterschiede, aber in der Tat lasse ich die Figuren recht nahe an mich ran und werde sie auch nicht immer so schnell wieder los. Im Fall von Maja hatte ich tatsächlich viele schlimme Albträume. Mein Freund und Kollege Joel Kinnaman und ich hatten all diese langen, brutalen und psychologisch quälenden Szenen im Keller, und manchmal fühlte es sich an, als würden wir dort unten feststecken und den Kontakt zur realen Welt verlieren. Selbst wenn die anderen am Wochenende frei hatten, warteten auf mich Aufgaben als Produzentin, also kam ich aus dieser Welt wirklich nicht heraus. Das war eine der intensivsten Erfahrungen, die ich in meinem Job bislang hatte.
Intensiver noch als die Rolle der Lisbeth Salander in den Stieg-Larsson-Verfilmungen?
Ja, das war ähnlich wie damals bei Lisbeth Salander. Vermutlich hat das damit zu tun, dass mir beide Figuren emotional sehr nahe standen. Und dass beide diesen riesigen Widerspruch in sich tragen zwischen einem brutalen, harten Äußeren und diesem zerbrechlichen, verletzten Herzen. In beiden Fällen habe ich auch richtig körperlich auf die Rollen reagiert. Bei Lisbeth habe ich mich nach dem letzten Drehbuch eine gute Dreiviertelstunde übergeben müssen, so als würde ich mit aller Macht versuchen, sie loszuwerden. Und nach „The Secrets We Keep“ war ich erschöpft wie noch nie in meinem Leben.
Das klingt enorm anstrengend. Trotzdem sagen Sie, Sie bräuchten die Schauspielerei wie Luft zum Atmen. War das schon so, als Sie als Kind damit anfingen?
Sagen wir es mal so: Es gab mal eine kurze Phase in meinen Zwanzigern, wo ich dachte, es ginge ohne und ich mich als Lehrerin versuchte. Aber ich hatte mich getäuscht. Die Schauspielerei ist einfach mein ganz persönliches Paradies. Der einzige Ort, an dem ich mich wirklich sicher fühle, wo alles möglich ist, es kein richtig oder falsch gibt und nichts zu hässlich oder zu schön ist. Diese Freiheit empfinde ich nirgends sonst. Und das habe ich schon so empfunden, als ich als Siebenjährige meine erste winzige Rolle in einem isländischen Film gespielt habe.
Trotzdem widmen Sie sich immer wieder auch anderen Aktivitäten und haben zum Beispiel Ihre eigene Parfum-Marke NCP Olfactives gegründet.
Aber nicht, weil mich mein Job langweilen würde. Sondern eher, weil ich manchmal nicht weiß, wohin mit meinem Tatendrang. Ich sprühe nur so vor Energie und mache auch gerne mehrere Sachen gleichzeitig. Als ich damals NCP Olfactives startete, drehte ich gerade in Los Angeles den Film „Bright“ mit Will Smith. Ich wohnte im Haus von Joel (Kinnaman, ihrem „The Secrets We Keep“-Kostar, Anm. d. Redaktion) und wann immer ich nicht vor der Kamera stand, saß ich dort auf dem Dach, weil da das Wlan am besten war, und arbeitete an den Flakons und Logos. Nicht jede Rolle würde das zulassen. Aber wenn möglich, habe ich immer mehrere Eisen gleichzeitig im Feuer, denn wirklich zur Ruhe komme ich eh nicht.
Und warum eigentlich ausgerechnet Parfums?
Weil mich immer fasziniert hat, wie stark meine Erinnerungen mit Düften verknüpft sind. Wenn ich zum Beispiel an das Pferd denke, das ich als Kind hatte, erinnere ich mich eher daran, wie es roch, als wie es aussah. Auch bei meinen Rollen arbeite ich oft mit Düften, um eine Bindung zu einer Figur aufzubauen und mir tiefer in bestimmte Situationen hineinzuversetzen. Gerüche und Musik sind für mich die wichtigsten Werkzeuge, um mir Rollen zu erarbeiten. Während des Drehs trage ich dann nur einen bestimmten Duft und höre nur eine bestimmte Playlist, die beide dann quasi nicht mir, sondern der Figur gehören. Aus meinem Faible für Parfums mehr zu machen, war also irgendwie naheliegend.
„Ich hatte viele schlimme Albträume“ - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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