Der DHL-Fahrer muss die Sackkarre nehmen, die beiden Paketkartons sind einfach zu groß, um sie sich unter den Arm klemmen zu können. Er schaut freundlich, als er angesprochen wird. Ja, er habe wegen verloren gegangener Pakete schon Geld an sein Unternehmen zahlen müssen. Zweimal seien Sendungen, die er an den angegebenen Adressen abgegeben hatte, angeblich nicht beim Empfänger angekommen.
Die Post, der Mutterkonzern von DHL, hat den Kunden den Schaden ersetzt – und sich danach das Geld bei dem Mitarbeiter zurückgeholt. Insgesamt 700 Euro muss der nun zahlen, in Raten von je 50 Euro im Monat wird es von seinem Gehalt abgezogen. Wahrscheinlich hätten die Kunden betrogen, sagt er. Jetzt sei er bei der Paketabgabe noch vorsichtiger.
Zehn Millionen Pakete fahren die Boten des Bonner Konzerns an Spitzentagen aus. Bis zu 200 Paketkartons liegen in einem Lieferwagen für eine einzige Tagestour. Kommt eine Sendung nicht beim Empfänger an, muss das Unternehmen für den Schaden in vielen Fällen aufkommen.
Und genau das geschieht in der Corona-Zeit, in der der Onlinekauf boomt und die Paketberge wachsen, häufiger als früher. Dahinter können betrügerische Absichten stecken – von Empfängern, Beschäftigten oder anderen Personen. Die Deutsche Post verschärft bei ihrer Tochtergesellschaft DHL nun das Vorgehen gegen die Paketverluste.
Die Zahl der Fälle, in denen Mitarbeiter in sogenannte Regresshaftung genommen werden, steigt nach Gewerkschaftsinformationen. Die Post nennt keine Details dazu. Doch WELT liegen einige Beispiele vor, in denen sich Betroffene Rechtsschutz gesucht haben. Bei einem typischen Bruttomonatsverdienst von 2500 Euro für die Paketboten kann eine hohe Regressforderung für den einzelnen Beschäftigten rasch zum Problem werden. Bislang bleibt es bei Mahnverfahren, Gerichtsfälle sind noch nicht bekannt.
Die „kontaktlose Zustellung“ sorgt für Probleme
Für Ärger sorgt unter anderem eine neue Zustellart, die die Post im Frühjahr 2020 zum Schutz der Mitarbeiter und Kunden vor Ansteckungen mit dem Virus eingeführt hat und „kontaktlose Zustellung“ nennt. Die Paketfahrer bestätigen dabei selbst die Abgabe, legen das Paket an der Tür ab und klingeln oder geben es einem Nachbarn. Der Kunde öffnet und nimmt die Sendung entgegen.
In Niedersachsen etwa gab ein Bote ein Paket bei einem Nachbarn ab und klebte dem Kunden eine Benachrichtigungskarte an die Tür. Anschließend quittierte der Bote wie vorgeschrieben die Abgabe in seinem Handscanner mit einem „Q“ für Quarantäne und der eigenen Unterschrift. Die wertvolle Sendung ging auf unerklärliche Weise verloren. Der Kunde verlangte Haftung durch die Post, der Konzern beglich den Schaden und überwies die geforderten 445 Euro.
Monate später schrieb das „Team Regresse“ des Konzerns dem betroffenen Paketfahrer, dass er „wegen Missachtung der Ausliefervorschriften“ in Regress genommen werde. Der Name sei unleserlich gewesen und das Anbringen der Karte an der Tür unzulässig. Aus Sicht der Post reicht das in diesem Fall aus, um „grobe Fahrlässigkeit“ festzustellen.
Es folgten Zahlungsaufforderungen an den Mitarbeiter sowie Mahnungen. Nun besteht die Möglichkeit, dass die Post das Geld vom Gehalt abzieht. Der Beschäftigte hat sich einen Anwalt genommen. In ähnlichen Fällen kommt es gelegentlich auch zu einem Vergleich, und die Post verzichtet auf einen Teil der Forderung.
„Natürlich müssen Anweisungen und Regelungen eingehalten werden, aber wir haben seit über zwölf Monaten außergewöhnliche Arbeitsbedingungen“, sagt Christina Dahlhaus, Bundesvorsitzende der Fachgewerkschaft DPVKOM. In dem Stress könnten Fehler passieren.
Die Post habe die Zusteller schon immer in Regress genommen. Mehr Pakete bedeuteten nun auch mehr Regressfälle. Durch die neu eingeführte kontaktlose Zustellung komme es vermehrt zu derartigen Schadensansprüchen. Die Post hat nach den Informationen bereits in einigen Regionen darauf reagiert und diese Zustellvariante etwa in bestimmten Zustellbezirken im Großraum Kassel vorerst ausgesetzt.
Die Post selbst sieht keine „negativen Effekte“
Sie erwarte von der Deutschen Post „mehr Empathie und Fingerspitzengefühl für die Menschen“, sagt Dahlhaus. Wenn es zu Regressansprüchen durch diese neue Zustellart komme, müssten die Zusteller geschützt werden: „Ich halte das für die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.“
Nach Aussage der Post wiederum gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Zustellarbeit unter Corona-Bedingungen und den Paketverlusten. „Grundsätzlich sehen wir derzeit keine negativen Effekte bei unserer Haftungsentwicklung“, sagte eine Unternehmenssprecherin.
Es gebe „nur sehr seltene Fälle“, in denen der Konzern einen nachweisbaren Schaden für das Unternehmen auf einen möglichen Regressanspruch gegenüber einem Zusteller prüfe. Dies sei auch tarifvertraglich geregelt. „Keiner unserer Zusteller wird allein aufgrund einer strittigen Zustellung in Regress genommen“, sagte die Konzernsprecherin.
Grundsätzlich ist ein solches Vorgehen gegen die Beschäftigten zulässig. „Allerdings ist Regress gegenüber Mitarbeitern im Arbeitsrecht nur möglich, wenn ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann“, sagt Philipp Byers, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Watson Farley & Williams. Die Beweislast liege beim Arbeitgeber – bei nicht kalkulierbaren Fehlerquellen trage er das Risiko.
Zur besonderen Zustellmethode der Post unter Corona-Bedingungen, bei der eine Unterschrift des Paketempfängers nicht notwendig ist, sagt der Jurist: „Bei einer derartigen Zustellarbeit der Paketboten halte ich es für fragwürdig, ob bei dieser Art des Nachweises der groben Fahrlässigkeit ein Regress durch Gehaltskürzung vollzogen werden kann.“
Deutsche Post: Die „Kontaktlose Zustellung“ verärgert viele DHL-Boten - WELT
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