Das hatte sich Marliese Siering anders vorgestellt. Eigentlich wollte die pensionierte Studienrätin diese Woche noch einmal zurückkehren ins Klassenzimmer, um an ihrer ehemaligen Schule das Projekt "Sommerschule" zu betreuen. Doch im Bewerbungsprozess stand sie vor einer Fülle von Formularen und Formalitäten - und kapitulierte schließlich.
Dabei hätte es so gut gepasst. Siering war nach eigenen Worten Ende Juni von der Mittelschule Oberhaching gefragt worden, ob sie die Betreuung der Ferienkurse übernehmen wolle. Die 67-Jährige kennt die Schule, an der sie 14 Jahre zum Stammpersonal gehörte, hat außerdem Fortbildungen zum Lernen geleitet und Übergangsklassen geführt. Gern wollte sie Schülerinnen und Schüler in den Ferien unterrichten und gezielt fördern.
Das Projekt Sommerschule ist ein Baustein des Förderprogramms "Gemeinsam Brücken bauen", mit dem das bayerische Kultusministerium pandemiebedingte Nachteile für Schülerinnen und Schüler ausgleichen will. Es wird derzeit an Schulen in ganz Bayern angeboten und umfasst jeweils eine Woche zu Ferienbeginn und zum Ferienende. In dieser Zeit können Kinder und Jugendliche mit Unterstützungsbedarf zusätzliche Kurse in ihrer Schule besuchen. Wie die Schulen diese Kurse gestalten, ist ihnen überlassen. Sie können klassischen Fachunterricht in Mathe und Deutsch anbieten, aber auch Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung oder beruflichen Orientierung.
Nachdem Marliese Siering die Anfrage für die Übernahme der Ferienbetreuung erhalten hatte, sagte sie zunächst zu. Doch schon bald habe sie vor "bürokratischen Hürden" gestanden, sagt sie. Einen Antrag habe sie einreichen müssen, seitenweise Formulare ausfüllen, Belehrungen und Erklärungen unterschreiben, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen - selbst einen Eid sollte sie noch einmal schwören. "Als hätte mein in der Lehramtszeit geschworener Eid ein Verfallsdatum", entrüstet sich die pensionierte Lehrerin.
Doch noch war Marliese Siering bereit, über diese Hürden zu springen. Ein jähes Ende fand ihre Bereitschaft erst, als sie mitsamt ihrer Unterlagen im Schulamt stand und ihr die Genehmigung für die erste Ferienwoche verwehrt wurde, wie sie erzählt. Die Begründung: Das beantragte Führungszeugnis war noch nicht eingegangen. Siering ging, ohne zu unterschreiben.
Ein übermäßiger Verwaltungsaufwand für zwei Wochen Unterricht? Das Kultusministerium sieht das anders. Auf Anfrage der SZ teilt es am Mittwoch schriftlich mit: "Es mag bei einigen Bewerbern der Eindruck eines hohen Verwaltungsaufwandes entstehen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass im öffentlichen Dienst besondere Anforderungen zu stellen sind und dass die Überprüfung der vorzulegenden Unterlagen zum Schutz der Schülerinnen und Schüler erfolgt." Eltern, die ihre Kinder an einer staatlichen Schule in ein zusätzliches Förderangebot schicken, müssten sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder dabei von Personal unterrichtet werde, "das entsprechende Unterlagen/Nachweise vorlegen konnte".
Dass Personen, die Minderjährige betreuen oder ausbilden, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen, sei gesetzlich so vorgeschrieben, argumentiert das Kultusministerium weiter. Für pensionierte Lehrkräfte gelte: Sie müssten ein solches Zeugnis mitbringen, wenn ihr letzter Einsatz mehr als drei Jahre zurückliegt. Zu der Frage, ob Marliese Siering zusätzlich auch noch neuerlich hätte vereidigt werden müssen, konnte die Pressestelle des Ministeriums am Mittwoch keine Auskunft geben.
Marliese Siering hat für die hohen Anforderungen - gerade bei ehemaligen Lehrerinnen und Lehrern - kein Verständnis. "Es geht doch darum, dass wir Schüler unterrichten und nicht darum, Anträge auszufüllen", sagt sie.
Zu viele Hürden vor dem Brückenbauen - Süddeutsche Zeitung
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