Stand: 08.06.2021 17:40 Uhr
Seit Jahren wird darüber diskutiert, auch während der Pandemie kochte das Thema hoch: Man solle die Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Nun ist das Vorhaben erstmal wieder gescheitert - und es hagelt Schuldzuweisungen.
Von Kai Küstner, ARD-Hauptstadtstudio
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD beinhaltete ein Versprechen: "Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern." So steht es auf Seite 21 des im Frühjahr 2018 beschlossenen Programms der Großen Koalition. Jetzt ist klar: Dieses Versprechen haben die Regierungsparteien nicht halten können.
"Als Bundesjustiz- und Familienministerin - aber auch ganz persönlich - bin ich zutiefst enttäuscht darüber, dass die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz für diese Legislaturperiode gescheitert ist. Weil sowohl der Union als auch der Opposition der Wille zu einer Einigung fehlte", sagte Justizministerin Christine Lambrecht von der SPD.
Kritik von Brinkhaus
Den von der Sozialdemokratin erhobenen Vorwurf spielte Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus sogleich zurück. Er lastete Lambrecht an, sie habe die im Kabinett gefasste Einigung nachträglich nachschärfen wollen: "Wir haben auch das Gefühl, dass da manchmal von ihr über die Bande gespielt worden ist. Dass sie versucht, über die Opposition zu erreichen, was sie im Kabinett nicht erreicht hat. Aber wir werden weiter Vorschläge machen. Und wir sind optimistisch, dass wir das in der nächsten Legislaturperiode vielleicht auch mit jemand anderes durchbringen."
Da klang Brinkhaus allerdings deutlich weniger optimistisch als CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der sich weitere Beratungen und eine Lösung doch noch vor der Bundestagswahl vorstellen kann.
Grünen sprechen von "Armutszeugnis"
Die Große Koalition hätte für eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz nicht nur eine Einigung mit sich selbst, sondern auch mit der Opposition gebraucht. Denn im Bundestag und Bundesrat wäre jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit vonnöten gewesen.
"Das ist ein Armutszeugnis für die Koalition. Das ist ein Armutszeugnis insbesondere für die Union", befand die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, nach gescheiterter Einigung. Und Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch beklagt, dass es angesichts der Pandemie Autogipfel im Kanzleramt gegeben habe, aber nie Kindergipfel: "Diese Entscheidung ist eine Schmach für die Koalition ist auch eine Schmach für die Kanzlerin."
Fest steht, dass die Große Koalition schon vor drei Jahren begonnen hatte, in Form einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe sich mit dem Thema Kinderrechte zu befassen. Am Ende stand man kurz vor einer Einigung, aber eben nur fast: Auf eine entsprechende Passage, die ins Grundgesetz hätte eingefügt werden sollen, hatte sich die Koalition geeinigt. Doch Grüne und Linke wollten noch stärkere Formulierungen, noch mehr Möglichkeiten für Kinder, mitzuentscheiden. Die Union war dagegen, sie befürchtete eine Schwächung der Familien zugunsten des Staates.
"Historische Chance" vertan?
Das "Aktionsbündnis Kinderrechte", in dem sich das Deutsche Kinderhilfswerk, der Kinderschutzbund, das UN-Kinderhilfswerk UNICEF und die Deutsche Liga für das Kind zusammengeschlossen haben, spricht nun von einer "historischen Chance", die vertan worden sei.
Gegner der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz dagegen hatten stets gewarnt, wenn man alles dort hinein schreibe, werde daraus ein Sammelsurium von Wünschen, und das Grundgesetz wäre überladen. Und FDP-Christian Lindner meint: "Wir wissen auch - trotz des Scheiterns an der Union - dass es Kinderrechte im Grundgesetz gibt. Die ergeben sich aus den allgemeinen Grundrechten aller Menschen." Erklärte Gegner einer Erwähnung der Kinderrechte im Grundgesetz, wie die AfD etwa, sind die Liberalen indes nicht.
Nun ist die große Frage, ob das Versprechen, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, im Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung landen wird. Falls nicht doch noch - allen gegenseitigen Vorwürfen zum Trotz - in den nächsten Wochen eine Überraschungseinigung gelingt.
Kinderrechte nicht im Grundgesetz: Enttäuschung und viele Vorwürfe | tagesschau.de - tagesschau.de
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