Berlin - Neulich erzählte Marianne Birthler, die ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, dass sie in Mitte eine Eigentumswohnung gekauft habe, die sie immer noch abbezahle. Sie sei als ostdeutsche Eigentümerin bei den Einweihungstreffen und bei Hausversammlungen in ihrer Nachbarschaft in der Minderheit. Wenn sie mitkriege, wie viele Westdeutsche sich eine Eigentumswohnung leisten können, dann gebe das bei ihr „so einen kleinen Stich“. Sie fügte in dem Text, der im Magazin der Süddeutschen Zeitung erschien, auch gleich hinzu, dass sie sich für das Gefühl schäme, denn sie wolle nicht missgünstig sein.
Ich wusste genau, was sie meinte. In den vergangenen Jahren hat sich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis eine Trennung ergeben: Die westdeutschen Freunde und Bekannten besitzen fast alle mindestens eine Immobilie, oft zwei, die Ostdeutschen leben in Mietwohnungen. Die westdeutschen Freunde haben die gleichen Jobs, arbeiten oft weniger, aber sie haben Startkapital von ihren Eltern, Erbschaften von Verwandten, zudem oft eine große Lockerheit in Geldfragen. Bei den Ostdeutschen ist es umgekehrt: Da unterstützen die Kinder ihre Eltern, zahlen den Urlaub, größere Reparaturen.
Und so sehr ich es jeder Freundin, jedem Freund gönne, stellt sich manchmal ein kleines Gefühl der Bitterkeit ein, ein Stich, wie bei Marianne Birthler.
Im Westen verfügen die 71- bis 75-Jährigen laut SZ mit durchschnittlich um 206.000 Euro über die höchsten Rücklagen. Im Osten konnten die Jüngeren nach der Wende etwas ansparen, die 51- bis 55-Jährigen besitzen etwa die Hälfte des westlichen Vermögens, 103.900 Euro. Aber die Älteren, die einen großen Teil ihres Erwachsenenlebens in der DDR verbracht haben, haben oft nichts weiterzugeben. Immobilien, Aktien gab es in der DDR nicht.
Obwohl ich das alles weiß, suche ich die Schuld auch bei mir. 2003 kam ich nach London als Korrespondentin, ein Kollege vom Spiegel sagte, du musst schnell was kaufen. Eigentum? Ich war 28, seit drei Jahren Redakteurin, ich hatte keine Ersparnisse und mir fehlte die Erfahrung, das Wissen. Grundbuch, Katasteramt, Hypothek, das waren Worte, die ich nachschlagen musste. Meine Eltern hatten nach der Wende kein Geld, sie schafften es kaum, ihren Baukredit abzubezahlen, den sie noch zu DDR-Zeiten aufgenommen hatten. Schulden machten mir Angst.
1300 Milliarden als Immobilien vererbt
Ein Ost-Kollege, der aus einer privilegierteren Familie kam und schon zu DDR-Zeiten London und Paris bereiste, sagte später: „Sabine, du musst dein Geld für dich arbeiten lassen.“ Das ist so ein Kernsatz des Kapitalismus. Mein Kollege sagte auch, man könne die Immobilie immer weiterverkaufen. Ich scheitere schon daran, die gebrauchte Brio-Eisenbahn meiner Kinder weiterzukaufen.
Manchmal schickt mir eine Freundin Immobilienanzeigen, ein Haus in einem Dorf in Brandenburg für eine halbe Million, sie sagt, das sei günstig. Zwei Autos bräuchte man da aber schon. In der Abendschau sah ich ein Paar, das eine Fünfzimmerwohnung in Steglitz gekauft hat, eine Million Euro, beide verdienten sehr gut, trotzdem schaffen sie es nur mit den Eltern, sagte der Mann, der aus Hannover kam. Es ist heute viel schwieriger als früher, durch Arbeit zu Vermögen zu kommen, als durch Erbschaft. Und diejenigen, die viel erben, sind eher Westdeutsche.
Das Deutsche Institut für Altersvorsorge kalkuliert, dass von 2015 bis 2024 rund 3067 Milliarden Euro vererbt werden könnten, davon 1300 Milliarden Euro als Immobilien. Da kommt ein neuer Ost-West-Konflikt auf uns zu.
Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.
Erben im Osten: Warum viele Ostdeutsche leer ausgehen - Berliner Zeitung
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