-
VonJan Christian Müller
schließen
Nationalspieler Kai Havertz über seine Flutopferhilfe, das Engagement für Tierrettung und die Erwartungen an Hansi Flick.
Kai Havertz ist die Hochstimmung des Siegtorschützen im Champions Finale im Sommer etwas genommen worden: erst durch das Achtelfinal-Aus der Nationalmannschaft bei der EM, dann durch die furchtbare Flutkatastrophe nahe seiner Heimatstadt Aachen. Für den FC Chelsea erzielte der 22-jährige 100-Millionen-Euro-Transfer am Samstag beim FC Liverpool ein technisch anspruchsvolles Kopfballtor. Bei der Europameisterschaft war er bester Deutscher.
Herr Havertz. Sie haben sich in der Flutkatastrophe sehr engagiert, selbst viel Geld gespendet und hundert Paar Fußballschuhe versteigert. Was ist dabei herausgekommen?
Insgesamt rund 350 000 bis 400 000 Euro. Das hat mich sehr gefreut. Mich hat die Situation sehr betroffen gemacht, weil es nah an meinem Zuhause passiert ist. Ich finde es schön, das viele Menschen geholfen haben.
Wissen Sie, was mit den Spenden passiert ist?
Ja, natürlich. Das war mit sehr wichtig. Ich bin dem Deutschen Roten Kreuz, mit dem wir eine Kooperation geschlossen haben, sehr dankbar, das direkt vor Ort hilft. Viele Menschen haben wirklich alles verloren und kein Zuhause mehr.
Stimmt es, dass Sie sich auch für Tiere einsetzen und schon einige vor dem Schlachthof gerettet haben?
Ja, und das möchte ich weiter ausbauen, das wird ein großes Thema in den nächsten Jahren. Es macht mir viel Spaß, Esel, Pferde oder Ponys zu retten, es kam zuletzt der eine oder andere Esel dazu, den ich gerettet habe. Bei meiner Familie zu Hause stehen gerade vier Esel. Ich möchte aber nicht nur bei Eseln bleiben, sondern mich weiter vergrößern und versuchen, auch Hunde oder Katzen zu retten. Ich werde versuchen, etwas auf die Beine zu stellen. Mir macht das Spaß, man kriegt den Kopf frei, bei mir und meiner ganzen Familie war die Tierliebe immer schon da.
Wie geht es Ihnen inzwischen in London, nachdem Sie anfangs wegen Corona nicht viel kennenlernen konnten?
Mittlerweile fühle ich mich sehr wohl, auch wenn ich, ehrlich gesagt, noch nicht jede Ecke gesehen habe. Im Vordergrund steht der Fußball, und der ist im letzten halben Jahr sehr gut gelaufen.
Werden Sie anders wahrgenommen seit Ihrem entscheidenden Tor im Finale der Champions League?
Gar nicht so sehr. Das war vorher schon der Fall, nachdem mir ein so großes Preisschild umgehängt wurde. Das Tor hat mit geholfen, um zu zeigen, dass nicht alles schlecht war in dem Jahr. Solche Tore nimmt man ein Leben lang mit, man schaut immer gerne drauf zurück, deswegen war das sehr, sehr cool.
In der Nationalmannschaft können Sie sich auch die Position des Mittelstürmers für sich vorstellen. Den gibt es bei Chelsea mit Romelu Lukaku. Spielen Sie dort und hier zwei ganz unterschiedliche Rollen?
Ich bin als Mittelstürmer nicht die Nummer neun, die die Bälle klatschen lässt, sondern habe offensiv viele Freiheiten. Natürlich musst du in der Box sein, wenn es gefährlich wird. Ich glaube, ich habe einen ganz guten Riecher fürs Tor bekommen.
Was erwarten Sie vom neuen Bundestrainer Hansi Flick?
Man spürt, dass wir eine neue Spielphilosophie entwickeln. Wir wollen wieder offensiven Fußball spielen, pressen, den Gegner unter Druck setzen und Spielfreude verbreiten. Wir müssen das ganze Land dabei mitnehmen.
Es hat sich in den letzten Jahren recht wenig geändert im Trainerteam, jetzt sehr viel auf einmal. Es gibt nicht nur einen neuen Bundestrainer, sondern auch drei neue Assistenten. Merkt man da einen Aufbruch, dass neue Impulse kommen?
Auf jeden Fall. Es gibt neue Gesichter, neue Trainer, die da sind. Vielleicht einen kleinen Neuanfang, den wir jetzt nach der EM gehen werden. Ich bin gespannt. Die ersten Tage waren sehr, sehr gut. Ich glaube auch, dass der Trainer das Beste aus uns herausholen kann.
Flick hat sich vor dem Training persönlich mit Ihnen unterhalten. Worum ging es?
Es ist dem Trainer wichtig, dass er alle genauer kennenlernt, vor allem die, die die letzten Jahre nicht in München unter ihm gespielt haben. Er erklärt einem dann im Gespräch seine Philosophie und wo er einen persönlich sieht auf dem Platz. Schon vorher gab es zuletzt viele Telefonate mit ihm – wir haben uns aber schon bei der U-17-EM in Aserbaidschan kennengelernt.
Was haben Sie bei Chelsea von Thomas Tuchel gelernt?
Er ist ein sehr besonderer Trainer. Es ist beeindruckend, wie er in einem halben Jahr im Verein den Turnaround geschafft hat. Er gibt uns immer Optionen an die Hand. Wir wissen immer, was zu tun ist. Jeder Spieler weiß, was der Nebenmann macht. Das ist im Fußball schon immer die halbe Miete. Er bringt uns alle sehr weit. Mich persönlich auch.
Interview: Jan Christian Müller
„Viele Menschen haben alles verloren“ - fr.de
Read More
No comments:
Post a Comment